Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Sebastian Tröger

MITTWOCH, 26. OKTOBER 2016

#Andreas Radlmaier, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kolumne, #Kunst

In einer Ecke ein Gepäckwagen mit diversen Instrumentenkoffern, die darauf festgezurrt sind, die Wände des Ateliers bilderlos weiß. Sebastian Tröger, der am 7. November in der Tafelhalle einen der diesjährigen städtischen Kulturpreise überreicht bekommt, muss seine Nürnberger Arbeitsstätte unweit der Sulzbacher Straße an diesem Tag aber noch exemplarisch und effektvoll bestücken mit Bildern, die sich im Gang reichlich stapeln. Schließlich hat sich eine Gruppe zum Atelierbesuch angesagt. Aus der Ruhe bringt ihn das nicht. Beim morgendlichen Gespräch hat der 30-jährige Künstler bereits problemlos Betriebstemperatur. Mit zwei kleinen Kindern ist die Nacht früh zu Ende.
 


AR: Wie geht das zusammen: Vaterfreuden und künstlerische Selbstverwirklichung?

Sebastian Tröger: Durch gute Organisation. Das ist sicher ein neuer Lebensabschnitt. Aber ich finde die Erfahrung schön. Jetzt ist man noch naiv und frisch genug, beides hinzubekommen. Davor gab es auch schon im Studium ein starres Gerüst aus Seminaren, Terminen und Kursen. Man muss sich jetzt eben die Freiräume schaffen und nachts arbeiten.

AR: Und die Kinder sollen auch mal Künstler werden?

Sebastian Tröger: Ja, unbedingt (lacht.) Oskar ist gerade ein Jahr alt geworden, Mathilda vor kurzem vier. Da wird es heute höchste Zeit für die Berufswahl.

AR: Ihre Tätigkeiten lassen in der Tat auf einen disziplinierten Zeitgenossen schließen. Stimmt das?

Sebastian Tröger: Organisiert muss man schon sein. Ich fand es schon immer wichtig, an vielen Ausstellungen teilzunehmen, weil dann etwas mit deiner Arbeit, deiner Kunst passiert, sie nicht nur im Atelier hängt. Klar muss man dann parallel vieles erledigen, von Pressetexte schreiben bis Unterkünfte besorgen

AR: Ihre Ausstellungsbeteiligungen sind wirklich beeindruckend. Wie haben Sie das gemacht?

Sebastian Tröger: Da sind schon viele Off-Räume dabei, nicht nur etablierte Institutionen, aber das hat mir in der Vergangenheit oft auch ein Austesten ermöglicht. Viele Professoren sind ja der Meinung, dass die Ausstellung gar nicht das Ziel ist, sondern sich selber erst mal klar zu werden, worum es geht, und dann erst nach dem Studium nach außen zu treten. Das kann auch eine Möglichkeit sein. Bestandteil des Kunstmarktes zu sein, bedeutet für mich aber, diese Institutionen kennenzulernen. Wie sind Off-Räume strukturiert? Wie funktionieren museale Strukturen? Diese Fragen sind mittlerweile auch Bestandteil meiner Herangehensweise.

AR: Unter den Adressen findet sich aber zum Beispiel auch das Museum Ludwig in Budapest. Ist das nun ein Qualitätssiegel Tröger oder seine Hartnäckigkeit?

Sebastian Tröger: Beides würde ich sagen. Natürlich adelt es einen, mal in so einem großen Haus mit ausstellen zu dürfen. Andererseits pflegt man oft Kontakte über mehrere Jahre, bis daraus etwas entsteht.

AR: Haben Sie es also „geschafft“?

Sebastian Tröger: Aus monetärer Sicht bin ich weit davon entfernt. Etwas zu schaffen, ist eh ein lebenslanger Weg: sich mit den Dingen, die uns umgeben und sich dauernd verändern, zu beschäftigen.

AR: In der renommierten Kunsthalle Würth waren Sie soeben neben Emil Nolde und Anselm Kiefer, Roy Lichtenstein und Alex Katz vertreten. Wie fühlt sich das dann an?

Sebastian Tröger: Am Honigkelch zu nippen. Vom Hotel bis zur Eröffnung – alles befindet sich in einer etwas anderen Kategorie. Da fühlt sich die Selbstdarstellung angenehm an.

