So war: der Chiemsee Reggae Summer 2012

DIENSTAG, 4. SEPTEMBER 2012



So, jetzt sitze ich hier vor meinem Laptop und soll ein wenig darüber erzählen, wie es am Chiemsee Reggae Summer so war. Dann mal los… es war lustig... und verdammt nass... ein Nachbericht von Friedi Deuschle:

Das Abenteuer fing Freitag früh vor einer Woche an, als meine Mitfahrerin und ich uns aus Nürnberg per Deutsche Bahn auf den Weg nach Übersee am Chiemsee gemacht haben. Mit dabei: Zwei zentnerschwere Rucksäcke, die wir ohne fremde Hilfe kaum auf unsere Rücken gepackt bekommen hätten. Aber das war schon richtig so… Hauptsache der Biervorrat steht! Von Nürnberg nach München verlief die Fahrt dann auch noch ganz entspannt und ruhig, bis auf den einen oder anderen Fahrgast, der sich lauthals über die Jugend von heute beschwert hat und damit vermutlich uns Chiemseefahrer meinte, die wir - mit Campingausrüstung und Rucksack schwer bepackt - das Zugabteil sprengten. In München angekommen wurden dann mehrere hundert Chiemsee-Reggae-Besucher von Bahnmitarbeitern vorsorglich mit Gummibärchen gegen Übellaunigkeit  versorgt und dann in einen Sonderzug nach Übersee verfrachtet. Der Zug war zwar dank Festivalausrüstung ziemlich überfüllt, dafür kam das erste Mal ein wenig Festivalstimmung auf: Bierdosen wurden geöffnet, die Menschen redeten miteinander. Die Vorfreude auf drei Tage Feiern lag in der Luft.

In Übersee stiegen wir bei strahlendem Sonnenschein und geschätzten 25 Grad Celsius aus dem Sonderzug aus. Alles sieht sehr malerisch aus, das typische oberbayrische Voralpenidyll eben: Im Vordergrund stehen die schön verzierten Häuschen, im Hintergrund sieht man die ersten Berge der Alpen. Die Hoffnung keimt auf, dass die Vorhersage von zahlreichen Personen, dass am Chiemsee Reggae Summer eigentlich immer schlechtes Wetter ist, nicht eintritt. Am nächsten Tag wird die Hoffnung leider schon zerschlagen…aber dazu später.

So… wo geht es zum Festivalgelände? Wir entscheiden uns gegen den überfüllten Shuttlebus und wählen lieber den Fußweg zum Zeltplatz. Geht auch ganz schnell, ruck zuck sind wir am Open-Air-Gelände angekommen. Hier herrscht natürlich schon Festivalstimmung, nachdem die meisten Besucher bereits donnerstags und die ganz Harten sogar mittwochs angereist sind. Auf der Suche nach einem kleinen Stück freier Erde für unser Drei-Mann-Zelt müssen meine Chiemsee-Kollegin und ich uns einigen Hindernissen stellen: Wir schlängeln uns vorbei an den ersten Alkoholzombies, kreuzen Flunkyball-Felder und werden aufgefordert, mit Sack und Pack Limbo unter einem über den Weg aufgespannten Sicherheitsband zu tanzen.

Kurz darauf haben wir unser eigenes Stück Campingplatz erobert und das Zelt wird mit Hilfe unserer männlichen Zeltnachbarn aufgestellt. Nachdem es steht, machen wir es uns aufgrund fehlender Campingstühle, für die einfach kein Platz mehr im Gepäck und auch keine Muskelkraft in den Armen mehr übrig war, auf unserer Picknickdecke vor dem Zelt bequem, öffnen das nächste Bier und beobachten erst einmal das Geschehen um uns herum. Auf dem Zeltplatz ist eigentlich alles an Besuchern versammelt, was man sich so vorstellen kann: Vom geschätzt 14-jährigen Festivalneuling bis zu alternden Späthippies, vom dünnen bis hin zum beinahe adipösen Menschen, allesamt spärlich bekleidet in Badehose oder Bikini, vom "extrem coolen" HipHopper bis hin zur vermutlich vegan lebenden Ökomenschin. Ein bunt gemischtes Partyvolk eben!

Wir bleiben nicht lange alleine auf unserer Picknickdecke vor dem Zelt: Nach kurzer Zeit gesellt sich ein Holländer, der gegenüber von uns campt, samt Campingstuhl zu uns. Gemeinsam schauen wir das bevorstehende Programm durch. Unser niederländischer Zeltnachbar, der mit seiner dunklen Hautfarbe, Dreads und Jamaika-Mütze zumindest wie ein ausgewiesener Reggea-Experte aussieht, erklärt uns, welche Acts wir unbedingt sehen müssen. Dazu zählen seiner Ansicht nach Tiken Jah Fakoly, der beste Reggae-Künstler aus Afrika, Anthony B, der beste Reggae-Künstler aus Jamaika, Tanya Stephens, die beste Reggae-Künstlerin überhaupt, T.O.K, die beste Reggae-Band der Welt, Beenie Man, der beste Dancehall-Regaae-Künstler aus Jamaika, und so weiter und so fort ...  So ist das also! Den Informationen unseres Zeltnachbarn zu urteilen, haben wir es bei dem Chiemsee-Aufgebot scheinbar mit der Crème de la Crème der internationalen Reggae-Musiklandschaft zu tun! Im Gegenzug dazu erklären wir dem Holländer und seinen anderen niederländischen Freunden, dass die deutschen Acts wie Gentleman, LaBrassBanda, Jamaram, Samy Deluxe, K.I.Z auch nicht zu verachten sind.

