Ein Traumpaar springt in die Lücke

FREITAG, 31. MäRZ 2017

#Dieter Stoll, #Kolumne, #Kritik, #Kultur, #Theater

Warum die beiden populärsten Front-Schauspieler des Nürnberger Theaters jetzt völlig unerwartet das „Gift“ mischen - Kulturkommentar von Dieter Stoll.

Dementi zuerst! Um die Wiederbelebung des klassischen Begriffes „Traumpaar“ (wir kennen ihn von Maria Schell & O.W. Fischer, Angelina Jolie & Brad Pitt, Doris Day & Rock Hudson, Stan Laurel & Oliver Hardy) geht es sicher nicht, wenn Ende April unverhofft, genauer gesagt: außerplanmäßig, ein besonders anspruchsvolles Zwei-Personen-Stück auf dem Spielplan des Staatstheaters erscheint. Obwohl, ein Albtraum ist ja auch ein Traum. Und die Namen der beiden Beteiligten lassen, schon einzeln und wie dann erst im Tandem, jeden kundigen Nürnberger Kulturfreund aufhorchen. Adeline Schebesch, seit 20 Jahren fest im Ensemble am Richard-Wagner-Platz, und Michael Hochstrasser, sogar schon 34 Spielzeiten dort unter Vertrag, addierte 54 Jahre lokalkolorierte Glanz- und Gloria-Kompetenz mit Bretterbodenhaftung also, treten (nachdem sie, ausgerechnet sie, im März bei der Besetzung der langfristig angesetzten Kalauer-Komödie „Pension Schöller“ und der Uraufführung „Life is loading“ überraschend übrig geblieben waren) in denkbar kurzfristigster Spielplan-ergänzung wieder mal zusammen auf. Womit erneut die alte Weisheit bestätigt wäre, dass der Mut zur Lücke durchaus segensreiche Folgen haben kann.

FÜR SIE + ER HÖRT DER SPASS AUF

Ein Zufalls-Effekt mit positiven Auswirkungen also, denn bei diesem Stück Dialog-Konzentrat lenkt nichts und niemand von den Ausführenden ab. Die beiden Akteure mit dem rar gebliebenen, wenn auch stark nach Lorbeerblatt-Aroma schmeckenden Ehrentitel „Kammerschauspieler*in“ hatten schon mal im Bühnen-Duell doppelt gesiegt – da bekamen sie anno 1998 zusammen den Preis der damaligen Bayerischen Theatertage für ihre Leistung in Woody Allens munterem Gangster-Jokus nach Kino-Vorlage „Kugeln überm Broadway“. Diesmal übernehmen sie in der spontan zwischen die Premierenblöcke geschobenen Produktion „Gift. Eine Ehegeschichte“ der niederländischen Autorin Lot Vekemans (mit ihrem aufrüttelnden Monolog „Judas“ an den Münchner Kammerspielen und kürzlich auch in der Fürther Kulturforum-Inszenierung gefeiert) die ganz und gar nicht spaßigen Rollen von Sie + Er.
„Gift“, das ist die Geschichte einer hochproblematischen Beziehung, die vor zehn Jahren spektakulär in die Brüche ging und nun mit vollem Risiko zur emotionalen Achterbahnfahrt zwischen Aussöhnung und Abrechnung wieder ansetzt. Keine Übertreibung, wenn das als „einer der herausforderndsten Dialoge der Gegenwartsdramatik“ eingestuft wird. Die Herausforderung lockt die Größten des Fachs wie Honig an – in der bislang meistgerühmten Aufführung, die das Deutsche Theater Berlin weiter im Spielplan hat, sind Dagmar Manzel (die Kommissarin vom Franken-„Tatort“ und zurecht gefeierte Alternativ-Diva der Komischen Oper) und Ulrich Matthes (der Ausnahmeschauspieler mit der perfektesten Sprache und dem durchdringendsten Blick der Hauptstadt) im Einsatz. Wie der beschworene Zufall so will: Auch Nürnberg bietet seine Besten.

