So war: Egersdörfer und Artverwandte #6
Da kann er noch so gut sein, unser bekennender curt-Kolumnist Egers mit seiner Show Egersdörfer und Artverwandte. Denn sein schärfster Kritiker, Theobald O. J. Fuchs, findet auch noch das kleinste Haar in der Suppe - um es hier für Euch feinstens zu sezieren.
Alhambra für Arme
Es war nicht einfach, diesmal, überhaupt nicht. Viel Volk saß an diesem 8. März stumpf vor dem Fernseher, wegen Champions League und doofen Dortmund. Oder rannte hirnverödet zu einem Konzert der Zombie-Truppe „Ton, Steine, Scherben“. Selber schuld! Wer das Heute nicht versteht, darf ruhig ins Gestern flüchten – viel Spaß dort!
[ Ausnahme: Gymmick, der m.E. wie kein anderer mit der Stimme Rio Reisers im Goldkehlchen zur Welt kam ].
Jedenfalls hielt besagte Kombi das Kroppzeug fern, auf dass Matthias Klaas Friedhelm Egersdörfer (richtiger Name ist der Redaktion bekannt) nur die edelsten Gäste, quasi eine exquisite Öffentlichkeit im großen Saale des KOMM zu Nürnberg zunftgemäß zur April-Ausgabe der „Artverwandten“ begrüßen konnte.
Der eindeutig überqualifizierte Martin Fürbringer kümmert sich ums Licht. Und fürwahr (sorry für den dämlichen Joke, aber er ließ sich nicht unterdrücken) brillant und fulminant wie selten zuvor war der große Festsaal ausgeleuchtet, denn Fürbringer hat eine Tatsache begriffen, die an den Betonklößköpfen der Meisten zerschellt: es gibt mehr Helligkeiten als Ganz oder Garnicht. Viel Raum für Abstufungen ist noch zwischen da, die getrost eingesetzt werden dürfen. Großer persönlicher Dank dafür direkt aus meinem Herzen!
Bloß was war denn los mit dem Maestro? Steckt sein Kopf schon in den rosa Wolken des herannahenden Traumurlaubes mit seinem ehelichen Turteltäubchen? Wälzt er sich hinter seiner immer höher und ausladender um sich greifenden, splitternackten Oberstirne bereits im Lotterbett, doppelt und dreifach so entblößt wie ein Bird Berlin und nicht minder voluminös? Oder verausgabte sich der größte Spaßvogel, den bekanntlich ein Großraum je hervorbrachte, endgültig bei der ziemlich dufteprima Veranstaltung im E-Werk, die letzte Woche in Erlangen premierte („Egers calling“)? Oder bei der furiosen Lesung in der Galerie Bernsteinzimmer am vorangegangenen Sonntag?
Jedenfalls war er gut gelaunt, der feine Herr E. aus F. in seinem roten Ober-H., nur auf die Idee, ein neues Stücklein aus eigener Feder vorzutragen, kam er offenbar nicht. Ist er ausgebrannt und übermüdet einem „burn out“ vor die Flinte gelaufen? Oder ist er umgekehrt satt und gelangweilt im kackwarmen Bade des „bore out“ ( http://de.wikipedia.org/wiki/Diagnose_Boreout ) eingeschlummert ...? Egal: scheiß drauf.
Apropos: schon nach ungefähr vier Minuten hatte der ungehobelte Zuwanderer aus Lauf extrem rechts der Pegnitz bereits zwei Zuschauer als „blöde Sau“ beschimpft und dem Saal eine Füllung mit „lauter Arschlöchern“ bescheinigt. Satt, saftig, unsere Erwartungen zwar erfüllend, aber zu deutlich folgenlos.
Spaziergang des Schreckens? Ja. Homosexuelle Tendenzen werden gemeinsam ausdrücklich begrüßt. Hübsche Damen finden sich auch selbst ganz hübsch. Wir auch. Die komplette Show wurde spontan einer sehr appetitlichen Risottoköchin gewidmet. Zumindest wenn sie denn dann endlich fertig gegessen und runtergeschluckt hätte.
Denn im Handumdrehen erstieg Andy Maurice Müller a.k.a. Herr Eichhorn die Bühne. Matthias E. überlässt ihm die Arbeit, stachelt ihn höchstens mit ein paar machoiden Phrasen an, spotzt die üblichen Kraftausdrücke „Hinterlader“ und „Arschficker“ in Mikro, doch richtig verfangen wollen die gesamten Verbalinjurien nicht. Denn Eichhorn entfaltet einen bitzelnden Kakutsstrauß der sexuellen Wahnvorstellungen – hart am Abgrund zur kriminellen Perversion balancierend. Exakt genau darum auch auf angenehmste Weise Werte wie Maßstäbe zersetzend. „Ein Stammhalter, der alles andere hält, bloß nicht den Stamm“ (cit. M. Eg. aus L.) und uns herzlichst willkommen!
