Interview mit Jan Kerscher aka Like Lovers

MONTAG, 29. AUGUST 2022

#Interview, #Jan Kerscher, #Konzert, #Like Lovers, #Musik, #Syntax

von Tommy Wurm

Like Lovers ist eines der spannendsten Musikprojekte der Region. Nach den beiden Debütalben Everything All The Time und Everything All The Time B-Sides ist jetzt das Album Syntax seit einigen Wochen auf dem Markt. Grund genug, ein ausführliches Gespräch mit Jan Kerscher zu führen, dem Mastermind hinter Like Lovers.

TOMMY: Hi Jan. Der finale Release deines Albums SYNTAX ist nun ein paar Wochen her. Wie geht es dir?
JAN: Super! Ich hab mich wirklich lange auf das endgültige Release von SYNTAX gefreut und bin jetzt  entsprechend sehr happy, dass diese Musik ihren Weg zu den Hörer:innen gefunden hat.

Im Februar dieses Jahres konnte man das Album schon für vier Wochen auf allen Streaming-Plattformen hören. Danach war es wieder verschwunden. Wie kam es zu dieser doch recht ungewöhnlichen Idee und was ist der Hintergrund?
Das ganze Album ist – im Gegensatz zu „Everything All The Time Forever“ – sehr schnell entstanden. Die Produktionszeit betrug insgesamt nur circa ein Jahr. Dementsprechend fand der Prozess zu 100% innerhalb der Covid-Pandemie statt. Das war und ist nicht nur für mich, sondern für uns alle eine ganz eigenartige Zeit, würde ich sagen. Daher war es mir wichtig, die Songs möglichst schnell zumindest einmal zu präsentieren, solange dieses Gefühl noch währt. Das hat für mich einfach gepasst. Außerdem fand ich den Gedanken schön, dass dieses Album-Preview dann – wie ein Livekonzert – eben auch verpasst werden kann. (lacht) Aber dann konnte sich immerhin noch aufs „echte“ Release gefreut werden!

Was bedeutet der Albumtitel „Syntax“?
SYNTAX bezieht sich in diesem Fall auf die spezifische Zusammensetzung unserer Kommunikation und/oder unserer Sprache. Das Album behandelt die Frage, inwiefern das „Wie“ unserer Sprache vielleicht mehr Einfluss auf unserer Kommunikation hat, als der eigentliche Inhalt unserer Sprache. Ursprünglich entstand der Titel gleichzeitig mit der Idee, dass mein zweites Album ein sehr kollaboratives werden sollte. Ich stellte mir die Frage: „Wenn viele verschiedene Menschen an Like Lovers mitarbeiten und vielleicht sogar ganze Lieder schreiben, mitsingen, mitperformen etc. – klingt Like Lovers dann immer noch nach Like Lovers?“ SYNTAX ist ja ein Begriff, der auch und vor allem in Bezug auf Programmiersprachen Anwendung findet. Hier ist es besonders krass: Setzt du ein einzelnes Zeichen falsch, funktioniert der ganze Code vielleicht nicht mehr. Oder zumindest nicht mehr so, wie er soll. Das Programm läuft nicht rund. Im Bezug auf den Menschen sehe ich Sprache sozusagen als unser „Programm“. Das ist unser persönlicher Denkalgorithmus. Sprache bestimmt, wie wir Denken und Handeln, was wir fühlen und wie sich unser Leben ausdrückt. Es lohnt sich also definitiv, Sprache sehr genau zu nehmen.

Viele regionale, nationale und auch internationale Bands nehmen Musik in deinem Studio Ghost City Recordings auf. Oft sitzt du hinter den Reglern und übernimmst auch die Funktion des Produzenten. Hast du dir Zeit für dein eigenes Album geblockt, oder arbeitest du an deiner eigenen Musik immer dann, wenn gerade Zeit ist?
Normalerweise hätte ich mir diese Zeit blocken müssen. Die Covid-Pandemie hat mir in diesem Sinne aber ein großes Zeitgeschenk gemacht. Dadurch, dass Zusammenkünfte in geschlossenen Innenräumen lange Zeit schwierig oder unmöglich waren, hatte ich hier die Chance, meinen Arbeitsalltag aufzuräumen und neu zu gestalten. Ich habe vor allem in 2021 viel weniger als vorher und in 2022 gar kein Recording gemacht. Und hatte so mehr Zeit um mich auf Writing, Mixing und Mastering zu konzentrieren. Das ist körperlich und geistig deutlich entspannter und gesünder für mich.
Mindestens zwei der Songs auf „SYNTAX“ beschäftigen sich auch mit dem Thema. Im Jahr 2021 befand ich mich gerade mitten in diesem Wandel. Arbeitsmäßig hatte ich mich in den zehn Jahren vorher echt an ungesunde Grenzen gebracht und es war einfach Zeit für einen Wandel in ein gesünderes Mindset. Meine Produktionsarbeit habe ich natürlich jetzt nicht eingestellt. Aber zumindest reduziert und besser organisiert. Ich mache jetzt mehr Recording außerhalb. In fremden Studios, bei Bands im Proberaum etc. Das ist auch sehr erfrischend und spannend!
Und um die Frage schlussendlich zu beantworten: Dadurch ist viel entspannte Zeit für das zweite Like Lovers-Album entstanden. Der Prozess hat sich entsprechend sehr frei und schön angefühlt.