AR: Also, nochmals nachgehakt: Ist das ein Ritterschlag? Oder Ergebnis von Zufällen?

Sebastian Tröger: Zufall würde ich nicht sagen. Es steckt ja doch eine Menge Vorarbeit dahinter. Ausstellungen, Galerien als Mittler, schließlich Ankäufe, die dann thematisch in eine Gruppenschau passen müssen.

AR: Die Sammlung Würth besitzt also auch Sebastian Tröger?

Sebastian Tröger: Ja, bislang drei Stück. Bei der von Ihnen genannten Ausstellung waren – muss man ergänzen – 150 Künstler mit 240 Arbeiten dabei. Herr Würth hat das auch bei der Eröffnung betont, dass Namen dabei sind, die man jetzt womöglich noch nicht so kennt, aber vielleicht irgendwann. Das motiviert dann, Sammlern zu begegnen, die den Förderaspekt vor Augen haben.

AR: In Ihrem „Manifest der Liebe und der Kunst“ gibt es einen Passus, wo es heißt, „wir sind die Tradition von morgen“. Zielt das in diese Richtung?

Sebastian Tröger: Die Geschichtsschreibung schreitet unentwegt voran. Irgendwann wird es auch meine Künstlergeneration nicht mehr geben. Und andere schauen auf unsere Kunst zurück, bemerken vielleicht auch Veränderungen. Dahinter steckt natürlich die Hoffnung, dass von uns etwas bleibt.

AR: Was wäre das Wegweisende an der Kunst von Sebastian Tröger?

Sebastian Tröger: Ob man das mit 30 schon sagen kann? Ich finde es wichtig, den Ist-Zustand mit Humor zu hinterfragen. Das könnte irgendwann sich als kennzeichnend für unsere Epoche herausstellen: Anders mit Medien und Inhalten umzugehen als noch in der Generation zuvor.

AR: Jetzt haben Sie Malerei studiert. Die gilt ja schon lange als tot.

Sebastian Tröger: Das ist eine Motivation der Malerei, seitdem sie es gibt: Dass sie für tot erklärt wird. Ich habe bei Michael Munding studiert. Da war Malerei die gemeinsame Basis. Aber ganz schnell ging es auch weg davon, hin zur Frage: Was kann Malerei heute noch leisten? Dass ich mich dafür entscheide, ist auch ein pathetischer, romantisch-verklärter Gestus. Ich mag es, mit Bleistift auf Papier, mit Ölfarbe auf Leinwand zu arbeiten, aber wenn das fertige Bild an der Wand hängt, kommt automatisch die schwere Last der Jahrhunderte hinzu, die da mitschwingt. Insofern ist die Gefahr, dass ein Bild an der Malerei stirbt, immer gegeben, dass man leichter scheitern kann als an den „neuen“ Medien, wo man eine andere Reverenz hat, eine andere Vergangenheit, einen anderen Kontext.

AR: Sie sind – so der Eindruck – ein wenig Wanderer zwischen den Welten, zwischen den Genres, zwischen Galerie und Straßenmusik oder Soundlabor. Ist diese Einschätzung falsch?

Sebastian Tröger: Ich gehe schon unterschiedlich ran. Auf die Musik bezogen: Die habe ich ja nicht studiert …

AR: Wie kamen Sie überhaupt zur Musik?

Sebastian Tröger: Wie so oft: Vermutlich das Elternhaus. Bei meinem Vater liefen immer Stones und Beatles.

AR: Eine musische Familie?

Sebastian Tröger: Nicht professionalisiert, eher die Nachwehen der 68er. Der eine Bruder hat Klavier gelernt und dann Lehramt Englisch-Französisch, ist aber ein hervorragender Jazz-Pianist. Der jüngere Bruder studiert gerade an der Nürnberger Kunstakademie bei Michael Hakimi. Der ältere ist der Musik-Nerd. Mich hat immer Schlagzeug interessiert. Was in der Wohnung der Eltern nur begrenzt umsetzbar war. Ich habe mir ein paar Instrumente selber beigebracht, Gitarre, Bass. Mit diesem diffusen Musik-Wissen ging ich 2010 nach Karlsruhe an die dortige Hochschule, an den Fachbereich Medienkunst und Sound. Dort habe ich das, was mir immer gefehlt hat, nämlich allein Musik zu machen, besser kennengelernt. Sich nicht mit fünf Leuten in einer Band zu organisieren, sondern mit weniger Zeit und einem Drum-Computer und analogen Synthesizern.

