Albert Ostermaier: Nürnberg ist eine Stadt, die uns Haltung abverlangt

SAMSTAG, 20. NOVEMBER 2021, TAFELHALLE



Es ist der dritte Anlauf. Bereits zweimal musste der Autor Albert Ostermaier eine geplante Literaten-Tagung in Nürnberg pandemiebedingt verschieben. Aber nun ist es so weit: Ab Donnerstag trifft sich in der Tafelhalle eine Gruppe von Schriftsteller*innen, um endlich wieder in den persönlichen Austausch zu gehen.

In Lesungen und Gesprächsrunden gibt die Gruppe am Samstagabend Einblicke in ihre Arbeiten, Positionen und Visionen: Wie steht es um die Lage der Künstler*innen in Afghanistan, die vom Westen jahrelang für ihren künstlerischen Mut bejubelt wurden und sich nun dem Taliban-Regime ausgeliefert sehen? Was bedeutet es, im Exil zu schreiben, wenn man seine Heimat hinter sich lassen musste? Und ist es überhaupt noch möglich anhand der Realität vor unseren Augen über künstlerischer Autonomie und Ästhetik zu reden? Oder kann und muss man das trennen?

Albert Ostermaier, man stellt sich Literaten ja eher als intellektuelle Einzelkämpfer im stillen Kämmerchen vor. Warum ist dann das Bedürfnis nach Austausch so groß?
Ich glaube, wir haben als Künstleri*innen in der Pandemie schmerzhaft erfahren müssen, dass wir nicht in Klammern existieren können, dass die oft bemühte Schreibeinsamkeit eine Fiktion ist, sondern wir überlebensnotwendig den Austausch brauchen, das Gespräch, den Streit, das Miteinander und nicht die Vereinzelung.
Wir leben vom Doppelpunkt, denn wir haben das Bedürfnis, etwas zu sagen, Frage- und Ausrufezeichen zu setzen. Wir wollen in all unser Mehrstimmigkeit wieder eine gemeinsame Stimme suchen und finden. Sonst werden wir weiter überhört und es bleibt alles unerhört an dieser Wirklichkeit.

Und warum in Nürnberg?
Nürnberg verkörpert wie kaum eine zweite Stadt unser Gebundensein in Geschichte, es ist eine Stadt, die uns Haltung abverlangt, eine Stadt, die auf die produktivste wie furchtbarste Art Geschichte gemacht hat. Sie macht damit Geschichte und Verantwortung sicht- und erfahrbar, sie ist Zeichen und Zeichenhaftigkeit. Man kann nirgends besser über das Spannungsfeld zwischen Poesie, Politik und Ästhetik sprechen. Nürnberg ist Stadt der Menschenrechte geworden und da wollen wir sie beim Wort nehmen und von ihr aus das Wort stärken.

Die Runde der eingeladenen Autor*innen reicht vom Beirut bis nach Köln. Wie viel Gemeinsamkeit in der Arbeitsrealität wird da überhaupt zu finden sein?
Die Arbeitsrealitäten sind natürlich so verschieden wie die Autor*innen. In der Sichtbarmachung der Unterschiede können wir das Gemeinsame entdecken und erfahrbar machen. Probleme werden gerne individualisiert, aber unsere drängenden Probleme sind gesellschaftlich, wir haben nur eine gemeinsame Zukunft oder keine. Wir müssen unsere Welt als veränderbar zeigen und dass sie es wert ist. Wir müssen nicht nur uns ernst nehmen, sondern auch die anderen und die Herausforderungen vor denen wir stehen. Köln ist nicht so weit von Beirut wie wir denken.

Was kann das Publikum von dem Abend in der Tafelhalle erwarten, der am Ende der Tagung steht?
Es wird hoffentlich ein ebenso auf- wie anregender Abend, eine Vielfalt literarischer Stimmen und Perspektiven auf die Welt und unsere Wirklichkeit, ein Blickwechsel mit der Gegenwart und ein Augenmerk auf das Kommende. Denn was heute z.B. im Nahen Osten passiert, ist übermorgen bei uns. Oder früher. Es ist aber nicht nur ein Abend der Politik, sondern auch der Poesie, denn Literatur zeigt immer auch: Es könnte anders sein, es kann anders werden. Die Literatur ist lebendig, nicht nur in ihren vier Wänden, sondern kommt ins Offene und zu ihrem Publikum und mit ihm ins Gespräch.

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RAISE YOUR VOICE - Ein lange Nacht der Literatur
Samstag 20.11.2021, 19.30 Uhr
Tafelhalle

Mit: Taqi Akhlaqi, Bachtyar Ali, Nora Bossong, Nuran David Calis, Olga Grjasnowa, Joshua Groß, Kiara Konstantinou, Verena Lueken, Hosnijah Mehr, Albert Ostermaier, Stefan Otteni, Sasha Marianna Salzmann, Nahid Shahalimi, Alawiyya Sobh, Najem Wali, Stefan Weidner

Albert Ostermaier ist 1967 in München geboren, wo er heute als freier Schriftsteller lebt. 1995 erschien sein erster Gedichtband Herz Vers Sagen, der mit dem Lyrikpreis des PEN Liechtenstein ausgezeichnet wurde. Im selben Jahr fand die Uraufführung seines ersten Stückes Zwischen zwei Feuern - Tollertopographie im Marstall des Bayerischen Staatsschauspiels statt. Es folgten Uraufführungen an renommierten Theatern im In- und Ausland. Namhafte Regisseur:innen wie Andrea Breth, Martin Kušej, Kay Voges und Thorleifur Örn Arnasson inszsenieren seine bildkräftigen Stücke. Sein neuestes Werk Superspreader war als Zoom-Aufführung im Residenztheater München zu sehen und erlebte im März 2021 die Uraufführung am Théâtre National du Luxembourg.




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