Menschenrechte in die Kongresshalle! ...und andere Fiktionen

DONNERSTAG, 27. JUNI 2024

#Fiktionen, #Kongresshalle, #Kunstkommentar, #Kunstreview, #Menschenrechte, #Silvan Wilms

Ein Kommentar von Silvan Wilms

Es ist beschlossene Sache: Die Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände wird ausgebaut zum „Kulturareal Kongresshalle“. Neben den sogenannten „Ermöglichungsräumen“ für Künstler:innen zieht auch das Staatstheater mit den Sparten Oper
und Ballett in das im Volksmund auch als Kolosseum bezeichnete NS-Gebäude ein. Kritik an diesen Plänen gibt es reichlich, und so wird es wohl auch bleiben.
Insbesondere der Bau des neuen Opernhauses im Innenhof wird nicht grundlos von vielen äußerst skeptisch betrachtet. Die Verantwortlichen sehen das selbstverständlich anders. Der Innenhof sei von vergleichsweise geringer historischer Relevanz, da die Kongresshalle nie fertiggestellt und folglich auch nicht für Verbrechen oder Propagandaveranstaltung des NS-Regimes verwendet worden sei, so eine Argumentation. Mitunter liest man gar Formulierungen, die behaupten, der unaufgeräumte Innenhof sei doch nichts weiter als eine heruntergekommene Backsteinmauer. Schlussfolgerung: „Anything goes“. Aus einem NS-Propaganda-Bau wird ein Ort der gehobenen Unterhaltung, des Entertainments also.

Erste Fiktion: Der Innenhof ist für die Erinnerungsarbeit nicht so wichtig.
Den Innenhof der Kongresshalle auf eine marode Backsteinmauer zu reduzieren ist in etwa so absurd, als würde man den Todesstreifen der Berliner Mauer als gewöhnliches Stück Rasen bezeichnen. Eine rhetorische Spitzfindigkeit, die an der Realität der Wirkung effektiv vorbeiargumentiert. Nun wird mit den bewusst belassenen Bestandteilen der Berliner Mauer an verschiedenen Stellen auf unterschiedlichste Weise ein Umgang mit der Geschichte gelebt. Die Berliner Mauer ist allerdings auch kein spezifischer Ort, kein in sich geschlossenes Bauwerk, wie die Kongresshalle, deren Wirkung sich mit Sicherheit nicht in einer maroden Backsteinmauer erschöpft: eine Wirkung, die dieses Gebäude, unvollendet oder nicht, in seiner Monumentalität unausweichlich innehat. Das Pathos dieses Ortes ist keine von außen auferlegte Bedeutung, die sich „weg-intellektualisieren“ ließe. Es ist schlichtweg nicht zu leugnen. Auch ein unbefangenes Auge, ohne jedes Wissen über die Historie der Kongresshalle, wird in diesem Bau nichts Gewöhnliches finden. Seine Wirkung ist nicht neutralisierbar und das Gebäude nicht demokratisierbar. Der Innenhof ist keine marode Mauer, sondern ein Raum von gigantischen Ausmaßen: das Innere des größten erhaltenen Beispiels nationalsozialistischer Propagandaarchitektur. Ein auratischer Raum, nicht nur in seiner visuellen Monstrosität, sondern auch in seiner akustischen Dimension. Man achte nur einmal auf den schluchtartigen Hall, der sich entlang besagter Backsteinmauer durch das steinerne Halbrund echoooot …
 
Zweite Fiktion: Mit Kunst und Kultur wird das NS-Erbe automatisch demokratisch überformt
Ob nun ausgerechnet die Oper dazu geeignet ist, einen Bruch in dieser Wirkung zu erzeugen, anstatt das Pathos noch zu bestärken, ist bei allem Wohlwollen gegenüber dieser ehrwürdigen, hochkulturellen Kunstform eher fragwürdig.
Wäre die Halle fertig gebaut worden, plante Hitler übrigens darin eine Orgel installieren zu lassen. Und auch, dass die Kongresshalle als Ort für zeitgenössische Kunst relevant sein solle, war seiner Ideologie nicht fremd. Um fair zu sein: Im fanatischen NS-Regime, welches strikt zwischen „entarteter“ und „artreiner“ Kunst unterschied, hätte man sich sicherlich etwas anderes für die Kongresshalle vorgestellt als das, was in Zukunft in den „Ermöglichungsräumen“ stattfinden mag. Und doch darf und muss man sich in diesem Lichte fragen, ob eine Institutionalisierung der Kunst an diesem Ort wirklich einen verantwortungsvollen Beitrag zur Erinnerungskultur darstellt, oder ob man nicht Gefahr läuft, hier leichtsinnig Teile einer Ideologie einzulösen, von der man sich immer und gerade im Umgang mit einem Erbe wie der Kongresshalle vehement distanzieren muss.
 