Nach diesem kleinen Austausch über das bevorstehende Musikprogramm, machen wir uns dann gemeinsam auf den Weg Richtung Haupt- und Zeltbühne, um uns davon zu überzeugen, dass die Musiker tatsächlich so gut sind, wie angekündigt.

Als erstes sehen und hören wir Tiken Jah Fakoly, von dem uns vorgeschwärmt wurde, dass er der beste Reggae-Sänger aus Afrika sei. Hört sich wirklich nicht schlecht an, noch besser ist aber, dass er wie eine wild gewordenen Mischung aus Affe und Pferd über die Bühne auf und ab galoppiert. Dieser seltsame „Dancemove“ wird sofort in unser Tanzrepertoire aufgenommen und am Wochenende noch das ein oder andere Mal kopiert. Nach Tiken Jah Fakoly folgen auf der Hauptbühne am Freitag unter anderem noch der Deutsch-Rapper Marteria und Gentleman, die ja jeder kennt und die wir auch unbedingt anschauen wollen. Meine Zeltkumpanin und ich verpassen das allerdings, weil wir dummerweise nach einem kurzen Abstecher in die Zeltbühne der Ansicht sind, dass ein bisschen Erholung in unserem Zelt nicht schaden kann, wir aber vor Erschöpfung prompt einschlafen, den rechtzeitig für den Auftritt von Gentleman gestellten Wecker verschlafen und somit erst am Samstagmorgen wieder aufwachen.

In der Früh ärgern wir uns natürlich ein wenig darüber, dass wir einen der Topacts verpasst haben und das erst Recht, nachdem wir erfahren haben, dass Gentleman eine echt gute Show abgeliefert haben muss. Daher beschließen wir, den Festivalsamstag richtig anzugehen und möglichst viele Bands anzuschauen. Gesagt, getan: direkt nach dem „Frühstück“ machen wir uns auf den Weg zu der Hauptbühne, auf der mittags Goldi loslegt. Noch ist, aufgrund der frühen Uhrzeit und des Regenwetters, das aufgezogen ist, nicht wirklich viel los vor der Bühne. Nur einige wenige Festivalbesucher stehen da und bewegen sich eher schüchtern zu der Musik von Goldi und seiner Goldvibes Band. Goldi, der deutschsprachigen Reggae mit viel Gefühl, großer Energie und guten Vibes macht, versucht trotzdem das kleine Publikum zu animieren und ist damit auch immer erfolgreicher, so dass die Leute am Ende auch einigermaßen gut zu seiner Musik mitgehen.

Nach Goldi folgt Martin Zobel, der uns mit seinen ruhigen Reggae-Tönen allerdings fast zu langsam ist, weshalb wir uns eine Mittagspause im bayerisch-jamaikanischen Biergarten gönnen. Danach geht es wieder zurück zur Hauptbühne, auf der jetzt die jamaikanische Reggea-Musikerin Tanya Stephens auftritt. Scheint eine echte Powerfrau zu sein, diese Tanya Stevens und so geht das Publikum bereits nach kurzer Zeit gut ab und die Hüften werden zu ihrem Sommersound geschwungen. Passend zu der Musik kommt statt dem Regen auch die Sonne wieder hinter den Wolken hervor, der Himmel wird blau, die Temperaturen steigen und die Leute vor der Bühne werden wieder freizügiger. Im Laufe des Auftritts von Tanya Stephens wird auch das Festivalgelände immer voller, die Leute strömen zur Bühne. Der Grund: Samy Deluxe steht als nächstes auf dem Programm. Wir hören uns auch einige Lieder von Samy an, dann treten wir allerdings den Rückzug in den Biergarten an: der deutsche Rapper scheint zwar - so wie das Publikum abgeht-  sein Ding gut zu machen, unsere Musik ist es aber dann doch nicht unbedingt.

Den nun  folgenden Auftritt von Jamaram sehen wir uns lieber aus einiger Entfernung an, da der Sonnenschein inzwischen wieder von Regenschauern abgelöst wurde.

