Die Phantasie braucht kein Navi: Jasons Reise am Theater Mummpitz
Sagenhaft: Das Theater Mummpitz verbindet zum Saisonstart mit der Uraufführung „Jasons Reise“ Mythen und Mobbing.
Von Andreas Radlmaier
„Wenn Du in den richtigen Bus einsteigst, kannst du es mit jedem Koloss aufnehmen“, sagt Alexis, der Steuermann dieser Reise ins Sagenhafte, am Ende. Gleichzeitig fallen Goldstaub und Zuversicht auf die Miniaturszene mit den Heldenfiguren aus dem Kinderzimmer. Im kühnen Zirkelschlag kombiniert das Theater Mummpitz, Nürnbergs erste Adresse für Familientheater, mit der Uraufführung „Jasons Reise“ 3000 Jahre alte, goldglänzende Mythen mit bleierner Mobbing-Angst von heute. Und: Wer wagt, gewinnt.
Die Inszenierung liefert reichlich Stoff fürs angeregt-anregende Nachgespräch am Familientisch. Kombiniert „Jasons Reise“ doch die antike Suche nach dem Goldenen Vlies mit den ewigen Ungeheuern des Unterbewusstseins, dem Gefühl, nicht zur Gemeinschaft zu gehören, ein Opfer von Hate-Speech zu sein, nicht Fußball spielen zu können und auch noch zu schwitzen. Auf Jason lasten diese Stimmungsschatten, wie er da mut- und lustlos im Schulbus von Alexis sitzt.
Der ändert kurzerhand die Route, packt die Argonauten, allesamt aufgesammelte Spielzeug-Figuren, im griechischen „Café Nikos“ aus seiner Busfahrer-Tasche auf den Bistro-Tisch und umfasst ihn mit beiden Händen. Ah, ein Lenkrad. Los geht’s, Türen schließen, Motor anlassen! Und weil die Phantasie sowieso kein Navi braucht, verwandelt sich der Bus völlig logisch in das Schiff Argo auf seinem Abenteuertrip nach Kolchis, am Ende der Welt. Projektionsfläche, Stabpuppen und Taschenlampen machen’s möglich.
Regie-Einspringerin Sabine Zieser, rettend als Mummpitz-Mitglied nach überraschender Gast-Absage im Einsatz, kombiniert vertraute Stil-Elemente wie eine poetische Bildsprache, pointierten Humor und Musik als Gleitmittel (dieses Mal schafft der iranische Meistertrommler Hadi Alizadeh alle Varianten zwischen Diesel-Motor und Drachen-Fauchen) in dieser Adaption mit Abstechern in Schattenspiel und Figurentheater.
So schäumt das Helden-Schiff reizvoll zwischen gefährlichen Spulschwamm-Inseln und wilden Stieren durch eine riskante Geschichte mit Tiefgang, in eine Antike, in der auch unversehens Rotkäppchen als rätselhaftes Wesen aufpoppt. Ängste und Monster sind immer und überall. Michael Bang und besonders Michael Schramm – beide prägende Bühnen-Charaktere in der Mummpitz-Crew – laden diese Erzählstunde bestens auf und lassen den berühmten Stoff um Jason und Medea gegenwärtig leuchten.
So könnte „Jasons Reise“ auch als gelungener Einstieg ins oder Beitrag fürs Melanchthon-Jahr durchgehen, mit dem Nürnberg 2026 an das älteste, humanistische Gymnasium Deutschlands und eine damals beispiellose Bildungsoffensive erinnert. Wer wagt, gewinnt.
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Weitere Termine: „Jasons Reise“ steht bis 21. November auf dem Spielplan. Es gibt nur noch Restkarten. Am 23. April 2026 kehrt die Aufführung in den Kachelbau zurück.
www.theater-mummpitz.de















