Ein kleines Juwel ringt um Fassung

10. MAI 2019 - 23. JULI 2019, STAATSTHEATER

#Dieter Stoll, #Kritik, #Kultur, #Staatstheater Nürnberg, #Theater

Nach Einspruch der Beckett-Erben durfte Dieter Dorn den Feydeau-Einakter „Herzliches Beileid“ nicht in „Glückliche Tage“ spiegeln – und lässt in Nürnberg doch viel Nähe ahnen.

Nürnberg, 11. Mai 2019. Der erste Blick fällt auf einen Traum, der dem zweiten nicht standhalten kann. Die schlummernde Dame des Hauses kauert als ohnmächtige Spinne im Netz, die Ahnung einer realen Szene ist großräumig umhüllt vom riesigen Seidentuch mit Himmelsblick zu den Schafswölkchen. Schön kitschig? Bei genauerer Betrachtung könnte die wallende Textilfläche auch eine kolossale Negligé-Zwangsjacke sein, geschneidert als Übergangsmodell für frostige Wechselwirkungen im alsbald einsetzenden Beziehungsstress. In Georges Feydeaus vergleichsweise selten gespieltem Einakter „Herzliches Beileid“, wie er von Regisseur Dieter Dorn und Bühnenbildner Peter Nitzsche als wuchernde Metaphern-Behauptung mit feinen Pointen-Nahtstellen entworfen wird, plumpst die merkwürdige Vision vom dahindämmernden Rest-Glück wie ein Gummiball hüpfend in den harten Alltag, sobald das Tuch weggezogen und eine realistisch gebastelte Puppenstube sichtbar wird. Eigentlich Allnacht, denn der Sturm klingelnde  Hausherr kommt in hochstaplerischer Sonnenkönigsmaskerade vom Künstlerball in die bürgerliche Ruhezone getaumelt.  Sofort herrscht flackerndes Inferno im Schlafgemach von Lucien (Thomas Nunner als Lebenslügner in Lauerstellung, geduckt unter Allongeperücke und mopsiger Dreistigkeit) und Yvonne (Ulrike Arnold als leicht angewelkte Schönheit mit unbeherrschbarem Talent zum Salon-Trampel), wenn sie in ihrem Atelier-Schlafzimmer zu Tiraden-Hochform auflaufen. Für den Leerlauf-Update dieser Eheschlacht spielt die Tageszeit keine Rolle.  Er ist im Brotberuf Buchhalter, aber als Amateur-Bohèmien dem lotternden Leben in Spätschicht zugetan, sie hat nichts übrig für solche Faxen, spottet fuchtelnd mit einem leeren Bilderrahmen über seine Malerei als hätte Yasmina Reza die Hand im „Kunst“-Bashing und sichert ihren Regierungssitz daheim zwischen den Kissen. Die unheimliche Begegnung der Streitsüchtigen findet zuverlässig den Anschluss zum baumelnd losen Ende der letzten Beziehungskrise. 
„Herzliches Beileid“ hat der deutsche Übersetzer Georg Holzer über diese Lustspiel-Miniatur des Klamauk-Feinmechanikers Georges Feydeau aus seiner bitteren Spätphase geschrieben, was nicht nur auf die plötzlich hereinbrechende Nachricht vom Tod der Schwiegermutter zielt.  Muss man über eine eben noch als „Kamel“ beschimpfte Frau trauern, darf man gleich deren Erbe verteilen und was passiert, wenn auch da alles nicht so ist wie es scheint? Yascha Finn Nolting greift als übereifriger Unheil-Bote saukomisch in die Vollen, nur Süheyla Ünlü landet als dauerkrähendes Dienstmädchen gelegentlich im toten Winkel der Regie. Am Ende, die Erbschaft ist verteilt und die Leiche lebt, weiß keiner mehr genau, ob es etwa doch ein guter Tag gewesen sein wird. Insofern sollte man zur Klärung der nach allseitiger Einschätzung wichtigsten Frage des Abends, der Begutachtung des hausfraulichen Busens im Vergleich zu Oberweiten von Künstlerball-Models, auf den beiläufig angekündigten Sachverständigen-Besuch eines gewissen Herrn Godot setzen – auch wenn das bekanntlich mit viel Warten verbunden ist.   
Regie-Altmeister Dieter Dorn (83), der sich am Ende der Premiere mit jugendlich nach oben gebundenen Haaren verbeugte, ist bei seinem späten Nürnberg-Debüt quasi auf Gegenbesuch. Der dort grade auftrumpfende neue Schauspieldirektor Jan Philipp Gloger war sein Jung-Talent am Münchner Staatsschauspiel und der Nürnberger, zur Oper konvertierte  Intendant Jens-Daniel Herzog galt als Vorzugs-Azubi von Dorns Kammerspiele-Ära. Das Doppel-Projekt, das als Kombination des giftelnden Feydeau-Einakters mit Samuel Becketts gnadenlos auf Sand gebauter Optimismus-Orgie „Glückliche Tage“ eingefädelt war, verweist auf den Vorlauf einer langen Produktions-Liste. Türknallende Bestseller des Komik-Klassikers sind in der Dorn-Biografie so prominent zu finden wie die Rätselspiele des Querkopfs Beckett, mit dessen „Endspiel“ er noch 2016 bei den Salzburger Festspielen 2016 angetreten war. Was aber ebenso wenig half wie die überlieferte  Sympathie von Beckett für Feydeau. Die gute Idee vom freundlichen Duell der Absurden, die Partnerschaft vom Kuschel-Duett in Sandburg und Bettdecke, war den Erben des Iren nicht geheuer, sie legten kurz vor Probenbeginn ihr Veto ein. Was wiederum den für Werktreue garantierenden Regisseur nicht wirklich aus der Bahn warf.
Das Ergebnis von Dorns Konzentration auf das Stück vom dunklen Rand im Feydeau-Nachlass ist keine Verlegenheitslösung. Die Aufführung, die auf wunderbare, auch im Schrulligen standsichere Schauspieler vertrauen kann, ist ein kleines Juwel. Es funkelt in vielen Facetten und ringt dabei erkennbar um die Fassung, die ihm nicht gestattet wurde.  Aus dem banalen Boulevard-Tonfall zu Beginn erhebt sich bei ständig steigender Betriebstemperatur die Groteske wie ein taumelndes Gespenst, das Kulissen anrempelt und daraus im stolpernden Anlauf Energie für den Schwebezustand über platte Realität hinweg bezieht. Wenn das zerstrittene Paar nach der ins Nachbarhaus weitergereichten Todesbotschaft mit einem Schadenfreudentanz wieder zueinander findet, vom Elend der Anderen die eigene Stärke abschöpft, erfriert  das Gelächter für einen Moment. Der Premierenbeifall war reines Tauwetter.