Nachdem wir unser Outfit mit Gummistiefeln und Regenponcho dem ekelhaften, nass-kaltem Wetter angepasst haben, geht es weiter zum nächsten Act: Der Auftritt von T.O.K., der gemäß der New York Times „weltgrößten Dancehall-Reggae Boyband“ aus Jamaika, steht an. Die Jungs sind auch mein persönlicher Chiemsee-Reggae-Favorit, weil sie mit ihrem Sound, der ziemlich an Seeed erinnert, die Menge zum Kochen bringen und das trotz zwischenzeitlichem Platzregen und riesengroßen Pfützen auf dem Festivalgelände. Nach dem Auftritt von T.O.K. wird dann die Erinnerung an den weiteren Abend aufgrund des ein oder anderen geleerten Bieres doch etwas schwammig. Aber es muss wohl ungefähr so gelaufen sein, dass wir uns zum Tanzen in den überdachten und damit vor Regen geschützten Biergarten begeben haben, eine Weile zu der vom DJ-Pult kommenden Musik abgewackelt und uns anschließend ins Zelt zum Schlafen gelegt haben. Damit haben wir dann mit Shaggy einen weiteren Topact verpasst, was allerdings erträglich ist, da es sicherlich größere Shaggy-Fans gibt als uns.

In der Nacht wache ich dann auf, weil das Zelt verdächtig gefährlich vom Wind hin und her geschaukelt wird und der Regen lautstark auf das Zeltdach niederprasselt. Da zwischendurch auch immer wieder Donnergeräusche zu hören sind, öffne ich den Zelteingan ein wenig, um die Lage außerhalb zu betrachten. Vor unserem Zelt hat sich ein See aus Matsch und Wasser gebildet und neben uns wird bereits das erste Zelt zur Abreise abgebaut. Unser Zelt scheint dem Gewittersturm allerdings standzuhalten und so lege ich mich wieder in meinen Schlafsack um ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.

Am nächsten Morgen werde ich dann um halb 6 durch die Abbauaktion der Festivalbesucher, die hinter uns gecampt haben, geweckt. Da sie lauthals ihre Sachen zusammenpacken, bekomme ich im Schlafsack liegend mit, dass ihr Zelt in der Nacht überschwemmt wurde und sie sich deshalb jetzt auf den Weg nach Hause begeben. Außerdem scheinen sie Probleme damit zu haben, ihren Bollerwagen durch die Matschpfützen gehieft zu bekommen. Eigentlich habe ich noch keine Lust aufzustehen, aber das Mitgehörte macht mich dann doch so neugierig auf die Lage draußen vor dem Zelt, dass ich aufstehe. Eigentlich sieht inzwischen alles wieder ganz friedlich aus, es nieselt nur noch leicht. Statt Wegen sieht man allerdings nur noch Matschseen vor den Zelten und einige Leute sind auch schon dabei, ihre Sachen zusammenzupacken. Nachdem ich meine Zeltmitbewohnerin inzwischen durch mein Rumgehampel aufgeweckt habe, beratschlagen wir, was wir machen: Dableiben und einen Tag in Matsch und Regen verbringen oder nach Hause fahren und eine warme Badewanne und das Sofa genießen? Wir entscheiden uns gegen Sean Paul und LaBrassBanda, die unter anderem Sonntagabend auf dem Chiemsee-Programm stehen, und beginnen damit, unsere Sachen zusammenzupacken.

Das Packen erweist sich gar nicht als so einfach, da man mit den Gummistiefeln immer wieder in den Matschpfützen stecken bleibt und sowieso alles recht schmutzig wird, aber nach einiger Zeit ist das Zelt abgebaut, die Rucksäcke sind auch gepackt und das übrig gebliebene Dosenbier an die Zeltnachbarn verschenkt. Wir begeben uns – wie erstaunlicherweise doch relativ viele andere Chiemsee-Besucher auch - in Richtung Bahnhof und fragen uns, ob der arme Sean Paul heut Abend wohl vor leeren Rängen spielen muss.

Im Zug, der voll ist von Festivalbesuchern, hören wir dann noch die „Leidensgeschichten“ von anderen Festivalbesuchern, deren Zelt überschwemmt wurde von den Regenmassen. Heimlich bin ich ein wenig erleichtert, dass uns das erspart geblieben ist, obwohl ich andererseits den Sonntagabend mit Sean Paul und LaBrassBanda sehr, sehr gerne noch mitgenommen hätte. Aber was solls, ein festes Dach über dem Kopf, ein gemütliches Bett und eine warme Dusche sind schließlich auch nicht zu verachten. Daheim angekommen genieße ich dann auch gleich letzteres, setze mich auf mein Sofa, schalte den Fernseher an und siehe da, was läuft: die Übertragung vom Chiemsee Reggae Summer. So kann ich die verpassten Auftritte dann doch noch verfolgen, bis ich vor Müdigkeit, aber im Trockenen, vor dem Fernseher einschlafe.

Im Großen und Ganzem kann man zusammenfassen, dass der Chiemsee Reggae Summer, auch trotz extremer Nässe, viel zu viel Matsch und verpasstem Sonntag, wirklich lustig und spaßig war. Noch toller wär es aber sicherlich, wenn das Ganze einmal, entsprechend dem Name, richtig sommerlich und ohne Unwetter stattfinden würde. Dann wäre ich auch sofort wieder dabei!



[Text: Friedi Deuschle]




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