Faust-Gewinnerin Jana Vetten: Die Räuber habe ich sportlich genommen
Der Faust ist der wichtigste Theaterpreis in Deutschland und ein Ritterschlag in der Branche. 2025 geht der Faust in der Kategorie Regie an Jana Vetten aus Bamberg für ihre Inszenierung von Ibsens Nora in Heidelberg. Da will man gerne mehr sehen von dieser talentierten Regisseurin – und kann das ab April in Bamberg (Vernissage, Uraufführung von Robert Seethaler) und die ganze Zeit schon hier in Nürnberg, wo Vetten Die Räuber von Ebru Tartıcı Borchers übernommen hat. Anruf bei der Faust-Preisträgerin.
Du bist in Reundorf bei Lichtenfels aufgewachsen, wie erinnerst du dich daran?
Reundorf liegt recht idyllisch zwischen Lichtenfels und Bad Staffelstein. Meine Mutter ist auch da aufgewachsen und hat dann neben ihre beste Freundin ihr Haus gebaut, die auch Kinder hat … Der Baggersee ist nur 500 Meter entfernt. Man kann es sich wie Bullerbü vorstellen. Natürlich bis zu dem Zeitpunkt, wo ich Lust hatte, auch Dinge in der Stadt zu erleben. Da war der Fahrtweg dann anstrengend.
Wann und wo war die erste Berührung mit Theater?
Ich habe mit vier begonnen im Ballettstudio in Lichtenfels zu tanzen und hatte da auch erste Auftritte. Im Gymnasium in Bamberg habe ich das erste Mal gespielt und da ist auch der Wunsch gewachsen, Regie zu machen. Wir konnten da sehr viel selber gestalten, von der Stoffauswahl, übers Texte schreiben bis zur Inszenierung, und waren dadurch ganz dicht am Prozess dran.
Was hat dich daran gefangen genommen?
Ich bin ein Mensch, der die Welt über Geschichten begreift und habe das Gefühl, die Dinge dann tiefer zu verstehen, als wenn ich mir nur Informationen aus der Zeitung hole. Sobald ich Geschehen verpackt bekomme und Figuren habe, mit denen ich Empathie empfinde, bekomme ich diesen tieferen Zugang. Das hat mich total fasziniert. Ich habe eine große Liebe zur Literatur und gleichzeitig die körperliche Prägung durch das Tanzen. Diese Verbindung gibt‘s nur im Theater: Echte Körper, die Sachen erleben und eine literarische Sprache.
Du standest auch selbst auf der Bühne, warum hat dich der Weg in die Regie geführt?
Ich hatte schon in der Schule gar kein so großes Interesse an den Vorstellungen und dem Applaus. Das war okay für mich, aber ich war da auch nie wahnsinnig aufgeregt. Mich hat der Prozess vorher mehr interessiert: Welche Entscheidungen trifft man, um da hin zu kommen? Also habe ich beschlossen, ich werde Regisseurin. Wie schwer das ist, davon hatte ich gar keine Vorstellung. Über Zufälle bin ich dann eine Assistenz in Bamberg und von da an eine zweite in Düsseldorf gekommen. Die ersten zwei, drei Jahre bin ich da relativ naiv durchgestolpert.
Wie wählst du die Stücke aus, die du inszenierst?
Ich habe eine Liste, die wächst und ab und zu streiche ich Sachen weg. Da stehen Stücke drauf, die ich mal gelesen habe und aus irgendwelchen Gründen wichtig finde oder einfach lustig oder wo mich eine Figur berührt. Manche Stoffe begleiten mich schon lange, andere ploppen neu auf. Theater begleitet mich täglich. Was man dann auswählt, hat immer auch mit der Zeit zu tun und wie man selbst gerade drauf ist. Momentan habe ich mehr Lust auf lebensbejahende oder komische Stoffe. Die Zeit ist so krisenbehaftet und schwer, da will man nicht noch depressiver aus dem Theater kommen.
Du wurdest in diesem Jahr mit dem Faust Preis für die beste Regie für Nora in Heidelberg ausgezeichnet. Kannst du deine Herangehensweise an das Stück beschreiben?
Wir haben entschieden, eine Nora-Konstruktion zu nehmen, die schon an den Münchner Kammerspielen gezeigt wurde und für die drei zeitgenössische Autorinnen Kommentare oder Weiterführungen geschrieben haben. An unserer Fassung haben wir aber relativ lange gearbeitet, weil wir uns gewünscht haben, dass der Ibsen auch vorkommt und man die Geschichte versteht und den Figuren folgen kann. Das war eine wahnsinnig intensive Arbeit, aus der eine Rutsche entstanden ist, aus der Gegenwart, in die 50er-Jahre, in die Biedermeier-Zeit. Während der Proben gab es zwei, drei Herausforderungen, aber mit dem Ensemble war es wahnsinnig schön. Es war sehr dicht, sehr fordernd, sehr inspirierend. Und man hatte das Gefühl, dass alle an einem Strang ziehen und dadurch eine tolle Energie freigesetzt wird.