Während Egersdörfer einen unverhofften freien Tag durchaus auch im Park spazierend verbringen täte, gehüllt in einen grauen Mantel mit Nichts darunter, und sich lediglich vor 30 Jahren über Hochglanzfotografien von Samantha Fox die Haut von den Handflächen gewichst hat, beweist Eichhorn so etwas wie Visionärstum, indem er liebevoll eine wasserfarbige Szene an der Supermarktkasse malt: (zum Kassierer, einem hübschen jungen Mann) „Ich hätte gerne Oralverkehr“, worauf der Kassier: „Wenn es der Schlange hinter Ihnen nichts ausmacht, gerne“, daraufhin wiederum die Schlange: „Ja, ja, macht nur. Was muss das muss ...“
Das sitzt. Das schlägt ein. Das reißt einem das lästige graue Haar aus der Nasenscheidewand.
Dann Bird Berlin! Er singt! So schön, dass es Tränen regnet! Er ist der zweite Rekonvaleszent, welcher einer Abwesenheit entstieg. Wieder gesundet ist er, und beide Ohren sind noch dran, wir alle haben es gesehen.
Eine Erscheinung an sich ist B.B., wie immer. Schürze aus Speck an der Vorderfront und wollige Pelzinseln mit Glitzer bedeckt an Rückwand und Schultern, Sternensplitter und Feenstaub. Dazu hybrider Fistelgesang und Musik, zusammengewurstet aus digitaler Plaste und Elaste. Und schließlich einem Wollstrumpf von der Farbe eines schwulen Rotkehlchens über den linken Unterarm gestülpt.
Ei ei ei – von Hundert bleiben drei, sagten die alten Schweden oder Henscheid oder wer auch immer.
Und schon war auch der alte Granteldampfer Philipp Balthasar Moll, den wir zuletzt arg-arg vermissten, wieder da, und platzte wie ein Staudamm, in den ein Bösewicht an strukturell kritischer Position ein Löchelein gesprengt hat.
Ob's das grauenhafte Söder war, das im Folgenden seine wohlverdienten Verbalprügel abbekam? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass Moll zu singulärer Übergröße auflief, ewiger Weltrekord war das, in der Disziplin „Brief an mich selbst“, in deren dornigem Verhau mehr als ein Hanswurscht schon hängen geblieben ist, der sich selbst maßlos überschätzend den eigenen Buckel überlud. Und das alles, so Moll, „rein zum eigenen Vergnügen“ vorgelesen.
Prügel mit einem Knüppel freilich, der dem widerwärtige Wicht von Heimatminister so dermaßen unverdiente Ehre angedeihen lässt, wie er mit diamantenen Worten und güldenen Sätzen forunkelte. Und ich sehe schon den Tag kommen, an dem die Sprache, die uns gewöhnlichen Sterblichen zu Gebote steht, nicht mehr ausreichen wird, um die Moll'sche Genialität auch nur ansatzweise zu skizzieren. „Kuttenbrunzer“ gefällt uns ganz außerordentlich, gleichfalls die „Saukutsche imperialen Ausmaßes“, wiewohl die „Steckrüben auf dem Wahlzettel“. WORTGEWALT lautet die korrekte Bezeichnung für das, was da über uns herein brach, vom „Unbayern“ über „bleierne Gründeltaucher“ bis zum „nicht detonierenden Klangkörper.“
Auf gut fränkisch: ich fand's halt echt nicht übel.
Dass direkt am Tag nach dem Dienstag, den viele auch als „Mittwoch“ bezeichnen – also den Tag danach -, der ebenso gut aussehende wie sympathische und hochtalentierte Moses Wolff im Kunst- und Kurhaus Katana [Anmerkung: wieso heißt der Laden eigentlich nicht Satana?] zu Gast ist beim Moll, gab Egers spitzbübisch grinsend bekannt, vergaß jedoch sträflichst am Ende der Show zu kontrollieren, ob auch jeder Schlumpf auf dem Parkett sich diese sog. „take home message“ gemerkt hatte. Egersdörfer, Egersdörfer! Wo warst Du nur mit den Gedanken in Deinem dicken Kopf? Stand da am Ende wieder die leere Badewanne da, von vier Mannen hineingeschoben, als Du einmal kurz nicht achtgabest?
