Stereoanlage 11_21: Pop ist schuld. Ein Nachruf auf Coldplay
Moment! Coldplay gibt es noch. Keine Gerüchteküche jetzt!! Aber das, was es als Vorgeschmack auf ihr neues Album zu hören gibt, hat unseren Redakteur Claus Friedrich mehr als erschüttert.
Reden wir mal ein letztes Mal über Coldplay. Als jemand, der diese Band zu Beginn tatsächlich mochte und selbst auf "Viva la Vida" noch ein paar Songs gut fand, bin ich doch erstaunt über die zwei unfassbar schrecklichen Singles, die sie uns nun um die Ohren hauen.
Seelenlos. Radioeinheitsbreiproduktion. Ohohoooooos, fertig. Der gemeine Antenne-Bayern-Hörer wird sich freuen über den Wiedererkennungswert der kommerziellen Popmusik der letzten Jahre: Einfallslose, "billig" (= teuer aber schlecht) produzierte, glattgeschmirgelte, gleichklingende Kacke am Dampfen in unseren Ohren.
So also sehr leicht zu unterscheiden von der vergleichsweise tollkühnen Diversität der Popmusik in den 80er-Jahren, die ja angeblich Hochkunjunktur als Inspiration für Heutiges hat. Doch damals war Pop noch ein blühender Zirkus. Die Popmaschine 2011 ist kurz vor ihrem endgültigen Kollaps so heißgelaufen, dass alles, was hineinfällt, seine Konturen verliert und im glühenden Endzeit-Einheitsbrei verläuft.
Vier blasse englische Weicheier (Coldplay) klingen heute exakt wie ein schwarzer Sado-Maso-Vamp (Rihanna). Symbolfigur für diese Entwicklung ist wohl der fast schon vergessene Timbaland, der es schaffte, innerhalb von wenigen Jahren HipHop (Missy Elliot), Boygroup-Pop (Justin Timberlake), portugiesischen Folklore-angehauchten Pop (Nelly Furtado), Grunge (Chris Cornell), 80-er-Pop (Madonna) und sogar Avantgarde-Elektro-Pop (Björk) - man entschuldige meine vielleicht etwas waghalsigen Kategorisierungen - alle mit seiner "Handschrift" zur exakt gleichen Musik zu machen. Wen interessiert denn das, um Himmels willen?
Ah ja, angeblich die, äh, Kids. Dass auf dem kommenden Coldplay-Album "Mylo Xyloto" dann auch tatsächlich ein Duett mit Rihanna enthalten sein soll, zeugt von einer gewissen Konsequenz. Einer abscheulichen. Die außerordentliche Fürchterlichkeit - im Coldplay-Maßstab gemessen - von "Every Teardrop Is A Waterfall" und jetzt "Paradise" sagt somit vermutlich gar nicht so viel über die einst großartigen Coldplay aus, sondern über den kommerziellen Pop unserer Zeit. Dabei fällt es dennoch schwer zu glauben, dass die vier Engländer es für nötig empfinden, sich dem Sound, den die Kids auf ihren Smartphones haben, anzupassen. Brian Eno produziert. Das ist 80er, Baby, das ist David Bowie, das ist Roxy Music und einige der besseren Sachen von U2. Die Zutaten sind erstklassig. Was dabei herauskommt, wirkt wie ein Gänge-Menü von stark verschnupften und verkaterten Köchen.
Aber warum klingt jetzt eigentlich alles gleich? Warum klingt eine Band, die solch Perlen wie "Don't Panic", "Everything's Not Lost" oder "Careful Where You Stand" vom Stapel gelassen hatte, nun wie One Republic produced by Timbaland? Warum klingt eine einstige kreative HipHop-Band wie die Black Eyed Peas mittlerweile wie ein schlechter Klon von DJ Bobo? Warum landen so viele Künstler, die "ihren Sound erweitern wollen", alle in diesem Popschmelzkessel der Hölle? Warum ist Lady Gaga eigentlich talentierte Songwriterin und Pianistin mit toller Stimme und kotzt einen Eurodance-Autotune-Wegwerftrack nach dem anderen aus ihrem operierten Gesicht? Es hat etwas von Wahnsinn. Definitiv Endzeitstimmung im Camp Pop.
Ich neige dazu endgültig abzuschalten. Und was Coldplay angeht, höre ich jetzt in die EP "Brothers & Sisters" aus dem Jahr 1999 rein und schäme mich ein wenig, Chris Martin die Scheidung an den Hals zu wünschen. Aber vielleicht geht ihm dann das substanzlose Gejohle aus.
(Claus Friedrich)