Wie ging es dir danach damit? Dachtest du, das könnte vielleicht einen Faust geben?
An Preise habe ich gar nicht gedacht. Ich wusste aber, dass es ein gutes Stück ist. Ich zweifle oft an mir, weil Theater etwas so Komplexes ist. Das bin ich und meine Gedanken, aber auch ganz viele andere Menschen und ganz viel abseits der künstlerischen Arbeit, das auch noch passen muss. Man trifft nicht immer die richtigen Entscheidungen und oft gehe ich aus der Premiere und denke, es gibt Teile, an denen ich gern weiterarbeiten würde. Nora war rund für mich. Das Stück erzählt, was wir erzählen wollten und darüber war ich sehr glücklich. Wir hatten alle das Gefühl, hier haben wir wirklich etwas gemacht. Und das hat uns erstmal gereicht.
Wie erinnerst du dich an die Preisverleihung?
Man weiß vorher nicht, ob man gewinnt, es ist also wahnsinnig aufregend. Man soll eine kleine Rede vorbereiten. Die anderen beiden Nominierten waren aber recht renommiert, deswegen dachte ich, ich mache mir einfachen einen guten Abend hier und habe die Vorbereitung etwas vernachlässigt. Und dann steht da auf einmal der eigene Name und man denkt: Oh je, muss ich da jetzt hoch? Ich war kurz auf der Bühne und dann war es vor allem ein total schöner Abend mit vielen Bekannten. Man schaut sich das alles an und denkt: Es gibt tolles Theater in Deutschland!
Du arbeitest in Heidelberg derzeit an der Antikenüberschreibung We Are Family, die sich auch um patriarchale Gewalt dreht. Ist das dein wichtigstes inhaltliches Anliegen und warum?
Das ist eines der Kernthemen meiner künstlerischen Beschäftigung, dass ich mich für die Mechanismen von Gewalt interessiere, wie sie funktionieren und dabei vor allem patriarchale Gewalt. Die gibt es im kleinen, in Familienstrukturen und im großen, in politischen. Die Mechanismen sind interessanterweise oft die gleichen. Was das in einem System auslöst und bei Menschen, die darunter leiden und wie die ihr Verhalten anpassen, war für mich über mehrere Jahre ein Forschungsschwerpunkt. Mich interessiert das, weil ich als Frau in dieser Welt aufgewachsen bin, das beobachte und mich immer wieder frage, wie ein echtes, feministisches, solidarisches Miteinander geht und wie wir das gestalten können. Auch bei Endstation Sehnsucht in Coburg oder Pirsch in Heidelberg ging es auf die eine oder andere um das Thema.
In Nürnberg ist gerade deine Inszenierung von Die Räuber zu sehen, für die du eigentlich nicht vorgesehen warst. Wie kam es dazu?
Ja, drei Viertel der Probenzeit hatten schon stattgefunden, als ich eingestiegen bin. Es war eine recht fordernde Konzeption und nicht leicht umzusetzen. Ebru Tartıcı Borchers hat sich entschieden, das nicht weiter zu machen, was ich sehr mutig finde, das macht man sich nicht leicht. Lene Grösch hat mich angerufen und gefragt, ob ich einspringen würde und ich habe es sportlich genommen. Es war schwer, sich innerhalb kürzester Zeit einen Überblick über die Gruppenkonstellation und die künstlerische Vision der Kollegin zu verschaffen. Man springt rein und muss mit fünf offenen Feuern jonglieren. Ich habe großen Respekt vor den Spieler:innen und den technischen Gewerken, die wahnsinnig unterstützend waren. So etwas kann nie so zufriedenstellend werden wie eine komplett eigene Arbeit. Nicht umsonst arbeitet man normalerweise eineinhalb Jahre vorher an der Konzeption. Aber ich finde, es ist ein Abend, der sich sehen lassen kann und der die Arbeit der Kollegin würdigt und nicht komplett umschmeißt.
Du bist jetzt wieder nach Bamberg gezogen, inszenierst dort auch im Frühling Seethalers Vernissage. Wie ist das Nomadenleben der freien Regisseurin für dich?
Wenn man es nicht mag, sollte man den Beruf nicht machen. Ich lerne gern neue Städte und neue Menschen kennen, die Intensität finde ich schön. Ich habe aber seit zwei, drei Jahren auch ein Bedürfnis danach anzukommen und stetige Beziehungen aufzubauen, was nicht geht, wenn ich die ganze Zeit unterwegs bin. Ich mache deshalb nur noch drei Stücke pro Spielzeit, nicht mehr fünf wie früher. Und nach der Premiere in Bamberg freue ich mich im eigenen Bett schlafen zu können.
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Jana Vetten
www.janavetten.de
Die Räuber am Staatstheater Nürnberg

