Einen gewissen Michael A. Tomis kündigte nächstens Birdy an – einen, wie sich ganz schnell herausstellte, nicht vernachlässigbar begabten Parodisten, dem es während seiner zweiten Erscheinung auf dem Bühnenholz sogar gelang, einem, der nur sporadische Fernsehsprengsel genossen hat und dessen Filmklamotten-Kanon demnach eine ziemlich löcherige Angelegenheit ist, Stars der 50er, 60er und 70er Jahre verblüffend plastisch auferstehen zu lassen. Dean Martin, Theo Lingen und Louis de Funés (der übrigens von spanischer Abstammung war), materialisierten sich mühelos in Tomis' Gestus und Stimme. Das kann nicht jeder, das spricht für ein gehöriges Scherflein Talent.
Was Tomis jedoch nicht tun sollte, vorausgesetzt er möchte noch andere Bevölkerungskreise als die Insassen von Demenzkliniken oder Unterbringungsanstalten für alkoholkranke Wurstfachverkäufer erreichen, ist, seine Witze selbst im Internet zusammenzuklauen. Vermutlich nennt man das heutzutage gar nicht mehr klauen, sondern spricht von einer eklektischen Selektion.
Gut: Tomis erklärt von Anfang völlig offenherzig, dass er in seinem Notizbüchlein lustige Sprüche sammelt, egal in welcher Jauchepfütze er über sie stolpert. Eine Art „comedy crowd sourcing“ also. Dass es dennoch per se an Unverschämtheit grenzt, wenn einer extravagante Durchsagen von Schaffnern der Bundesbahn aus dem Internet abschreibt, wo analfixierte Scherzkekse solcher Art Mutterwitz akribisch zusammentragen, und vor einem zahlenden Publikum aus einer Kladde abliest, muss für die Nachwelt unbedingt konstatiert werden.
Ich kann nicht umhin, von fadester Zweit-, Dritt oder gar Viertverwertung des komischen Genius' ungezählter Vorläufer zu sprechen, so als ob eine Kuh den Fladen, den ihre Nachbarin hinterließ, noch viermal wiederkäut, ehe sie das endgültig substanzlose Endresultat der Zuschauermenge vor die Füße kackt.
„Man muss es bositiv sehen, oder?“ bettelt Tomis und fügt an, dass man sich in der Vorweihnachtszeit befinde, denn: „[es] ist wirklich so, weil wenn die Ostereier weg sind, dann kommen die Weihnachtsmänner.“ Mein siebenjähriger Neffe würde an dieser Stelle kurz gähnen und dann weiterschlafen.
Und trotzalledem haben sich zwei oder drei Frauen in die mittlere Reihe verirrt, die sich beinahe einbrunzen vor Lachen. Oder waren die auf Dope und lachten über die total witzigen Maserungen in den Stuhllehnen vor ihnen? Eventuell sind sie auch bezahlt, der Herr wie sein Gescherr - und jedenfalls dumm wie Günther.
Zusammengefasst: definitiv das Gegenteil eines Erweckungserlebnisses, und nicht zufällig stellte nach der Vorstellung ein Augen- und Ohrenzeuge die Frage, warum sich Herr Tomis keinen sucht, der ihm ein paar Pointen schreibt, die auch nach Gegenwart riechen?
Ich kann nur vermuten, dass er sich seine Nische bewusst aussuchte: der an den besten zwei oder drei Monaten seines Lebens hängen gebliebene Mitfünfziger, der einer verblödeten Angestelltenmischpoke angehört, welcher Tomis, der ehemalige Großraumbüro-Kasper, selbst entstammt und die er, ohne jedwede ironische Brechung, selbst darstellt: „Ey, hab gestern nen super Spruch im Internet gelesen. 'Sagt der Reporter, die Hochwasseropfer schöpfen Hoffnung …' ha ha ha ha, ich lach mich tot.“
Wegen mir … bitte!
Bird Berlin ging erneut aus sich heraus, nicht nur sängerisch, sondern einen Schritt weiter und ganz spontan, alldieweil er aus seinem eigenen Gedichtbändlein rezitierte (wo auch immer er für dieses in seinem Semi-Adonis-Kostüm ein Versteck gefunden hatte). Blubber, Spritz, Gluck, Gluck verkündete Dadas gefühlt dreijähriger Urenkel, ehe er plangemäß anhub, zu singen und sich dabei zu winden wie eine aus der Art geschlagene Boa Constrictor, die vor nur einer Minute ein Nilpferd verschluckt hat.
Stark beeindruckt von dieser Performance zeigte sich der aus Wolfratshausen stämmige Josef Brustmann, ein alter Hase, der eigentlich alles schon einmal gesehen haben sollte.
Möchte man meinen. Ein glitzerndes Nummerngirl mit Vollbart jedoch scheint noch nicht einmal ihm, dem Senior unter den Artverwandten untergekommen zu sein.