AR: Sind Sie ein Tüftler und Bastler?

Sebastian Tröger: Ja, das lässt sich wahrscheinlich auch auf die andere Kunst übertragen. Die reine Feinarbeit ist nicht so meins. Da bin ich wohl auch etwas zu sprunghaft. Aber zu testen, was man zusammenbringen kann, auch mit der Gefahr, dass es nach hinten los geht, finde ich reizvoll. Man muss ja dynamisch bleiben.

AR: Gibt es Schnittmengen zwischen Sehen und Hören?

Sebastian Tröger: Ich höre keine Farben, sehe wenig Töne! Es hat für mich inhaltliche Überschneidungen. Ich gehe mit Musik ähnlich um wie mit Malerei. Intuitiv und angstlos. Das hängt natürlich mit Unwissenheit zusammen, mit einer Naivität, die ich mir gerne erhalte.

AR: Was befördert Naivität?

Sebastian Tröger: Unbefangener an Dinge heranzugehen. Das ist freilich eine Lüge, denn je mehr man sich mit etwas beschäftigt, umso mehr weiß und kann man allmählich. Dann wünscht man sich irgendwann den Urzustand zurück.

AR: Vergleichbar mit Picassos Bonmot von der Sehnsucht nach dem ewigen Kindsein?

Sebastian Tröger: Naja, eher einen bestimmten Teil davon. Die Reflektiertheit will man, glaube ich, schon auch, um Weiteres zu schaffen.

AR: Wie gelingt das dann?

Sebastian Tröger: Durch Poly-Schizophrenie vielleicht?! Nein, indem man letztendlich die Dinge sehr bewusst wahrnimmt.

AR: Ist das Unterwegssein auf verschiedenen Gebieten auch Teil der Inspiration?

Sebastian Tröger: Das wohl am meisten. Es ist nicht so, dass ich mich nicht lange mit etwas beschäftigen kann, weil es mir zu anstrengend ist und ich mir dann denke, jetzt spiele ich dazwischen mal hier einen schlechten Blues, male dort ein krummes Bild. Die einzelnen Bereiche entwickeln sich parallel weiter. Und das Vernetztsein etwa mit Musik-Informatikern bringen andere Gedanken, die dann auch in gute Malerei münden können.

AR: Und Sie haben nie Sorge, sich zu verzetteln?

Sebastian Tröger: Ich verzettle mich vermutlich dauernd. Da ist es spannend, wie kommt man aus den Sackgassen wieder raus. Es ist ja eine Scheinrealität, dass es abgesicherte Wege gibt.

AR: Mit dieser Neugier sind Sie bislang ja gut gefahren. Seit 2014 sind Sie Lehrbeauftragter für Medienkunst/Sound an der Nürnberger Kunsthochschule. Was darf man sich unter dieser Tätigkeit vorstellen?

Sebastian Tröger: Das Kennenlernen von Werkzeugen und Computerprogrammen. Das kann ganz klassisch für die Tonspur beim Film sein. Aber wenn Studenten Interesse daran haben, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, führt es auch davon weg. Das heißt dann „Hören und Sprechen – über die Geschichte der akustischen Kunst“. Das fängt um 1900 an, führt über John Cage und die Fluxus-Bewegung bis zu den Soundkünstlern von heute. Und über den Weg kommen viele dazu, diese Geräte auch einmal selbst ausprobieren zu wollen. Ziel meinerseits ist schon, am Ende des Semesters eine Präsentation zu machen, bei Radio-Z oder dem „Gegenstrom“-Festival in der Desi.

AR: Und was hat nun diese Sound-Art mit der Straßenmusik Ihrer Gruppe Leinwand zu tun?

Sebastian Tröger: Die Inhaltlichkeit. Den Gruppennamen gab es schon, bevor ich dazu gestoßen bin.

AR: Seit 2007 gibt’s Leinwand, oder?

Sebastian Tröger: Sogar noch länger. Das ist eine lose Formation, zu der Freunde aus Chemnitz und mein Bruder gehören und die sich einmal im Vierteljahr trifft. Da bringt jeder seine Texte und musikalischen Ideen mit. Jetzt nehmen wir gerade eine neue CD auf, die wir nächstes Jahr – wenn wir zum 10. Mal im Rahmen des Bardentreffens auf der Straße spielen – präsentieren wollen. Die Geschichten, die dort stattfinden, befinden sich für mich auf der gleichen Ebene wie Themen, die auf der Leinwand passieren

AR: Ist dieses Liedermaching nicht konservativ?

