Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Rainer Hänsel

DONNERSTAG, 31. AUGUST 2017

#Andreas Radlmaier, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kolumne, #Musik, #Rock

Mit Bedauern haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass Rainer Hänsel nur wenige Wochen nach dem Gespräch mit Andreas Radlmaier Anfang Oktober gestorben ist. Aus diesem traurigen Anlass platzieren wir das letzte Interview von Rainer Hänsel, das wir bereits in der September-Ausgabe veröffentlicht haben, noch einmal etwas prominenter auf unsere Startseite.

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Ob diese sanft gehügelte Landschaft nun an Tolkiens Auenland erinnert, sei mal dahingestellt. Jedenfalls ist Wethen, ein 500-Seelen-dorf an der Grenze zwischen Nordhessen und Westfalen, jedes Jahr im Juli eine Woche lang Schauplatz für tausende Rollenspieler, die beim „Drachenfest“ ihre Liebe zu Rittern, Hobbits und Orks in einer Zeltstadt ausleben. Dort im fachwerkverzierten Zehenthaus von Wethen lebt seit Ende des letzten Jahres der Rock-Manager Rainer Hänsel.

RAINER HÄNSEL – KONZERTVERANSTALTER, MANAGER UND PLATTENPRODUZENT

Der Nürnberger, Mitte 60, erinnert ein wenig an Gandalf. Gut, auch dieser Zauberer raucht Kette, aber er umgibt sich sichtbar mit erotischen Phantasien und Comic-Figuren und sammelt Totenköpfe an Fingern und auf Regalen. Zumindest Letzteres wird Hänsels Profession und Mythos gerecht: Er gilt in Nürnberg als Godfather of Rock&Roll, als Pionier für eine ganze Generation.
Vor exakt 40 Jahren, am 3. September 1977, bespielte er erstmals die ganz große Bühne: Beim ersten deutschen Großfestival auf dem Zeppelinfeld mit Santana, Chicago, Thin Lizzy, Rory Gallagher und Udo Lindenberg. Seine musikalische Heimat aber fand er später im Leben bei „Bee Gee“ Robin Gibb. In Erinnerung an dessen Song-Erbe laufen Hänsel im Gespräch unvermittelt Tränen der Rührung über die Wangen.

ANDREAS RADLMAIER: Lieber Rainer Hänsel, wie geht es Dir?

RAINER HÄNSEL: Naja, die Kräfte der Erosion arbeiten unerbittlich. Aber trotz 30 Jahren Diabetes halte ich mich eigentlich ganz gut.

A.R.: Rückwärts gerechnet heißt das: Du bist seit 1987 Diabetiker.

RAINER HÄNSEL: Kann sein. Damals hat’s mich jedenfalls beim ersten Konzert einer Motörhead-Tournee weggebeamt.

A.R.: Hattest Du eine Ahnung von der Krankheit?

RAINER HÄNSEL: Natürlich nicht. Ich hatte auf der Fahrt nach Hamburg geschlafen und bin dort im Produktionsbüro umgekippt. Dann wurde ich ins Hafenkrankenhaus gebracht und mir wurde eröffnet, dass ich Zucker habe. Anschließend habe ich mich auf eigene Verantwortung entlassen und die Tournee mit Motörhead fortgesetzt und bin anschließend mit Destruction durch Japan getourt. Die Folgen muss ich jetzt erleiden. Aber es geht, ich kann immer noch auf Tournee gehen.

A.R.: Du bist immer noch auf Tour?

RAINER HÄNSEL: Ja, als Tourmanager mit Manowar, weltweit.

A.R.: Ist das immer noch „deine“ Band?

RAINER HÄNSEL: Ja, und sie ist weiterhin riesengroß, mit ausverkauften Hallen und Zusatzshows.

A.R.: Muss, darf man Dich als Godfather of Nuremberg Rock&Roll bezeichnen?

RAINER HÄNSEL: Man kann mich als was auch immer bezeichnen. Aber es stimmt schon: Ich hab’s erfunden.