ENTLANG AM SPALIER DER DIREKTOREN

Ihr Weg ans Schauspielhaus nahm sehr unterschiedliche Windungen. Michael Hochstrasser, an Nürnberger Ensemble-Dienstjahren nur vom Kollegen Jochen Kuhl noch übertroffen, hat sich seinen Status als populärster Frontmann des Herren-Ensembles redlich vor Ort erarbeitet. Der gebürtige Schweizer kam mit 27 Jahren hierher und blieb. Er nahm, nach der schnellen Bewältigung der Junioren-Position, einfach gelassen das Spalier der Direktoren und Regisseure ab, mochten sie noch so unterschiedlich arbeiten. Sie taten es gerne mit ihm: der kunstkonservative Holger Berg, der spaßbegabte Peter Hathazy, der provokante Georg Schmiedleitner, der grundsolide Klaus Kusenberg. Also war er bald erste Wahl für edle Klassik (Shakespeares Macbeth, Goethes Orest, Schillers Marquis Posa) wie für feine Komik (als Shakespeares kreuzbestrumpfter Malvolio in „Was ihr wollt“, in Hitchcocks „39 Stufen“, bei der Lubitsch-Adaption „Sein oder Nichtsein“) und dem Dämonischen oft ganz besonders zugetan, ob es der wortgewaltige „Faust“-Verführer Mephisto aus der Geheimrats-Ecke, sein singender Satans-Bruder im Rock-Musical „The Black Rider“ oder doch bloß „Des Teufels General“ in der Flieger-Uniform war. Zuletzt grollte er den missgelaunt autoritären Big Daddy in Tennessee Williams‘ „Die Katze auf dem heißen Blechdach“.

MINNA, MONROE  & MAGISTER

Adeline Schebesch hätte den deutlich kürzeren Weg nach Nürnberg haben können, sie stammt aus Erlangen. Dort, als man der heutigen schmucken Studiobühne mit Restaurant namens „Garage“ den Abstellraum der Feuerwehr noch anmerkte, bekam sie direkt nach dem Abitur das erste Angebot. Danach wollte sie in aller Bescheidenheit nicht ins größere Nachbarstädtchen, sondern nach Wien. 13 Jahre kreiste sie in der Szene der Schmäh-Metropole, erst dann begann die vorsichtige Eroberung Nürnbergs, strategisch eingeleitet mit einer Saison am Gostner Hoftheater. Danach war sie im Haus am Richard-Wagner-Platz beispielsweise Lessings „Minna von Barnhelm“, spielte in Heiner Müllers „Quartett“, ließ sich vom „Gott des Gemetzels“  antreiben und fegte furios durchs Dialog-Gewitter von „Eine Familie“. Da war ihr Ruf längst gesichert, hatte sie doch Eve Enslers umstrittene „Vagina-Monologe“, vor deren irritierend unbekümmerter Frivolität sich Kolleginnen zuvor regelrecht fürchteten, verblüffend souverän in mehr als hundert Vorstellungen zu einem der größten Überraschungserfolge des Hauses gemacht.  Autorin war sie später auch, für den eigenen Text über „Letzte Stunde(n)“ der Marilyn Monroe schlüpfte sie unters Platin-Blond der unglücklichen Norma Jeane Baker. Ab 2004, Adeline Schebesch feierte 43. Geburtstag, ging sie zwischen all ihren Theaterterminen als Studentin zurück an die Erlanger Uni. Ur- und Frühgeschichte sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft – seit 2012 mit dem  Magister-Titel (M.A.) beglaubigt. Derzeit ist sie, ganz dem Doppelbeschluss Ksch./M.A. hingegeben und den fein stilisierten Extremen unvermindert zugetan, die eisig kühle Staatsanwältin in Ferdinand von Schirachs „Terror“ und die ausflippende Wahrsagerin in Shakespeares „Römische Trilogie“.

THEATER, EIN MIMENFELD

Der Zufall schuf gute Voraussetzungen für ein anspruchsvolles Stück. Eine Erfolgsgarantie gibt es kurz nach Probenbeginn selbstverständlich dennoch nicht, die ist beim Live-Ereignis „Theater“ absolut ausgeschlossen. Aber allein die Tatsache, wie die Vorbereitung dieser Produktion den Blick auf den manchmal doch sehr unterschätzten Beruf des Schauspielers lenkt, spricht für sich. Im Herbst wird das auf anderer Ebene, nämlich schwarz auf weiß mit Deckel drumherum, weitergeführt. In der neuen Reihe „Buchfranken“ des Schrenk-Verlags versammelt Herausgeberin Michaela Domes (Schauspielerin mit Klassik- und Projekterfahrung in Nürnberg und Fürth) in diesen Wochen allerlei Bühnenprominenz aus der Region zum Meinungs-mosaik aus der Erfahrungswerkstatt. Da sind als Autoren neben Adeline Schebesch und Michael Hochstrasser u.a. auch Patricia Litten, Jutta Richter-Haaser, Klaus Kusenberg, Jutta Czurda, Werner Müller, Gisela Hoffmann, Tristan Vogt, Winfried Wittkopp, Marion Schweizer, Philipp Weigand und Marco Steeger dabei.
Der Titel ist noch offen, intern spricht Michaela Domes immer nur vom „Mimen-Buch“. Ein wahrlich explosiver Denkansatz: Theater, ein Mimen-Feld.

 




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