Mal kurz zum Totengräber

DIENSTAG, 30. SEPTEMBER 2025

#Freidhof Whörd, #Kunstreview, #Totengräberhäuschen

Text: Maren Zimmermann

Ich habe ein Faible für Friedhöfe, weil sie so viel über ihre Region erzählen können. Auf Reisen gehören sie zum Pflichtprogramm und wer mich länger als einen Tag in Nürnberg besucht, muss mit mir auf den Johannisfriedhof gehen. Ganz neu für mich entdeckt habe ich ein Kleinod der besonderen Art: den Wöhrder Friedhof. In dessen Mitte steht ein altrosa angestrichenes Häuschen mit einem kleinen Glockenturm. Was ich auf den ersten Blick für eine Kapelle hielt, ist das Totengräberhaus. Direkt auf dem Friedhof lebten hier von 1529 bis 1976 die Totengräber und Friedhofsverwalter mit ihren Familien. Inzwischen ist eine feine kleine Ausstellung mit der Geschichte des Friedhofs und des Stadtteils Wöhrd eingezogen, die sofort großes Kopfkino bei mir auslöst. So erfahre ich etwa, dass der Rat Nürnbergs 1552 seine Vorstadt aus strategischen Gründen niederbrennen ließ, um danach eine Handwerkersiedlung zu errichten. Diese genoss recht lang einen eher üblen Ruf, war aber gleichzeitig berühmt für ihre hohe Kneipendichte. Da hier die Gesetze nicht so streng waren wie innerhalb der Stadtmauer, kam man gerne zum Feiern in die Vorstadt. 

Auch auf dem Friedhof war einiges los, sogar eine kleine Kaspar-Hauser-Geschichte hat sich hier abgespielt: Im April 1684 fanden der Totengräber Caspar Schmidt und seine Frau Apollonia einen kleinen schreienden Jungen, der mit einem Strick an den Nord-eingang angebunden war und einen Brief bei sich trug. In dem Brief wurde gebeten, den Zweijährigen in die Obhut des Findelamts zu geben. Sowohl Kleidung als auch der Zustand des Jungen ließen auf ein gut situiertes Elternhaus schließen, doch bis heute weiß man nichts Näheres über seine Herkunft. Das Bestattungswesen selber war keine besonders lukrative Tätigkeit. Da in Wöhrd am häufigsten die sogenannte „Frühleiche“ durchgeführt wurde, ein Begräbnis am frühen Morgen ohne Gesang und Zeremonie, meist auch noch in Gemeinschaftsgräbern, war es um den Verdienst der Totengräber und ihrer Gehilfen nicht sonderlich gut bestellt. So wird nach dem Tod des Totengräbers Johann Frank 1834 an den Magistrat der Stadt berichtet, dass seine schwangere Frau und ihre sieben Kinder in Lumpen auf Streu schliefen und das Haus dringend saniert werden müsse. Dieser Friedhof weiß also viel über das Leben in Nürnberg zu erzählen.

Zurzeit ist die Ausstellung nur nach vorheriger Anmeldung geöffnet. Da sie aber auch online verfügbar ist, kann man sich einfach auf eine Bank mitten auf den Friedhof setzen, die besondere Atmosphäre genießen und sich digital informieren. Dann verpasst ihr allerdings vielleicht Frau Lettner vom Pfarramtsteam St. Bartholomäus, die mir viele interessante Dinge über die aktuellen Herausforderungen der Friedhofsverwaltung berichtete und damit die Geschichte des Friedhofs ins Heute weitererzählt. Zum Beispiel von sich verändernden Bestattungswünschen, die mit dem in Teilen unter Denkmalschutz stehenden Friedhof in Einklang gebracht werden müssen. Oder, dass das Wurzelwerk der alten Bäume es immer mehr erschwert, neue Gräber anzulegen. Sie beschreibt ihn auch als beliebten Treffpunkt für die Lebenden. Ich scheine also mit meinem Faible für Friedhöfe nicht alleine zu sein.

Egal für welche Variante des Besuchs ihr euch entscheidet, ana-log oder digital, auf alle Fälle solltet ihr euch anschließend als Kontrastprogramm in eines der beiden wunderbaren Cafés am Wöhrder See setzen und das pralle Leben an euch vorbeiziehen lassen – über das dann neue Kolumnist:innen in einhundert Jahren im curt schreiben werden.

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FRIEDHOF WÖHRD
Bartholomäusstr. 44, Nbg.
Anmeldung für das Totengräberhaus über die Friedhofsverwaltung: 0911 – 55 48 55
Das Totengräberhaus im Internet HIER.




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#Freidhof Whörd, #Kunstreview, #Totengräberhäuschen

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