Einem deiner Social Media Posts war zu entnehmen, dass du die im Herbst anstehende Tour im Duo bestreitest. Ist das eher eine pragmatische Entscheidung oder eine künstlerische?
Tatsächlich ist das eher eine pragmatische Entscheidung gewesen. Zuerst wollte ich wieder ein Soloset an den Start bringen, weil mir das damals schon viel Spaß gemacht hatte. Aber dann habe ich mich an die neuen Songs gemacht und ganz schnell gemerkt: Ohne Schlagzeug geht’s nicht! Wie der Zufall es so wollte, hat mir das Universum zu genau diesem Zeitpunkt Michi Dreilich geschickt und das hat sofort super gut gepasst. Ich freue mich total auf die Konzerte mit ihm.
Produktionstechnisch gibt es bei Like Lovers auch ein großes Hindernis. Die Songs sind alle super komplex instrumentiert. Es gibt viele elektronisch nachbearbeitete Sounds, die mit „normalen“ Instrumenten teilweise gar nicht, oder nur unter hohem Aufwand überhaupt spielbar sind. Für mich gibt es also nur zwei Möglichleiten. Entweder, ich finde eine zehnköpfige Band, die Lust hat, umsonst für mich Konzerte zu spielen, oder ich präsentiere ein Backingtrack-gestütztes Liveset mit den für die Energie wichtigsten Instrumente. Und da Ersteres natürlich komplett unrealistisch ist, habe ich mich dieses Jahr für letztere Variante entschieden. (lacht)

Du arbeitest mit vielen Künster:innen aus der Region zusammen. Wie ist deiner Meinung nach der Status Quo der lokalen Szene und wo müsste strukturell unbedingt nachgebessert werden?
Das ist eine ausgezeichnete Frage. Ich persönlich finde die Nürnberger Musikszene strukturell eigentlich sehr gut aufgestellt. Allerdings fühle ich mich auch manchmal als ein Individuum, dass so ein bisschen „an der Szene vorbei“ sein eigenes Ding macht und habe mich bisher selten als „Teil“ einer größeren Szene gefühlt. Vielleicht auch, weil ich einfach nie in der Stadt gelebt habe und meinen Arbeitsplatz schon immer hier draußen hatte? Ich weiß aber, dass es viele verschiedene Gruppierungen innerhalb von Nürnberg gibt, die für alle großartige Dinge auf die Beine stellen. Also lass mich nur Nürnberg Pop, NueJazz, It Isn’t Happening und die Musikzentrale erwähnt haben. Allein das ist ja schon für eine Stadt dieser Größenordnung großartigst. Ich bin auf jeden Fall super happy darüber, im Nürnberger Einzugsbereich zu leben und zu schaffen.

Arbeitest du lieber an deiner Musik oder als Ermöglicher für andere Künstler:innen?
Don’t do this to me! (lacht) Die kurze Antwort ist: Ich liebe beides wirklich sehr. Die etwas ausführlichere Antwort wäre wohl, dass beides seine Vor- und Nachteile hat und die wirklich jeweils im Kern begraben liegen. Wenn ich alleine Musik mache, bin ich alleine. Das ist ein Vorteil, aber auch ein Nachteil. Wenn ich mit anderen Musik mache, bin ich mit anderen. Auch das ist wieder ein Vorteil und ein Nachteil. Wenn ich mich für den Rest meines Lebens für eines von beiden entscheiden müsste, würde ich glaube ich lieber für immer mit anderen Musik machen. Soooo gerne bin ich dann doch nicht alleine :)