Nun. Dieser Brustmann. Eines der Bayerischen Männchen wie sie einst schon Ludwig Thoma bzw. Ganghofer geschnitzt haben. Knorrig, trocken, rissig, unfassbar robust. Wie ein Bub, der die Vorrede zum Weihnachtssingspiel hält, steht er da, wie der erste Offizier, der aus einem demolierten U-Boot steigt und dem Admiral rapportiert, wie der Angeklagte vor dem Revolutionstribunal, der ruhig, aber entschlossen seine tödlichen Überzeugungen herunterleiert.
Seine Themen: die katholische Kirche, außerdem die katholische Kirche und ferner die katholische Kirche. Außerdem ging es um Hostien, Pfarrer und Ministranten, aber auch um CSU.
Zudem sich Brustmann, sich seiner Balladen bedienend, die er gekonnt auf der Gitarre vortrug, streckenweise arg in einer leicht angekalkten Sentimentalität verlor. Die Unwiederbringlichkeit einer Kindheit auf dem Lande, Bauern, die mit Twitter und Piercing-Studios zusammenprallen, Sextouristen in Bali, die wenige Stunden zuvor noch barfüßige Kuhhirten waren, kurz: der Einbruch der Moderne ins „Dahoam“.
Wie soll ich sagen? Frisch wirkte der Vortrag nicht, jedoch kam da etwas rüber, vom Brustmann zum Publikum, eine seltsame Aura, die ihn umwehte, etwas ehrfurchtgebietendes, das der gelungenen Mixtur aus Haltung, Dialekt, Tonfall, Duktus und Verstaubtheit entstieg: da kamen wahre Gefühle herüber, tief empfunden und eindringlich dargestellt, so dass mir nicht erst als Letztes Willy Michel durch den Sinn ging, wie er vor ca. 25 Jahren sein hypnotisches „Isarflimmern“ zum Besten gab.
Wie dem auch immer sei - selbst wer Reime wie „Geschwommen im Kreis / Das Leben von dem Fisch ist ein Scheiß“ nicht wirklich super-großartig findet, sollte sich dennoch unbedingt selbst ein Bild machen, von dieser dürren Ausgabe eines Ottfried Fischers, wofür im Handumdrehen am 20. September im Burgtheater Gelegenheit ist.
Die ebenso bezaubernde wie bummsgescheite Natalie de Ligt hatte zu aller Anwesenden Bedauern ihren Zumba-Kurs , musste daher leider pausieren, was den dicken Vogel Berlin zu einem wirklich herzerweichenden Klagegesang hinriss. Vielleicht schaute sie auch das Dortmund-Spiel, aber wer weiß?
Sicher ist nur, dass der große Meister persönlich ein zweites Mal ans Rednerpult trat und vorlas. Zwar keinen Sprössling des eigenen Geistes, aber immerhin aus einem selbst geschnitzten Buch, für das er gemeinsam mit seinem Koautor Jürgen Roth ganz Franken bereiste. Ganz Franken? Ganz Franken.
Und somit auch Naila (Ofr.), wo Michi Sailers liebende Beschimpfung unserer Heimat ihren Ausgang nahm, in Bussen, die stets im Kreise fahren, nie dort anhalten, wo man steht, und in Wahrheit immer dasselbe Gefährt ist bzw. sind. Oder so. Die Auswahl dieser Passage jedenfalls war der gelungenste Streich des Meisters, der kongenial vortrug, was Sailer ihm und Roth in die Feder diktiert hatte.
Mein liebster Satz lautet: „Alles, was schlimm ist, bewahren die.“ Bloß auf den Brezel-Kolb in der Fürther Straße scheint den Sailer noch keiner gestoßen zu haben, denn dann täte er verstummen müssen, mit seinem Genörgel an der fränkischen Brezel, sei's mit, sei's ohne Anis.
Der Höhepunkt kam dann, wo er hin gehört, nämlich am Schluss. So wie der Schwanz am Hund, so der gespielte Witz. Oder, wie Matthias E. (134/133/144) es nannte: „die Krönung der schönsten Stunden“. Mit herzerquickendem Gesang angekündigt und extrem miserabel dargeboten vom Maestro aller Maestren himself und seiner kongenialen Partnerin Carmen (nach der auch unter dem Decknamen Claudia Schulz von der US-Behörde zur Bekämpfung geschmackloser Oberbekleidung gefahndet wird) und blöde wie ein Grottenolm – herrlich, war das, ganz ausgesprochen herrlich!
So herrlich, dass es gleich im Mai weitergeht, am Dreizehnten nämlich, selbe Zeit, selber Ort.
[Text: Theobald O.J. Fuchs]
Die nächste Egersdörfer und Artverwandte findet am 13. Mai im Festsaal des KuKuQ (ehem. K4, davor KOMM) statt.
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