A.R.: Dann zeichne doch bitte, lieber Pionier, Nachgeborenen… (Wieherndes Gelächter) … ein Bild: Wie muss man sich Nürnbergs Musikszene in dieser Zeit vorstellen?

RAINER HÄNSEL: Es war das nackte Grauen. Es gab fast keine passenden Spielorte, so ging’s schon mal los. Wir mussten nach Fürth in die MTV-Halle ausweichen. Dort hat Kiss dann leider die Hallendecke abgefackelt. Damit war’s vorbei. Es gab also grundsätzlich Schwierigkeiten, Konzerte auf die Beine zu stellen. Die Meistersingerhalle als Kulturtempel stand zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr für Rockkonzerte zur Verfügung. Ray Charles in der Meistersingerhalle war übrigens mein erstes Konzert als Veranstalter gewesen.

A.R.: Wann war das?

RAINER HÄNSEL: Irgendwann in der Steinzeit.

A.R.: 40 Jahre liegen zwischen Nürnbergs erstem Festival auf dem Zeppelinfeld und heute – das sind im Rock&Roll mindestens zwei Hörer-Generationen …

RAINER HÄNSEL: … das sind vier! …

A.R.: Gut vier. Wie präsent ist dieses Festival bei Dir?

RAINER HÄNSEL: Überhaupt nicht. Wir haben’s halt probiert. Das Zeppelinfeld war – und ist es immer noch – ein genialer Veranstaltungsort.

A.R.: Warum?

RAINER HÄNSEL: Wegen der Tribünensituation. Da hat auch der Letzte noch etwas gesehen. Und es gibt natürliche Absperrungen durch die Lage der Tribüne und die Wallanlagen.

A.R.: Wurdest Du damals mit offenen Armen bei den Verantwortlichen in der Stadt für diese Idee empfangen?

RAINER HÄNSEL: (Lacht) Da gab es niemanden mit offenen Armen außer denjenigen, die sich Karten kauften. Es war ein endloser Kampf. Man musste sich ja vor allem mit den amerikanischen Behörden auseinandersetzen, mit der Army, und die war noch schlimmer als die Deutschen.

A.R.: Galt man damals als Rockveranstalter noch eher als misstrauisch beäugtes Individuum?

RAINER HÄNSEL: Als Vollidiot. Und als Melkkuh, die von Gott und der Welt belangt wird.

A.R.: Und: Wurdest Du zurecht misstrauisch beäugt?

RAINER HÄNSEL: Was heißt zurecht? Die nachfolgenden Veranstalter-Generationen haben sich ja verschlimmbessert. Damals war ja im Prinzip alles noch friedlich. Und das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass ein Pärchen in einem Vorgarten kopulierte.

A.R.: Also: Waren Festivals aus heutiger Sicht vogelwilde Veranstaltungen? Ich erinnere da zum Beispiel an die lebhafte Mitwirkung amerikanischer Besatzungssoldaten an Konzerten …

RAINER HÄNSEL: Mittlerweile wollen Städte ja Festivals. Sie bieten Gelände, Dienstleistungen an. Das gab es bei uns nicht. Damals mussten wir uns für jeden Mist verantwortlich zeigen. Das beste Beispiel ist eine Anzeige wegen Verletzung des amerikanischen Luftraums.

A.R.: Ach was?

RAINER HÄNSEL: Ja, weil das Bühnendach auf dem Zeppelinfeld 1,20 Meter über den amerikanischen Schutzzaun des so genannten Soldier’s Field ragte. Ich glaube, ich bin der einzige Deutsche, der in Deutschland auf dem Boden den amerikanischen Luftraum verletzt hat.

A.R.: Aber die Organisation war doch lockerer als heute, oder?

RAINER HÄNSEL: Nein, wir haben uns doch selber reglementiert. Wir hatten panische Angst, dass irgendetwas außerhalb unseres Verantwortungsbereiches passiert. Deshalb waren wir erpicht darauf, alles zu vermeiden, was zu irgendwelchen Ärgernissen führt. Was schwierig war: Denn alles hat zu Ärgernissen geführt, auch ein voller Papierkorb.

