Theobald O.J. Fuchs: Schneeschaft

DIENSTAG, 3. FEBRUAR 2015

#Comedy, #Kolumne, #Theobald O.J. Fuchs

Zwei Gesellen, die sich kennen, namentlich oder vom Sehen, pflegen eine Bekanntschaft zu führen. Will der eine nicht so dicht beisammen sein, wie der andere will, wird’s leicht eine asymmetrische Bekanntschaft, man denke nur an den Sachbearbeiter beim Finanzamt. War da allerdings vorher eine Freundschaft und der eine erklärt dem anderen -  aus welcher Himmelsheiterkeit auch immer - die Ignorantschaft, bleibt diesem immerhin noch die Wurstschaft. Oder die Lachschaft. Und schließlich die Vergessenschaft.

Dass es entweder nur Freundschaft oder nur Feindschaft gebe, ist natürlich ein gewaltiger Irrtum, dem gerne Kinder und Politiker aufsitzen. Ebensowenig könnte ich die Welt feinstsäuberlich in fest oder flüssig einteilen. Was leicht zu beweisen wäre, denn sonst gäbe es kein Schaumbad und keinen Schnee, zwei der größten Wunder der Natur, ohne die die Welt öde und grau wäre. Zudem mich mit dem Nachbarn vom dritten Stock eine wunderbare Schneeschaft heiß und innig verbindet. Und zwar immer dann, wenn es schneit. Im Kern geht es uns nämlich um die Frage: wer schafft mehr Schnee weg?

Als es dieses Jahr jedoch endlich losging, erwischte die Schneeordnung uns beide auf dem kalten Fuß. Denn die Schneeräumtafel war verschwunden – ein Schneeräumteufel musste sie verräumt haben, unauffindbar, so dass es galt, keinen Winzdeut zu lange zu zögern, sondern schnell nach der Schippe zu greifen und loszulegen, ehe der Konkurrent früher aus dem Hause träte und das jungfräuliche Weiß ganz für sich alleine ... !

Hatte er bereits.

Dieweil ich noch für ein paar Augenblicke mit geschlossenen Lidern im finsteren Korridor stand und im Geiste visualisierte, was ich in einer Minute tun würde, mir jeden Schritt, jeden Hub und jeden Schwung vor mein inneres Auge projizierte, und meine Konzentration gleichsam dem Gipfel entgegen peitschte, hörte ich es. Das Kratzen einer Schneeschaufel auf vereistem Pflasterstein. Der Räum-Satan vom dritten Stock war mir zuvorgekommen und zog schon seine Runde. Als ich unten auf der Straße stand, konnte ich ihn nur noch weit entfernt am Horizont ausmachen. Eigentlich sah ich gar nichts, außer ganz klein und schon kurz vor dem Plärrer Schneeklumpen, die in die Luft flogen. Ich seufzte, packte den Stiel der Schaufel fest mit der Faust und wandte mich nach Westen.
Etwas außer Atem war ich dann schon, als ich eine knappe Stunde später die Austraße, die Adam-Klein-, die Paumgartner-, Preißler- und Glockendonstraße sowie einen großen Abschnitt der Rothenburger geräumt hatte. Auch die schmale Fußgängerzone jenseits der Fürther Straße bis vor zum Gerichtsgebäude hatte ich so sauber gekratzt, dass man am Eingang zur U-Bahn unbedenklich Zitroneneis vom Bürgersteig hätte lecken können.

Da, ehe ich den letzten Batzen auf die Schaufel wuchten konnte, sah ich sie: eine der unwahrscheinlich seltenen Schneeschnecken. Diese sind ja bekanntlich schon seit dem Pleistozän vom Aussterben bedroht, aber nun kroch eine echte Schneeschnecke direkt vor meiner Nase über einen Eisbrocken. Ganz zutraulich war sie, schnüffelte an der Stahlkante meiner Schaufel, wandte sich ab und fuhr fort, genießerisch an einem Klumpen Pulverschnee zu knabbern. Ich ließ alles stehen und liegen, hechtete die zwei Treppen nach oben, um eine Butterbrotdose zu holen. Ich wollte die Schnecke in Sicherheit bringen, zu mir in den Gefrierschrank, und wenn es ein Weibchen wäre, sie vielleicht zur Eiablage bringen, eine regelrechte Zucht beginnen, falls es mir gelänge, ein zweites Exemplar dieser hermaphroditischen Besiedler des Gefrorenen zu finden.

Bloß als ich zurückkam zum Schneehaufen, war die Schneeschnecke verschwunden. Stattdessen balgten sich eine Rotte Schneetauben auf der Streustandkiste. Mistviecher, die mit ihren Vettern, den weißen Friedensboten aber auch überhaupt gar nichts gemeinsam haben, sondern höchstens nützlich sind, wenn man eine ganze Meute von ihnen sorgfältig in einer Reihe aufstellt und dann platt fährt, so dass sie als Fahrbahnmarkierung auf dem Asphalt kleben.

Nur geringfügig weniger unnütze sind die Schneespinnen, die gerne Schneemänner anbohren und in der lebensspendenden Kälte der Löcher ihre Kokons spinnen. Mit einer regelrechten Fruchtbarkeitsexplosion wimmelten plötzlich die Schneehaufen vor frisch geschlüpften weißen Wesen, sogar ein Schwarm weißer Fledermäuse landete knisternd in der Krone eines nahe gelegenen Baumes, ihr unhörbares Lied auf die Freuden der Vereisung und des Lichtmangels singend.

Plötzlich sprach eine Stimme hinter mir und sagte: „Hey, Du Schneeschmetterling!“ Ich drehte mich um und sah meinen Nachbarn, der mir eine dampfende Kübeltasse reichte, aus der es köstlich nach pechschwarzem Kaffee duftete. Das war echte Schneeschaft.

[Text: Theobald O.J. Fuchs; Foto: Katharina Winter]

 




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