Sebastian Tröger: Da schwingt der ganze Komplex Volkslied mit und die Frage, wie gehe ich mit meiner eigenen Sprache um? Insofern ist das ein spannendes Thema, weil in Deutschland das Volkslied vielleicht genauso vom Aussterben bedroht ist wie die Malerei. Wir machen ja keine klassischen Volkslieder …

AR: Dann nennen Sie doch mal Säulenheilige, bitte.

Sebastian Tröger: Element Of Crime kann man heraushören. Auch Gisbert zu Knyp-hausen, Olli Schulz und Wanda.

AR: In der Selbstbeschreibung der Band steht: „Leinwand ist keine Wissenschaft, sondern eine Ausstechform fürs Kopfkino“. Trifft das auch für die elektronische Seite des Sebastian Tröger zu?

Sebastian Tröger: Nicht unbedingt. Die elektronische Musik ist eher beeinflusst vom wissenschaftlichen Herangehen oder kunstgeschichtlichen Ideen, Leinwand ist vom Prinzip her wenig akademisch.

AR: Ihre elektronischen Stücke nennen Sie „Kleine Nachtmusik für Kunstliebhaber“ und „Reise zum Glück“. Wie ernst sollte man sich und seine Musik nehmen?

Sebastian Tröger: Ernsthaft schon, aber nicht ernst. Der Humor, die Ironie, der Sarkasmus kann manchmal auch gut Türen öffnen. Wenn Künstler verbissen, mit Fleiß, aber ohne Herzblut Dinge vorantreiben, wird’s schwierig.

AR: Gibt es zu wenig Humor in der Kunst von heute?

Sebastian Tröger: Glaube ich nicht. Es gibt viele Beiträge, die einen künstlerischen Witz haben.

AR: Sie hatten nie das Problem, Ihre Arbeiten an die Frau, an den Mann zu bringen, oder?

Sebastian Tröger: Da hat man schon immer Aufs und Abs. Da verkauft man ein halbes Jahr gar nichts und dann fünf, sechs Arbeiten auf einmal. Im Jahresmittel kann es dann zum doppelten 450-Euro-Job langen, aber reich werde ich momentan nicht damit.

AR: Die 2.500 Euro des städtischen Kulturstipendiums sind also bereits verplant?

Sebastian Tröger: Naja, bei der Preisverleihung plane ich eine Performance, die auch wieder nicht ganz billig wird. Da muss ich gut wirtschaften, dass noch etwas übrigbleibt.



FOTOS: CRISTOPHER CIVITILLO. www.cris-c.de

FÜR NÜRNBERG: SEBASTIAN TRÖGER
Sebastian Tröger (30) wuchs mit zwei ebenfalls musisch veranlagten Brüdern (der ist Pianist, der andere studiert Kunst) in Erlangen auf und machte dort das Abitur in Mathematik und Kunst. Anschließend studierte er an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, zuletzt in der Klasse Jürgen Teller, sowie an der Hochschule für Gestaltung und der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Er ist Meisterschüler von Prof. Michael Munding und Lehrbeaufragter für Medienkunst Sound an der Nürnberger Kunstakademie. Mit 20 gewann er seinen ersten Kunstpreis (Kunstpreis Langwasser), Akademiepreis und Atelierstipendium des Freistaats Bayern folgten. Umfangreiche Ausstellungstätigkeiten zwischen Hamburg, Wien und Budapest (Museum Ludwig). Sebastian Tröger macht mit der Liedermacher-Band Leinwand auch seit einem Jahrzehnt Straßenmusik. Er lebt mit Lebensgefährten und zwei Kindern (4 und 1 Jahr) in Nürnberg.

FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
Andreas verantwortet u.a. das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain ...
Andreas Radlmaier und curt stehen seit Jahren beruflich im Kontakt, denn als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat ist er verantwortlich für oben genannte Festivals, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale. Einen Großteil dieser Formate begleitet curt journalistisch. Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig. Studium der Altphilologie, Englisch und Geschichte. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für seine kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.




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