Michael Grebner | Marienbild und Taucherhelm

FREITAG, 29. MAI 2020

#Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst, #Locked in, #Malerei, #Michael Grebner

Locked in | 011 – Die kleinen, mit Stoffresten bekleideten Figuren mühen sich ab. Aus Zweigstücken haben sie ein rohes Kreuz geschnürt, an dem der heilige Kupferdrahtpetrus recht unbequem kopfüber zum Liegen gekommen ist. Die Szene, die Michael Grebner hier durch ein Foto verewigt hat, erinnert nicht nur an das ikonische Bild „Die Kreuzigung des Hl. Petrus“ des italienischen Frühbarockmalers Caravaggio, es ist ganz offensichtlich ein Reenactment, ein zeitgenössischer Nachbau des Bildes.

Es sind die grundlegenden Fragen, die Michael in dieser Arbeit stellt: Welche Elemente dieses Klassikers sind für einen heutigen Künstler relevant? Er beantwortet die Frage im Werk, denn übrig geblieben ist die Komposition, die Stofflichkeit der Figuren und besonders die Lichtarchitektur, für die Caravaggio so berühmt war, dass Kunsthistoriker für seine zahlreichen Nachfolger den Begriff „Caravaggisten“ etablieren konnten. Auch in der Forschung über Caravaggio ist eine besondere Frage die, wie sein Atelier aussah; seine Bilder sind zu realistisch und gleichzeitig zu souverän, um komplett erfunden zu sein. Dass der Künstler also sehr ausgereifte Szenerien mit verkleideten Modellen nachgestellt haben muss scheint plausibel.
Für Michael Grebner ist das der Anfang einer Überlegung, die in einem Werkstrang offenbar auf eine zunehmende Vereinfachung und Konzentration der Werke hinausläuft. Bewegt die „Figur III“ sich bereits im undefinierten, leeren Raum mit verborgener Lichtquelle, haben die abstrakten Malereien „o. T.“ (ohne Titel) die Figur völlig eliminiert, und im bewegten Hologramm fehlt konsequent auch das Material. Die sich drehende Figur, die in der zweiteiligen Altarkonstruktion die Rolle des Betrachters für den Dionysiosaltar spielt, hat weder Farbmasse noch Malgrund, übrig bleibt nur konzentriertes Licht.

Im Interview erzählt Michael von seinem Verhältnis zum menschlichen Körper, Verletzungen beim Holzstemmen und seinen Gedanken zu Caravaggios Atelier.

Marian Wild: Du stellst deine Bildhauerarbeiten aktuell in Quarantäne-Schichtnutzung im gemeinsamen Garten her. Es ist im März kalt, manchmal zusätzlich nass, das Holz säbelt einem Splitter in die Finger oder man jagt sich selber einen Meissel ins Bein. Warum tust du dir das alles an?
Michael Grebner: Das Problem ist weniger das Wetter; an der Akademie – die ja wegen Corona geschlossen hat – hätte ich eine Kettensäge zur Verfügung gehabt, oder besser gesagt einen Werkstattleiter und Bildhauer, der mit schwerem Gerät umgehen kann und darf. Hier muss ich alles mit der Hand herausstemmen, was anfänglich tatsächlich zu Blessuren und Hautabschürfungen geführt hat, weil ich doch ab und an mal danebengehauen habe. Aber was tut man nicht alles für die Kunst. Jetzt sind die Tage ja wärmer und durch den Garten zieht sich eine Spur aus Holzspänen, die den Lauf der Sonne markiert. Eigentlich mag ich es sogar, wenn ich die Arbeit, die ich mache, am eigenen Körper spüren kann. Tage an denen ich etwas Anstrengendes gemacht habe, fühlen sich irgendwie gut an.

