Exxistenzialismus in der Kongresshalle: Klimakrise trifft Erinnerungskultur

1. NOVEMBER 2023 - 3. NOVEMBER 2023, KONGRESSHALLE



Zwei Generationen nach den NS-Verbrechen sind Antisemitismus und Rassismus wieder auf dem Vormarsch. Rechtspopulistische Thesen werden gesellschaftlich wieder salonfähig gemacht und in Europa erhalten national-konservative Parteien immer mehr Zustimmung. Die im November startende Ausstellung „Exxistenzialismus“ im Segment #1 der Kongresshalle nähert sich zum einen der Frage nach einem (notwendigen) Wandel unserer Erinnerungskulturen, zum anderen nach dem Umgang mit unserer Umwelt: Was wäre, wenn Erinnerungsorte nicht nur die Vergangenheit durch mahnende Rituale entlasten, sondern ein neues Handlungsfeld eröffnen? Wir haben den Künstler Babis Panagiotidis – hier auch Kurator – und Felix Hörath von der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände zu der Ausstellung befragt.

CURT: Was bedeutet es für euch, genau diesen Ort bespielen zu dürfen/können?
Felix: Diesen Ort künstlerisch zu bespielen, bedeutet für uns eine Art „Experimentierfeld“ für die zukünftigen Ermöglichungsräume: Was funktioniert hier gut? Was passt an diesem Ort nicht so? Hierbei ist es wichtig, den Künstler:innen nichts vorzugeben, sondern ihnen zu ermöglichen, ihre künstlerischen Positionen in den Räumlichkeiten der Kongresshalle zu platzieren und sich durch eigene Herangehensweisen mit dem Gebäude auseinanderzusetzen – sei es technischer, inhaltlicher oder historischer Natur. Es ist aber auch ein neuer Weg in der Erinnerungskultur: Gerade der Umgang mit der Kongresshalle ist seit der Nachkriegszeit ein Spiegel erinnerungskultureller Debatten – oder eben auch der Nicht-Debatten.
Babis: In der Kongresshalle auszustellen ist für mich eine spürbare Herausforderung, einerseits die Auseinandersetzung mit der Architektur und der NS-Ideologie, die darin zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig gibt es aktuelle Themen, gesellschaftliche Herausforderungen wie die Klimakrise, wo Handlungsbedarf besteht – eben auch in der Kunstwelt, die sich jedoch nicht groß damit beschäftigt. Diese zwei komplexen Themenwelten treffen aufeinander. Der Existentialismus ist dabei die perfekt passende Haltung. Ebenso wie das Ausstellungskonzept, das keine direkten Antworten liefern will, aber den Umgang mit der Kongresshalle und unserer Umwelt mit diversen künstlerischen Positionen infrage stellt.

Die Erinnerungskultur steht immer wieder vor neuen Herausforderungen, siehe "Aiwanger-Pamphlet", AFD-Umfragewerte, löchriger Brandmauer ... Was will, kann und soll diese Ausstellung bewirken?
Felix und Babis: Wir beobachten zwei Generationen nach den NS-Verbrechen steigende antisemitische und rassistische Vorfälle. Rechtspopulistische Thesen werden gesellschaftlich wieder salonfähig und national-konservative Parteien erhalten immer mehr Zustimmung. Die erst vor Kurzem veröffentlichte „Mitte-Studie“ zeigt deutlich, dass die rechtsextremen Einstellungen stark angestiegen und weiter in die Mitte gerückt sind: Jede zwölfte Person in Deutschland teilt ein rechtsextremes Weltbild. Neben gesellschaftlichen Herausforderungen wächst an der gegenwärtigen deutschen Erinnerungskultur ein Unbehagen, welches die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann als ein deutliches Signal deutet, dass die Erinnerungskultur des 21. Jahrhunderts an einen Punkt angekommen ist, der Transformationen unabdingbar macht. Diese benötigt zukünftig einen Raum für Aushandlungsprozesse – diskursive Räume – die das Erinnern insbesondere auch für zukünftige Generationen ermöglicht. Es braucht neue kollektive Gedächtnisformen, in denen sich die Gesellschaft wiederfindet. Genau an diesem Punkten setzt die Ausstellung an: Wir möchten den Raum in der Kongresshalle demokratisch und vielfältig „besetzen“. Die Ausstellung soll den Menschen einen diskursiven Raum geben; die Besuchenden können sich mit dem Gebäude und zugleich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Es ist ein Versuch, mit den Mitteln der Künste neue Zugänge anzubieten. Exemplarisch hierfür steht eine performative Installation, welche wir gemeinsam entwickelt haben und die den Menschen die Frage stellt: „Wie gehen wir mit unserer Vergangenheit um?“, „Setzten wir uns damit diskursiv auseinander oder saugen wir die Geschichte mit einem Staubsauger weg?“

Wie gehören Erinnerungskultur und Klimakrise zusammen?
Babis und Felix: Auf den ersten Blick scheinen die beiden Thema nichts miteinander zu tun zu haben. Allerdings ist die Erinnerungskultur, das Erinnern in Form der Bildung von kollektiven Gedächtnissen, eine zentrale Grundlage unserer heutigen Gesellschaft und deren Zusammenhalt. Eine weitere notwendige Grundlage unserer Gesellschaft ist die Umwelt. Wir haben es hier also mit zwei existenziellen Handlungsfeldern zu tun, die sich beide an einem Wendepunkt befinden. Der kurz nach dem 2. Weltkrieg entstandene Existenzialismus wirft Fragen auf, die uns aktueller denn je erscheinen: „Was bedeutet es als Mensch zu existieren?“ – „Wer trägt die Verantwortung?“ – „Wer trägt Schuld?“

Welche Künstler:innen stellen aus – und nach welchen Kriterien wurde sie ausgewählt?
Babis: Es stellen unter anderem Reiner Zitta, Alexandru Salariu, Philipp Tim Selig, Akbar Akbarpour, Reiner Bergmann, Younghun Lee aus. Mit weiteren Künstler:innen wie Hans-Jörg Georgi befinden wir uns noch in Abstimmung. Die Künstler:innen wurden nicht aufgrund technischer Kriterien oder ihrer Stilrichtungen eingeladen, sondern aufgrund ihrer inneren künstlerischen Ausdrucksformen, das heißt, nach der Art und Weise, wie sie ihr inneres Schaffen in Reflexion mit der Außenwelt, mit Umwelt und gesellschaftlichen Realitäten begreifen.

Diese Ausstellung muss man sich ansehen, weil …
Babis und Felix: ... sie ein Versuch ist, neue Wege in der Kongresshalle zu erproben.

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"Exxistenzialismus" in der Kongresshalle
Kunstausstellung von Babis Panagiotidis
vom 01.11. bis 03.12., Mittwoch, Samstag, Sonntag von 12–17 Uhr.
Vernissage am 01.11., 17 Uhr

Felix Hörath ist studierter Kulturwissenschaftler. Nach seinem Mitwirken in der Endphase der Kulturhauptstadtbewerbung N2025 war er für diverse erinnerungskulturelle Kulturprojekte tätig. Seit Sommer 2022 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Stabstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände.

Babis Panagiotidis ist studierter Kommunikationsdesigner. Neben seiner Aktivität als Designer hat er mit der Veranstaltung Belly Cloud die elektronische Musikkultur der Stadt bereichert. Seit einem Jahrzehnt ist sein Fokus auf Kunstaktivitäten, die aktuelle Themen reflektieren.




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