Dritte Fiktion: Kunst ist frei. Immer und überall
Ungeachtet dessen werden sich Kunst und Kultur, die in der Kongresshalle stattfinden, zwangsläufig zu deren Wirkung und Geschichte verhalten. Kultur geschieht nicht ohne Kontext, und der Kontext der Kongresshalle ist keiner, dem sich vor Ort entfliehen lässt. Kunstwerke, Ausstellungen, Inszenierungen, die hier geschehen, werden notwendigerweise dem Schatten der Geschichte begegnen müssen. Versuchen sie es nicht zu tun, tun sie es trotzdem, und zwar mit Ignoranz. Er ist eine Bürde, die dauerhaft nicht tragbar ist. So ist die Verstetigung von Kunst in der Kongresshalle nicht nur ein Bärendienst an der dortigen Erinnerungsarbeit, sondern auch an der Kunst selbst, die hier in einen derart er-
drückenden Kontext gezwungen ist, dass sie unweigerlich unfrei wird.
Das heißt nicht, dass Kunst und Kultur an diesem Ort nicht stattfinden können. Wenn sie sich bewusst und freiwillig in die Auseinandersetzung mit dem Bau, seiner Wirkung und seiner Geschichte begibt, immer dann, wenn sie sich der Verantwortung dieser Bürde dezidiert stellt, kann Kunst großartige Beiträge zum Umgang mit der Kongresshalle liefern. Das kann sie aber nur dann, wenn sie sich konkret dazu entscheidet und nicht per se in einem solchen Gebäude untergebracht ist. Sie kann es dann, wenn sie ephemer geschieht, und nicht institutionalisiert in diesem propagandistischen Kessel fixiert.
 
Das Dokumentationszentrum, welches als Institution seit 2001 im nördlichen Kopfbau der Kongresshalle existiert, funktioniert deshalb, weil die Auseinandersetzung mit der Geschichte den Kern seines Wirkens darstellt. Die Erinnerungsarbeit, der verantwortungsvolle Umgang mit dem nationalsozialistischen Erbe sind im Gegensatz zu Ballett oder Oper elementar in seinem Zweck verankert. Institutionalisieren lässt sich an diesem Ort folglich nur solches, was schon in seiner Wesenhaftigkeit der nationalsozialistischen Ideologie derartig zuwiderläuft, dass es immun gegen jede faschistische Vereinnahmung ist. Die Oper und das Ballett, sowie auch die bildende Kunst sind das leider nicht. Im Gegenteil zeigt die Geschichte, dass Kunst und Kultur alles andere als immun sind gegen ideologische Instrumentalisierung, sondern in der größenwahnsinnigen Propaganda des „Dritten Reichs“ eine wichtige Rolle spielten. In ihrem Kern liegt die Problematik des Konzeptes „Kulturareal Kongresshalle“ in der schmerzlichen Erkenntnis: Es gibt keinen natürlichen Widerspruch zwischen Kunst und menschenverachtenden Regimen.

Ein solch natürlicher Widerspruch, eine Selbstverständlichkeit des Nicht-Affirmativen findet sich in der Erinnerungsarbeit des Dokumentationszentrums. Aber wo noch? Was sonst könnte der pathetischen Wirkmächtigkeit der Kongresshalle, und der Last ihrer Geschichte dauerhaft widerstehen? Nun, vielleicht nichts Geringeres als die Menschenrechte selbst. Dass man sie in der Kongresshalle institutionalisieren könnte, dass man vielleicht sogar eine Zweigstelle des Menschenrechtsbüros dort einrichten könnte … der Gedanke erscheint zunächst kontraintuitiv. Und doch wäre wohl kaum etwas besser dazu geeignet, dauerhaft diesen Ort zu beanspruchen, in ihm und aus ihm heraus zu wirken. Man setze die essenziell demokratische Allgemeine Erklärung der Menschenrechte an die Wurzel der Verantwortlichkeit des kulturellen Wirkens an diesem Ort. Man nehme sie als Ausgangspunkt für Projekte und Interventionen. Auf diesem Wege wäre vielleicht tatsächlich eine dem Erbe des Ortes angemessene kulturelle Bespielung möglich.
Schade nur, dass das Menschenrechtsbüro und ehemaliges Reichsparteitagsgelände in der Verwaltungsstruktur der Stadt Nürnberg getrennten Stabsstellen unterstehen.
 
Vierte Fiktion: Wie wär’s mit Menschenrechten in der Kongresshalle?
 
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