Einige deiner Leinwandbilder fokussieren sich wie auch die Fotografien auf den menschlichen Körper, und auch die Performance der Klasse Kühn zur Jahresausstellung war in großen Teilen eine aufwändige Körperkomposition. Die berühmte „Kreuzaufrichtung“ von Caravaggio hast du in recht rohen Holzstücken nachgebaut, die originalen Körperhaltungen finden sich in der Fotografie wieder. Was macht für dich eine interessante Körperhaltung aus?
Ich glaube eine interessante Körperhaltung ist eine, die etwas transportiert, in die man etwas hineinlesen kann, die empathisch nachvollziehbar ist, ohne dass sie verkrampft und gezwungen wirkt. Das klingt jetzt wie ein Allgemeinplätzchen, aber ich glaube es ist genau der Punkt nach dem ich meine Motive in meinen figurativen Arbeiten auswähle. Hier spielten bisher selbstgebaute Modelle, also kleine Püppchen aus Draht, Pappmaché und Knetmasse die Hauptrolle – die zwar sehr roh formuliert aber anatomisch halbwegs korrekt geformt sind. Mit diesen Figuren so zu arbeiten, dass aus ihnen etwas Lebendiges wird und sie zu beseelten Akteuren einer Szene werden, ist dabei mein Antrieb. Hinzu kommen bei meinen Modellen die Einflüsse von Licht und Nebel. Dabei wird der Körper verhüllt und ins Dunkel getaucht. Die Frage, wie weit ich eine Figur und den sie umgebenden Raum reduzieren kann, ohne dass sie ihre Nachvollziehbarkeit verliert, spielt für mich eine große Rolle. Das ist aber auch nichts Neues: Bei Caravaggio zum Beispiel spielt Reduktion ja auch eine Rolle, und seine „Kreuzigung Petri“ ist ein gutes Beispiel dafür. Ich bin davon überzeugt, dass Caravaggio seine Szenen tatsächlich nachgestellt hat, dass sich Menschen in seinem Atelier tummelten und posierten – nur so konnte er sich so viele Leerstellen, den undefinierten Raum, die Dunkelheit und Schatten erlauben, ohne dass Theatralik und Spannung darunter litten.
In Bezug auf die Performance geht es, wenn ich an meinen Körper als Medium denke, eher um eine innere Haltung. Generell glaube ich, dass man Menschen nichts vormachen kann. Wenn ich das, was ich auf der Bühne tue, aus einem tatsächlich erlebten Impuls, aus einem Antrieb, einer Emotion heraus tue, dann entsteht zwischen Publikum und mir ein anderer Vibe, als wenn ich mir das Spiel, das ich treibe, selbst nicht abkaufe. Das heißt, wenn die Kluft zwischen Theorie und Praxis – also dem, was ich will und dem, was passiert – zu groß ist, dann kann auch auf der Seite des Betrachters ein Verstehen und Nachempfinden nicht stattfinden. Und das ist es ja was an Live-Acts jeglicher Art, auch an der Musik, Spaß macht: Dass ich mich durch den Performer in eine Situation geführt fühle, die interessant, verstörend, neu, seltsam, entrückend sein kann.

Unter dem Gesichtspunkt der Atmosphäre, die du beschreibst, wirken die abstrakten Gemälde wie bildhauerische Raumstudien. Du arbeitest sowohl als Maler als auch als Bildhauer. Wie beeinflusst das eine für dich das andere?
Das Bildhauerische kam eher aus der Not heraus, als ich einen Weg zu einer interessanten Bildsprache gesucht habe, die ich eben durch das Erstellen und Inszenieren von Modellen erreicht habe. Die abstrakte Bildserie entstand dann aus der Malerei und zwar erneut aus der Frage nach der Reduktion: Was kann ich wegnehmen? Wodurch entsteht eine Bildwirkung? Brauche ich ein konkretes Motiv? Dabei habe ich zunächst die Farbe herausgenommen: Ich mische durch dunkle Grün- und Rottöne ein fasst völlig farbloses Schwarz, welches ich teilweise so fein auftrage, dass sehr facettenreiche Hell-Dunkel-Nuancen sichtbar werden. Dass dabei Raumeindrücke und Tiefenwirkungen entstehen ist natürlich nicht ganz zufällig, wenn auch nicht in erster Linie bewusst. Was ich suche ist Tiefe, Atmosphäre und (Licht-)Stimmung, die ich ja vorher mit der figurativen Malerei ausgedrückt habe und durch das Inszenieren von fiktiven Räumen umgesetzt habe. Die späteren Arbeiten dieser Serie sind dementsprechend kaum noch räumlich und fast zeichenhaft.
Die Arbeit für „Locked out“ kombiniert Bildhauerei und Malerei nochmal in einer ganz anderen Art und Weise. Die Holzskulptur wird zum Rahmen, zum Display, die Malerei wird jeweils eingebunden in einen Schrein. Insgesamt gibt es zwei davon, die thematisch in Zusammenhang stehen. Die Modellfiguren spielen auch wieder eine Rolle: Sie tauchen digital als Hologramme auf. Es wird wieder sehr theatralisch – vielmehr möchte ich aber noch nicht verraten.

Weitere Informationen zum Künstler (KLICK!)




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