A.R.: Mit Dir sind Formate wie „Lieder unter freiem Himmel“, „Monsters of Rock“, „Out in the Green“, „Golden Summernight“ verbunden. Am Festivalmachen hast Du aber irgendwann die Lust verloren. Warum?

RAINER HÄNSEL: Man macht im Leben verschiedene Phasen durch. Und ich bin mir selber auf der Autobahn Würzburg – Leipzig begegnet, weil ich ständig unterwegs war. Privatleben gab es nicht. Dann ermüdet man zu einem bestimmten Punkt, und die Attraktivität geht verloren.

A.R.: Weil?

RAINER HÄNSEL: Du, geh‘ mal zur Post und sortiere dort zehn Jahre lang Briefe, dann hast Du auch die Nase voll. Irgendwann ist halt die Luft raus. Dann habe ich begonnen, Schallplatten zu produzieren, weil man das auch nur an einem Ort machen konnte.

A.R.: Der legendäre Veranstalter Fritz Rau galt ein wenig als Dein Ziehvater. Stimmt das?

RAINER HÄNSEL: Ja, das kann man sagen.

A.R.: Ähnlich wie er warst Du gefürchtet für Deine Gefühlsausbrüche. Oder ist das üble Nachrede?

RAINER HÄNSEL: Nein, das stimmt – zum Teil! Ich kann das natürlich schlecht beurteilen, aber: Ja, das ist wohl wahr …

A.R.: Und wie ist das heute?

RAINER HÄNSEL: Man wird älter. Und ruhiger.

A.R.: Wie hat sich denn die Branche in dieser Zeit verändert?

RAINER HÄNSEL: Das ist eine schwierige Frage. Zunächst mal hat sich das Publikum verändert. Früher wurden die Bands älter, aber das Publikum nicht. Mittlerweile hat sich das durch das ganze Computerspiel-Larifari stark geändert. Es kommen keine Fangruppen mehr nach. Die Verjüngung findet nicht mehr statt. Und dann gibt’s ein deutliches Überangebot. Der Markt wird totgeschlagen.

A.R.: Schon in den 70er Jahren ätzte ja Frank Zappa „We’re only in it for the money“. Ging’s beim Rock&Roll den Strippenziehern schon immer nur um das Geldverdienen?

RAINER HÄNSEL: Naja, das stimmt nicht ganz. Franz Zappas Spruch ist eine Übertreibung. Ich kannte ihn ja gut, er war schon – lustig. Aber warum beschränkt man Geldverdienen auf Rock&Roll? Fußball wäre ein schönes Gegenbeispiel. Ich habe noch niemals 220 Millionen ausgegeben, geschweige denn für eine einzige Person. Wenn man das so verknappt, ist jede Form von Kulturarbeit Geldschneiderei.

A.R.: Dennoch: Sind die Idealisten auf dem Rückzug?

RAINER HÄNSEL: Natürlich, schau‘ doch unsere Politiker an. Genauso ist es in anderen Bereichen. Es fehlt der Charakter, und der fehlt überall.

A.R.: Es geht also vorwiegend um die Optimierung von Bilanzen?

RAINER HÄNSEL: Wenn ich mir Peter Harasim (Anm. der Red.: Nürnberger Konzertveranstalter) anschaue, dann ist dem nicht so. Das ist einer von der alten Garde, der begeisterungsfähig ist und zu seinen Sachen steht. Aber im Großen und Ganzen gebe ich Dir recht.

A.R.: Du hast vor dem Zeppelinfeld ja schon Rockkonzerte veranstaltet. Wie bist du überhaupt in dem Metier gelandet?

RAINER HÄNSEL: Ich musste mein Studium finanzieren.

A.R.: Was hast Du studiert?

RAINER HÄNSEL: Auf Lehramt. Deutsch, Sozialkunde und Geschichte, die Wald-und-Wiesenfächer. Meine Eltern hatten kein Geld, also habe ich nebenbei gejobbt. Ich habe für die Konzertdirektion Hörtnagel plakatiert und bin allmählich in der örtlichen Crew aufgestiegen.

