Anita Blagoi | Risse im Gefüge der Welt

FREITAG, 15. JANUAR 2021

#Anita Blagoi, #Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst, #Locked in

Locked in | 044 – Als der rumänische Künstler Diet Sayler 1973 nach Nürnberg emigrierte und hier seit den 1980er Jahren ein beachtliches Zentrum für internationale konkrete Kunst etablierte, tat er das auch aus einer tiefen intellektuellen Überzeugung, dass figürliche Bilder verführerisch sind, missbrauchbar für Propaganda und Autoritäten.

Die konkrete Kunst sei das nicht, sie sei was man sieht. Perfekt erarbeitete Form, mitunter zufällig gesetzt, subtil im Farbspiel, ein Ausdruck von Freiheit. Diet Saylers Werk ist klassische Kunstfertigkeit, die aus einer präzisen Idee entstanden ist, und beim Bearbeiten des Interviews mit Anita Blagoi fiel mir auf, dass ihr Vorgehen Diet Saylers Philosophie ähnelt. Ihre Arbeiten seien zu materiehaltig, zu haptisch und figürlich, um konkrete Kunst zu sein, dachte ich im ersten Moment. Aber das ist Unsinn, denn ein konkretes Objekt lässt sich in den Arbeiten bei genauerem Hinsehen nie greifen: Die monochrome „Landschaft“ wird von der weißen Diagonale vollständig dominiert, der nächtliche „Nebel" kann ebenso Rauch oder – fotografisch gedacht – ein Belichtungsfehler sein. Und über die Funktion der Vielzahl von Wandobjekten kann man offensichtlich nur wild spekulieren. Womöglich schreiben Anitas Werke also die Tradition der konkreten Kunst in Nürnberg fort, mit neuen Mitteln und Ansätzen. Es wäre künstlerisch nicht das Schlechteste für unsere Stadt.

Im Interview erzählt Anita von den Zoltáns und Vasarelys ihrer Kindheit, rissigen Kreideuntergründen und der Nichtexistenz der Figur.

Marian Wild: Du gehst ziemlich brutal mit manchen deiner Bilder um. Da wird geschreddert, ausgeschnitten, umgeklappt und gefaltet. Welche Beziehung hast du zu Bildträgern, eine positive oder eine negative?
Anita Blagoi: Ich habe eigentlich eine sehr positive Beziehung zum Material. Und ich gehe auch sehr sorgsam damit um. Anfangs habe ich vor allem auf Papier gearbeitet, auch bei großen Formaten war mir sehr wichtig keine Knicke oder Beschädigungen in das Papier hineinzubringen. Jedes Material erfordert eine andere Handhabung. Auf der anderen Seite habe ich aber auch kein Problem einen Nagel durch den Bildträger zu schlagen, obwohl mir das Bild heilig ist, ich habe da doch eher eine romantische Vorstellung von Kunst und Malerei. Mittlerweile arbeite ich auch auf Jute oder gespannten Leinwänden. Früher hat mich diese Struktur der Leinwand gestört. Sie war zu dominant, mittlerweile gefällt mir das Rohe so einer Struktur. Es gibt Arbeiten, da trage ich ganz schnell – und ich denke, sehr unprofessionell – einen Gipskreidegrund auf die Leinwand auf. Es ist unregelmäßig, es entstehen Risse und eine organische Fläche. Der Prozess des Auftragens, die Bearbeitung bleibt sichtbar, die Farbe dringt in die Risse ein und bildet dann doch oft einen Gegensatz zum Bildmotiv, der eher kontrolliert geometrisch ist.