---

Schauspielkritik von Dieter Stoll
für www.nachtkritik.de

Herzliches Beileid
von Georges Feydeau

Regie: Dieter Dorn
Bühne: Peter Nitzsche
Kostüme: Monika Staykova
Licht: Tobias Krauß, Dramaturgie: Katharina Gerschler
Mit: Ulrike Arnold, Thomas Nunner Süheyla Ünlü, Yascha Finn Nolting

PREMIERE AM 10. MAI 2019
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause
www.staatstheater-nuernberg.de

​WEITERE TERMINE
MAI 2019
Fr., 10.05.2019, 19:30 Uhr
Sa., 11.05.2019, 19:30 Uhr
Do., 16.05.2019, 19:30 Uhr
Sa., 18.05.2019, 19:30 Uhr
Do., 23.05.2019, 19:30 Uhr
Sa., 25.05.2019, 19:30 Uhr

JUNI 2019
Sa., 08.06.2019, 19:30 Uhr
Di., 18.06.2019, 19:30 Uhr

JULI 2019
Mo., 08.07.2019, 19:30 Uhr
Mi., 10.07.2019, 19:30 Uhr
Mi., 17.07.2019, 19:30 Uhr
Do., 18.07.2019, 19:30 Uhr
Di., 23.07.2019, 19:30 Uhr




Twitter Facebook Google

#Dieter Stoll, #Kritik, #Kultur, #Staatstheater Nürnberg, #Theater

Vielleicht auch interessant...

20240401_Pfuetze
20240401_Staatstheater
20240401_Stadttheater_Fürth
20230703_lighttone
20240401_ION
20240201_mfk_PotzBlitz
2024041_Berg-IT
20240401_Idyllerei
20240401_Comic_Salon_2
20240201_VAG_D-Ticket
20240401_Neues_Museum_RICHTER
20240401_Wabe_1
20240401_Theater_Erlangen
20240411_NbgPop_360
20240401_D-bue_600