A.R.: Wie alt warst Du denn, als Du Santana auf dem Zeppelinfeld organisierst hast?

RAINER HÄNSEL: Keine Ahnung.

A.R.: Du bist alterslos?

RAINER HÄNSEL: Genau.

A.R.: Deine große Liebe galt immer dem Hard Rock, dem Heavy Metal in allen Spielarten. Warum das?

RAINER HÄNSEL: Weil es für mich die ursprünglichste Form des Musikschaffens ist. Sehr emotional in seiner Kraft.

A.R.: Darunter waren viele – ich denke an Motörhead und Manowar -, die in puncto Phonsturm weltweit Maßstäbe setzten. Wie schaut’s mit Deinem Hörvermögen aus?

RAINER HÄNSEL: Gut. Dieses Organ hat am wenigsten gelitten.

A.R.: Du hast auch viele Karrieren befördert, warst und bist Produzent und Promoter. Ich erinnere mich an ein schönes Erlebnis in Deiner Wohnung in Langwasser, wo eine junge, australische Band namens AC/DC im Wohnzimmer auf dem Fußboden übernachtet hat. Würdest Du Dir einen guten Instinkt attestieren, was Talent und Chancen angeht?

RAINER HÄNSEL: Ich habe, glaube ich, schon ein gewisses Gespür. Ich habe die ersten Tourneen mit AC/DC gemacht, bis zum Tode von Sänger Bon Scott. Bei der dritten Tour haben sie dann bei mir im Wohnzimmer geschlafen, weil wir die ganze Gage in die Backline gesteckt haben. Da mussten wir nach jedem Konzert zum Schlafen nach Nürnberg zurück. Meine Frau war gerade schwanger. Schlagzeuger Phil Rudd ging jeden Morgen in Langwasser in den Supermarkt und hat Ovomaltine für meine Frau gekauft, damit es ein schönes Kind wird.

A.R.: AC/DC und andere haben dann Weltkarrieren hingelegt – ohne Rainer Hänsel. Ist die Branche denkbar undankbar?

RAINER HÄNSEL: Bei AC/DC und lustigerweise dann später auch noch bei Metallica bin ich gescheitert an dem Faktum, dass ich einen deutschen Pass habe. Das amerikanische Business ist eben zu 90 Prozent in jüdischer Hand. Und da mochte man uns zumindest damals nicht besonders. Das bedeutete mein Ende bei AC/DC. Die Band hat versucht, mit dem „Back in Black“-Album Amerika zu erobern, was ja auch funktioniert hat, und hat dafür ein amerikanisches Management genommen, ein gewisser Peter Mensch, der im ersten Band-Meeting sagte: „The fucking German has to go.“ Damit war ich weg vom Fenster. Dasselbe ist mir mit demselben Manager bei Metallica wieder passiert.

A.R.: War das schlimm?

RAINER HÄNSEL: Ja, denn ich komme aus einer Sozialistenfamilie. Ich hatte mit braunen Gedanken nichts am Hut, wurde aber ein Leben dafür abgestraft.

A.R.: Wärst Du heute in einer anderen Lebenslage, wenn Du weiterhin für AC/DC und Metallica gearbeitet hättest?

RAINER HÄNSEL: Ja, denn ich hätte gewisse Dinge anders gemacht. Zum Beispiel den Selbstschutz. Heutzutage wird das Geschäft von Steuerberatern und Anwälten kontrolliert. Mit entsprechenden Knebelverträgen. Wir haben damals mit Handschlag gearbeitet. Und je mehr die Steuerberater und Juristen das Kommando übernommen haben, desto weniger hat das Wort gezählt.

A.R.: Nenne uns doch fünf Lieblinge aus den vielen Jahren.

RAINER HÄNSEL: Schwierig. Auf alle Fälle AC/DC, lustigerweise die Bee Gees, Manowar, mit denen ich seit 34 Jahren zusammen bin, Motörhead – obwohl ich nie einer Meinung war mit Motörhead-Mastermind Lemmy Kilmister.