Im überwiegenden Teil deiner Arbeiten arbeitest du in vielen verschiedenen Medien mit abstrakten Kompositionen. Auch wenn manchmal Landschaften oder menschliche Körper durchblitzen werden sie durch den Bildausschnitt oder andere geometrische Eingriffe verändert und verfremdet. Was siehst du in deinen Bildern, und was können sie ausdrücken, was figürliche Arbeiten nicht zeigen können?
Schwierige Frage. Ich dachte kurz, ich müsste allgemein die Existenz der abstrakten Malerei rechtfertigen. Das werde ich aber nicht machen. Figürliche Malerei schwebt für mich an der Oberfläche, auf der Oberfläche des Bildträgers. Es geht irgendwie auch um den Schein, den Schein etwas zu erschaffen, das man kennt, zuordnet, assoziiert, in Beziehung zu unserer Umwelt, in der wir leben, setzt. Beziehungsweise versucht der Betrachter das Dargestellte in eine für ihn verständliche Logik einzuordnen. Mit der abstrakten Malerei versuche ich (manchmal) eine Schicht tiefer zu dringen, unter die Oberfläche. Da trifft man dann ganz schnell auf elementare Formen und davon ausgehend auch auf Strukturen. Eine Struktur, wie auch die Leinwandstruktur erzählt etwas über den Bau des Materials und wird wiederum an der Oberfläche sichtbar und für den Betrachter erfahrbar.
Zum Thema Struktur habe ich ein Beispiel: 2019 habe ich eine Serie verwirklicht in der ich einfarbig bemalte Leinwände zerschnitten habe. Die immer gleichen abstrakten Formen habe ich teilweise versetzt oder untereinander überlappend angeordnet, so dass mehr oder weniger ein Relief entstand. Jemand hat diese Bilder als „Dachziegel“ betitelt. Diese Assoziation ist schon sehr naheliegend, ich selbst bin aber nicht auf diesen Gedanken gekommen, er wäre mir auch zu banal gewesen. Ich habe tatsächlich nur die Formen gesehen und habe überlegt, wie ich sie logisch anordne, um eine gleichmäßige, in sich schlüssige Bild- Struktur zu erlangen. Und wenn wir weiterdenken, gehen auch die Dachziegel auf eine konsequent funktionale universelle Bauweise der Natur zurück. Und genau das interessiert mich viel mehr, als einfach Dachziegel zu imitieren. Und zum Abschluss möchte ich noch Marcel Duchamp ins Spiel bringen. Deine Frage hat für mich impliziert, dass es einen Unterschied zwischen figürlicher und abstrakter Malerei gibt. Duchamp hat aber sehr richtig festgestellt, dass Malerei eine Auswahl von Farben ist, die auf dem Bildträger irgendwie verteilt werden. So gesehen ist eigentlich jedes Bild abstrakt.

Du bist 1984 in Rumänien geboren, und Nürnbergs kulturelle Verbindung zu Rumänien wurde schon lange vor deiner Geburt durch den bedeutenden konkreten Künstler Diet Sayler aufgenommen. Darum erlaube mir die persönliche Frage: Wie ist der Einfluss deiner Herkunft auf deine Arbeiten, gibt es einen?
Interessante Frage. Als ich mich an der Akademie beworben habe, wollte ich zu Diet Sayler in die Klasse, aber er hatte genau dann aufgehört als ich anfangen wollte. Unsere Wege haben sich nicht überschnitten. Seitdem ich fünf Jahre alt bin lebe ich in Deutschland, aber in den Sommerferien sind wir immer zu meinen Großeltern in meine Heimatstadt, im ungarisch geprägten Sepsiszentgyörgy, gefahren. Da war der Besuch in der örtlichen Galerie obligatorisch. Meine Mutter findet abstrakte Kunst interessant und hat vom abstrakten Künstler Hervay Zoltán einige Bilder gesammelt, die bei uns zu Hause an den Wänden hängen. Vermutlich hat mich das geprägt, obwohl es mir bis jetzt nicht so bewusst war. Ich kann mich nur noch an eine große Schau in Budapest von dem Op-Art Künstler Victor Vasarely erinnern. Das hat mich schon sehr beeindruckt damals. Ob es mich tatsächlich in die Abstraktion geführt hat, weiß ich aber nicht. Ich komme auch eher von der Begeisterung über die Farbe zur Abstraktion. Ich habe gerade darüber nachgedacht, wie das mit meiner Heimat in Rumänien zusammen hängt. Dort waren die Häuser und Zäune immer farbig gestrichen: Rosa, Hellgelb, Grün… Das Haus meiner Großeltern war in einem matten Orangeton gestrichen. Der Eisenzaun davor in sattem Grün und die Treppen zum Haus in Dunkelrot. Man hat dort keine Angst vor Farben. Im Inneren hat sich das fortgeführt in Pastelltönen an den Wänden und Bordeauxrot auf den Dielen. Ja, das könnte doch schon auch ein Einfluss sein.

Weitere Informationen zur Künstlerin: (KLICK!)




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