Nutcracker.Now: Risse in der Weihnachtsidylle

12. DEZEMBER 2025 - 6. JANUAR 2026, TAFELHALLE



Nutcracker.Now erzählt vom Ende der Unschuld – und vom Neubeginn.
Premierenkritik aus der Tafelhalle von Sigrun Arenz, zuerst erscheinen bei freieszenenbg.de.

Es ist nichts mehr zu tun. Es gibt nichts mehr zu zerstören, und so bewegen sich die sieben Menschen auf der Bühne ziellos, haltlos im Raum. Selbst die Musik schweigt. Alles ist zu Ende, am Ende, so scheint es zumindest. Dabei hat alles so schön begonnen, in einem Land voller Süßigkeiten und Geschenke, voller Schnee, der immer weiß und rein ist, und vor allem – einem Land, in dem jeden Tag Weihnachten ist. „Nutcracker.Now“ ist eine künstlerische Auseinandersetzung mit Tschaikowskys „Nussknacker“, dem Weihnachtsklassiker des Balletts schlechthin, einem Werk, dessen Melodien jeder schon einmal irgendwo gehört hat, egal wie nah oder fern der sogenannten Hochkultur man stehen mag.
 

Überhaupt Hochkultur – das Konzept ist weit weg für Susanna Curtis, die gemeinsam mit dem Ensemble EveryBody allen Menschen Zugang zur Kultur ermöglichen möchte – sowohl auf der Seite der Rezipienten als auch auf der der Kunstschaffenden. Und so erscheint auf zwei der vielen weißen Kissen, die zu Beginn von der Decke hängen und ein weihnachtlich anmutendes Bühnenbild schaffen, eine Sprecherin, die in Gebärdensprache vermittelt, was gesagt wird, während später die Erzählung der gehörlosen Tänzerin Laura Poster über die Weihnachtsbäckerei in ihrer Kindheit von ihren Bühnenkolleginnen und -Kollegen „übersetzt“ wird. Alle sollen Anteil haben können – am Sehen, am Hören, aber auch am Darstellen. Dass dieser inklusive Ansatz weder konstruiert und umständlich wirken noch auf Kosten der künstlerischen Qualität gehen muss, beweist das siebenköpfige Ensemble in der Tafelhalle eindrücklich.


Ganz in Weiß, der Farbe der Unschuld gekleidet, tanzen Curtis, Jürgen Heimüller, Stella Covi, Jan Chris Pollert, Laura Polster, Emmanuelle Rizzo und Karoly Toth mit weichen, weißen Kissen in den Armen zu Tschaikowskys Musik, und es ist ein Staunen, ein Zauber des Nie-Dagewesenen in ihren Bewegungen und Mienen, als sie Geschenke auspacken und die daraus zum Vorschein kommenden Kopfbedeckungen aufsetzen und dann tauschen. In einem Berg von Kissen endet der Weihnachtstag im Nussknackerland mit dem zwölften Glockenschlag – nur, um im nächsten Moment von neuem zu beginnen. Im Laufe der Wiederholungen schleichen sich falsche Töne in die Idylle, werden Risse sichtbar, die im rasenden letzten Durchlauf in einer Orgie der Zerstörung münden.


Es gibt vieles, was sich an der Stelle assoziieren und mitdenken lässt: der Verlust der Kindheit, die langsame Erosion von Beziehungen, die Zerstörung der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten, die Entfremdung vom Mitmenschen und von sich selbst, und das in einem Absturz, den man kommen sieht, ohne zu verstehen, woher er kommt. So idyllisch und liebevoll der Beginn, so harsch und unvermeidlich die Zerstörung. Und doch ist es nicht das Ende. Eine der schönsten Szenen des Stücks entspinnt sich erst aus dieser ziellosen Verlorenheit. Das Duett zwischen Stella Covi und Károly Tóth ist vielleicht die innigste, schönste und – überraschenderweise – der Vorstellung von klassischem Ballett am nächsten kommende Szene im ganzen Stück. Sie schwebt, fliegt mit auf seinem Rollstuhl, aus dem er sich zuletzt erhebt, um jetzt von ihr mitgehalten zu werden. Das Duett wird zum Übergang zwischen dem ersten Teil und einem zweiten, der auch schön ist, aber mit dem ersten nur lose zusammenhängt. Die Darsteller erzählen tanzend und tanzen erzählend über ihre Kindheitserinnerungen und ihre Erfahrungen mit Tschaikowskys „Nussknacker“. Am Ende fällt weißer, weicher, weißer Schnee auf der Bühne, wie ein Echo der unschuldigen Kindheitserinnerungen, die so nicht wiederkehren.

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Curtis&Co – Dance Affairs/EveryBody: Nutcracker.Now in der Tafelhalle
Weitere Termine: 03. bis 06.01.2026





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