A.R.: Ich wart Euch aber ziemlich ähnlich, oder?

RAINER HÄNSEL: Naja, ich bin kein Faschist, bin ich nie gewesen.

A.R.: War das nicht Attitüde bei Lemmy?

RAINER HÄNSEL: Ne. Man findet übrigens in Musikerkreisen sehr viele Rechtsradikale, besonders in der harten Musik. Naja, ist so …

A.R.: Stößt Dich das ab?

RAINER HÄNSEL: Nein, denn man muss sich mit allem auseinandersetzen. Das ist eine Form von Toleranz. Ich war damals der Erste, der die Böhsen Onkelz angefasst hat. Mittlerweile kommen 110.000 Menschen und alle finden es lustig. Damals wurden bei mir zuhause von Linken die Fensterscheiben eingeworfen.

A.R.: Gab und gibt es Künstler, die zu Freunden wurden?

RAINER HÄNSEL: Ja, Manowar zum Beispiel. Joey DeMaio ist mein bester Freund, würde ich sagen. Robin Gibb war einer meiner besten Freunde. Ein großartiger Mensch.

A.R.: Wie lange warst Du mit ihm unterwegs?

RAINER HÄNSEL: 15 Jahre. Und wir waren wirklich überall, inklusive Rotchina. Die Bee Gees waren in China größer als alle Anderen. China ist eine Karaoke-Gesellschaft. Es gibt keine Geschäftsbesprechung ohne Karaoke. Das ist lästig, vor allem, wenn man nicht singen will. Die Bee Gees sind sehr Karaoke-freundlich, denn das kann jeder mitsingen. Wir hatten beim Debüt mit Robin Gibb in Hongkong 45.000 Besucher.

A.R.: Eine Lieblingsanekdote aus den Tiefen des Showbiz, bitte!

RAINER HÄNSEL: Keine Ahnung … doch eine vielleicht. Ich hatte damals bei Gibb einen Co-Manager, der ein komplettes Arschloch war, aus der Kategorie Verbrecher. Hongkong, das erste Mal mit Robin Gibb. Der Veranstalter war der Tycoon von Hongkong. Ein Tycoon ist die örtliche Mafia, nichts anderes. Und dieser Herr, der im übrigen große Filmstars managt, kam zum Frühstücken ins Hotel zu mir und sagte zu mir: Du hast ein Problem mit einer bestimmten Person und was willst Du dagegen tun? Nix, sagte ich, ist halt so. Wir regeln solche Sachen, meinte der Tycoon, manche Leute wollen einfach verloren gehen. Ich regel das für dich. Das Hafenbecken ist groß. Ich habe mich daraufhin vielmals bedankt und von seinem Plan Abstand genommen.

A.R.: Was schätzst Du, wieviele Konzerte Du in Deinem Leben besucht oder organisiert hast?

RAINER HÄNSEL: Kann ich Dir nicht sagen.

A.R.: Lässt sich da das Eindrucksvollste abspeichern?

RAINER HÄNSEL: Vielleicht die erste Begegnung mit Robin Gibb. Der erste Schritt war eine Deutschland-Tournee. Zuvor haben wir mit Orchester und Band eine Woche lang in der Stadthalle von Großumstadt geprobt ... Und dann kam Robin zum Durchlauf. Da stellte ich fest, dass in jeder Phase meines Lebens ein Bee-Gees-Song da war. Das war mir nie bewusst … (bricht unter Tränen ab).

A.R.: Vermutet man ja auch nicht bei einem Verfechter des harten Rock. Es war der Soundtrack Deines Lebens?

RAINER HÄNSEL: (Nickt stumm)

A.R.: War die Begegnung mit Robin Gibb das wichtigste Ereignis in deinem bisherigen Leben?

RAINER HÄNSEL: Würde ich schon sagen.

A.R.: Wichtiger als Familie?

RAINER HÄNSEL: Familie war immer sekundär.

A.R.: Bist Du ein Verrückter?

RAINER HÄNSEL: Wahrscheinlich.

