So war: Das Bootboohook Festival

DONNERSTAG, 6. SEPTEMBER 2012



Das kleine, feine Jubiläum in Hannover wagte zu seinem 5ten Jubiläum den Umzug in den Kronsbergpark und verabschiedete sich, wenn auch mit einem weinenden Auge, aufgrund zunehmender organisatorischer Schwierigkeiten vom ehemaligen Gelände. Boris Birkel hat sich für curt in den Norden aufgemacht und Eindrücke und Stimmungen aufgefangen.

Nach relativ stressfreier Fahrt (na gut, wir mussten umkehren, weil ich mein Ticket daheim liegen gelassen hatte), staunten wir bei unserer Ankunft - es war Donnerstag - nicht schlecht: Ganze acht Autos auf dem Parkplatz – immerhin etwa 20 Zelte in der Camping Area. Am nächsten Tag war ich dann auch schlauer: Die meisten Gäste kamen aus nördlichen Regionen und reisten dementsprechend erst am Freitag an. Die neue Location auf dem ehemaligen Expo 2000 Gelände mitten im Grünen sorgte für kurze Wege und eine super entspannte, fast familiäre Atmosphäre. Auch die bunte Altersmischung der Besucher sorgte für ein besonderes Festival-Feeling.

Am Freitagnachmittag ging es dann endlich los: Locas in Love bildeten mit ihrer Mischung aus Singer-/Songwriter- und Indiepop einen lockeren Auftakt. Das Kölner Trio zeigte sich äußerst vielschichtig und wagte auch Ausflüge in Richtung Krautrock und Noise.

Deutlich mehr Krautrock gab es im Anschluss bei Camera. Mit treibenden Rhythmen und sich wiederholenden Soundstrukturen zog die Band das Publikum tranceartig in ihren Bann.

Das Duo von den Japandroids war der erste Höhepunkt am frühen Abend. Die Kanadier lieferten ein packendes Set von Garage bis Punk – McLusky-Cover inklusive. Allerdings hätte ein Bassist und vor allem ein zweiter Gitarrist der Band gut getan, um nicht so oft aufs Band zurückgreifen zu müssen. Insgesamt überzeugte der Auftritt aber und ging zu Lasten von Ecke Schönhauser, die leider zeitgleich spielten.

Völlig hin und weg war ich dann von Palais Schaumburg. Die Granden aus Hamburg können es noch und hatten richtig Bock zu spielen, was sofort auf die Zuschauer übersprang. Besonders die funkigen Bassläufe verliehen der Show eine mitreißende Dynamik.

Und auch sie können es noch! All jene, denen Tocotronic nach der Jahrtausendwende zu pseudolyrisch und ruhig geworden waren, wurden eines besseren belehrt. Mit einem punkig-anklagenden Set aus der guten alten Zeit ("Masterplan", "Freiburg" etc.) fühlte man sich ins beste Jugendalter zurück versetzt.

Neben der herkömmlichen After-Show-Party bot das Bootboohook auch ein Lounge Tent mit Silent Noize Floor, bei dem die mit Kopfhörer ausgestatteten Besucher zwischen zwei Kanälen wählen konnten. An diesem Abend zum Beispiel traten Krink & Rampue gegen die Twin Set DJs an.

Der Samstag begann mit den French Films, die es in diesem Jahr schon im Club Stereo zu bestaunen gab. Da konnte der Vorabend noch so hart gewesen sein, man war sofort wieder wach. Der teils 5-stimmige Gesang – perfekt aufeinander abgestimmt – versprühte zudem 60er Jahre Charme par excellence. The Hundred in the Hands und Fehlfarben musste ich leider sausen lassen, schließlich begann an diesem Wochenende die Bundesliga wieder (3 Punkte in Hamburg).

Der emotionale Höhepunkt des Festivals war eindeutig das Abschiedskonzert von Superpunk. Die Hamburger waren am ganzen Wochenende äußerst umtriebig. Sänger Carsten Friedrichs zeigte sein Können an den Plattentellern beim täglich stattfindenden Soulfrühschoppen und auch die anderen Bandmitglieder hingen meistens am Merchandise-Stand herum. Zum Gig selber reichen eigentlich zwei Worte: Super, Punkt!!! 1 lachendes und 9 weinende Augen. Unterbrochen von instrumentalen Jamsessions, welche die Superpunks zu rührseligen Abschiedsstatements nutzten, brachten die „Top Old Boys“ das beste aus ihrer 16-jährigen Schaffensphase auf die Bühne und ließen das zahlreiche Publikum zwischen Hingabe und Trauer hin- und herwiegen.

WhoMadeWho – mittlerweile schon Stammgäste in Nürnberg – brannten auch in Hannover ihr gewohntes Feuerwerk ab. Nahtlos daran anknüpfen konnte das dänische Duo Reptile Youth. Postpunk meets Synthie meets Sixties (ja, das geht!) - im Stehen crowdsurfen inklusive. Sehr erfrischend.

Wolke eröffnete den Sonntag und Name war Programm. Nach zwei Sonnentagen begann es wie aus Kübeln zu schütten. Die Band selber störte das nicht – spielte sie doch auf der Tent Stage. Musikalisch bleibt die Frage, wo endet der perfekte Popsong und wo beginnt hemmungsloser Kitsch?

Bis zu Ja, Panik hatte sich das Unwetter wieder gelegt, was auch die zahlreichen Kinder zum Anlass nahmen, in den Pfützen herum zu springen (Sonntag war nämlich Familientag, d.h. Eltern durften ihren Nachwuchs umsonst mit zum Bootboohook nehmen – ein weiterer Punkt, den man so wohl noch nie auf einem Festival erlebt haben dürfte und der dazu beiträgt, das Bootboohook aus der breitgefächerten Festivallandschaft herausstechen zu lassen). Ja, Panik überzeugten musikalisch ein weiteres Mal. Am Pathos und Duktus des Sängers scheiden sich aber nach wie vor die Geister.

Als vorletzten Act des Festivals gab es dann noch das Indie-/Folk-Projekt Dear Reader zu bestaunen. Frontfrau und Mastermind Cherilyn McNeil war trotz des vorerst letzten Auftritts in aktueller Bandbesetzung bei bester Laune und ließ sich zwischen beinahe jedem Song zu einem kleinen Spaß mit dem Publikum hinreißen, was auch von diesem begeistert aufgenommen wurde. Dass durch ihre ausschweifenden Ansagen das Set etwas länger dauerte als geplant, störte hier niemanden, und anstatt der Band den Saft abzudrehen durfte sie problemlos noch 5 Minuten drauflegen.

In eine ähnliche, wenn auch deutlich poppigere Richtung ging letztlich das schweizerische Damen-Duo Boy. Es steckt also doch mehr dahinter, als ein Werbejingle für eine große deutsche Fluglinie.

Summe: Das Bootboohook war die etwas längere Anreise auf jeden Fall wert. Wer musikalische Leckerbissen und aufstrebende Newcomer in grüner und gemütlicher Atmosphäre genießen will, sollte sich schon mal das Ticket für 2013 sichern.

(boris birkel)




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