Du lebst da, wo du arbeitest. Wie gelingt dir die Trennung zwischen Arbeit und Leben? Wie sieht dein perfekter Feierabend aus?
Die Antwort auf diese Frage hat sich für mich im Laufe der letzten Jahre dramatisch verändert. Meine Ausgangssituation ist, dass ich jetzt seit 18 Jahren mehr oder weniger nichts anderes gemacht habe, als unter intimsten Umständen Bands aufzunehmen. Die Zeit mit Musiker:innen bei mir im Studio ist wahnsinnig intensiv. Ich teile meine Zeit, meine Gefühle, meine Brain- und Emotion-Power sowie meinen Wohnraum mit den Menschen, mit denen ich arbeite.
Vorhin habe ich schon darauf angespielt, dass ich 2021 einem Burnout – zum zweiten Mal – gefährlich nahegekommen bin. Diesmal hat es aber geklickt und ich trenne jetzt im Ergebnis viel mehr zwischen Arbeit und Freizeit. Räumlich dadurch, dass ich Recording ausgelagert habe. Aber auch zeitlich, dadurch, dass ich einfach viel weniger als vorher arbeite und vor allem endlich mal Wochenenden konsequent respektiere.
Mein perfekter Feierabend kann sehr unterschiedlich sein. Er ist aber aktuell schon perfekt dadurch, dass er überhaupt mal stattfindet. (lacht) Ich mache z.B. gern Abendspaziergänge mit meiner Freundin hier über die Felder. Wenn ich genug Zeit habe, spiele ich auch gerne mal ein paar Stunden Playstation oder lese ein gutes Buch. Meistens Psychologie und Philosophie. Aber ein entspannter Abend mit Freunden ist auch was Schönes.
Feierabend ist für mich aber insgesamt ein schwieriges Konzept. Meine Arbeitszeiten sind ja sehr unregelmäßig, weil sie total von meiner Kreativität im gegenwärtigen Moment abhängig sind. Bei mir ist es öfter so, dass ich zum Beispiel keine Lust auf Arbeit habe und dann lieber in die Sauna fahre oder mir eben einen freien Nachmittag gönne. An anderen Tagen bin ich extrem kreativ und klebe so lange an der Arbeit, bis sie eben fertig ist und gehe dann zufrieden ins Bett.

Die Welt dreht vollkommen hohl. Kann Kunst helfen? Muss Kunst sich positionieren? Wird Kunst zukünftig politischer?
Der Kunstbegriff ist per se schwierig. Deswegen weiß ich nicht, ob „Kunst“ helfen kann. Kann sie bestimmt. Aber kommt ja auch darauf an, wie sich eben jene Kunst selbst versteht. Ich denke, was immer hilft und auch in dieser – wie du es absolut richtig beschrieben hast – hohldrehenden Welt helfen kann, ist Ehrlichkeit. Und wenn Kunst ehrlich ist, dann kann sie auch helfen. Auf die Frage, ob Kunst sich positionieren „muss“, gebe ich eine klare Antwort und zitiere Die Sterne: „Du musst gar nichts“. Niemand muss irgendetwas. Das „Müssen“ macht unsere Gedanken und Handlungen unauthentisch und schlimmstenfalls wertlos. Wenn die Kunst sich positioniert, weil sie das will und weil sie eindeutig spürt, dass sie etwas mitteilen möchte, dann ist das aber definitiv wertvoll.
Ich bin mir nicht sicher, ob Kunst in Zukunft politischer wird. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Kunst immer Ausdruck politischer Haltung ist. Gerade sind die Menschen und auch die Künstler:innen – glaube ich – ziemlich viel mit sich selbst beschäftigt. Politik zu machen ist ja auch schwer und kostet viel Kraft. Ich bin aber auch sehr gespannt, wie sich das die nächsten Jahre entwickelt.

Wo geht’s hin mit Like Lovers? Hast du überhaupt Ziele mit deiner eigenen Kunst, oder machst du einfach?
Eine gute Frage. Tendenziell würde ich sagen „ich mache einfach“. Das fühlt sich am besten an und erzeugt die besten Ergebnisse. Aktuell erhole ich mich ja eigentlich auch noch gesundheitlich und versuche mich nicht zu übernehmen. Like Lovers ist leider so ein Projekt in meinem Leben, das sehr viel mehr Kraft und Zeit und Geld kostet, als es mir etwas zurückgibt. Natürlich bereitet es mir große Freude, diese Musik zu machen und auch, sie zu performen. Aber die bekanntermaßen schlechte Wirtschaftlichkeit des „kleinen Künstlerdaseins“ kann durchaus ein großer Stressfaktor im privaten Leben sein. Ich bleibe also bei meiner ersten Antwort und sage: „Ich mache einfach“. Und dann sehen wir ja wo es uns hinführt. Ich glaube aber kaum, dass ich jemals aufhören werde, Musik zu machen. Ohne kann ich ja irgendwie auch nicht. (grinst)

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Jan Kerscher aka LIKE Lovers
1986 Geboren in Stuttgart, 2006 Abitur in Roth, 2008 Abschluss an der SAE Stuttgart zum Audio Engineer.
2009/2010 Aufbau seines “Ghost City Recordings“ Studios und erste Album-Produktionen im neuen Studio.
2015 nehmen Jennifer Rostock im Ghost City Recordings Studio auf.
2019 Veröffentlichung des ersten Albums von Like Lovers:
“Everything All The Time Forever“ plus Livetour in Japan. 2022 VÖ
des aktuellen Albums “Syntax“.

www.wearelikelovers.com
www.instagram.com/wearelikelovers
www.listencollective.com

 




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