A.R.: Rücksichtslos gegen Dich selber und Deine Umgebung?

RAINER HÄNSEL: Wahrscheinlich.

A.R.: Und was war bislang das schlimmstes Ereignis für Dich?

RAINER HÄNSEL: Led Zeppelin in Nürnberg. Da kollabierte Schlagzeuger John Bonham nach drei Songs auf der Bühne (er starb dann ja auch zwei Konzerte später). Showabbruch. Da ging’s ab im wütenden Publikum! Meine Frau war schwanger, und ich hatte das Problem, sie heil aus der Halle herauszubekommen.

A.R.: Hast Du nie daran gedacht, all die Geschichten niederzuschreiben?

RAINER HÄNSEL: Doch, aber die meisten leben ja alle noch. Das tut man nicht.

A.R.: Ist die große Zeit des Heavy Rock Deiner Meinung nach vorbei?

RAINER HÄNSEL: Wen gibt’s denn noch? Also eher ja.

A.R.: Welche musikalischen Entwicklungen interessieren Dich denn?

RAINER HÄNSEL: Im Pop-Bereich gibt es durchaus spannende Dinge. Mein Eindruck ist, dass im Metal alles erstarrt ist wie erkaltende Lava, keine Spannung mehr vorhanden ist, im Pop schon. Rag&Bone Man zum Beispiel – phantastisch.

A.R.: Was macht ein Rock&Roller wie Du in der Abgeschiedenheit eines Dorfes an der hessisch-westfälischen Grenze?

RAINER HÄNSEL: Komische Frage. Ich habe zwei Drittel meines Lebens in Großstädten verbracht, da ist es ganz schön, wenn man mal seine Ruhe hat.

A.R.: Wie bist Du hier gelandet?

RAINER HÄNSEL: Es hat in der Nähe ein Tonstudio gegeben, wo ich viel produziert habe. Ich habe in Hamburg gewohnt und musste dauernd hin und her pendeln. Das war mir irgendwann zu blöd. Ich fand ein Haus, das mich fasziniert hat und bin hierher gezogen.

A.R.: Was machst Du am 3. September 2017?

RAINER HÄNSEL: Keine Ahnung. Was ist da?

A.R.: Naja, der 40 Jahrestag des Zeppelinfeld-Open-Airs.

RAINER HÄNSEL: Ah, okay.

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RAINER HÄNSEL
Der Konzertveranstalter, Manager und Plattenproduzent, der eigentlich Lehrer werden wollte, galt in Nürnberg als „Godfather of Rock&Roll“, er organisierte vor exakt 40 Jahren das erste, große, deutsche Rockfestival mit Santana, Chicago, Thin Lizzy und Udo Lindenberg auf dem Zeppelinfeld. Bob Dylan und The Who ließ er folgen. Rainer Hänsels Name ist eng mit Festivalformaten wie „Lieder unter freiem Himmel, „Golden Summernight“ und „Monsters of Rock“ verbunden. Er entdeckte die Hemmerleinhalle in Neunkirchen am Brand als Musikhalle für sich, organisierte die ersten Tourneen von AC/DC und Metallica, betreute Wolfgang Ambros ebenso wie Lady Gaga, produzierte über 160 Alben von Motörhead bis Blue Oyster Cult, war Weltmanager von Robin Gibb und war bis zu seinem Tod immer noch mit Manowar, der anerkannt lautesten Band der Welt, um den Globus unterwegs.
Zuletzt lebte der Mittsechziger, der mehrfach verheiratet war und eine Tochter hinterläßt, mit zwei, weißen, kanadischen Schäferhunden in dem Dörfchen Wethen an der hessisch-westfälischen Grenze. Wenige Wochen nach diesem Interview ist er Anfang Oktober 2017 verstorben.

FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
Andreas verantwortet u.a. das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain ...
Als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat ist Andreas  verantwortlich für o.g. Festivals, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale – Formate, die curt journalistisch begleitet. Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig. Studium der Altphilologie, Englisch, Geschichte. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.

FOTOS:
Berny Meyer, berny-meyer.de
 




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