Weiter wurde noch nicht geforscht: Nürnberg GLOBAL im Germanischen
Es gab keine Epoche der Menschheitsgeschichte, sagt Daniel Hess, Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums, in der die Anhäufung von Wissen schneller beschleunigte als ab ca. 1500. Und das wiederum sei eine eindeutige Parallele zu unserer Gegenwart: Das Erbe der Menschheit, es wächst nicht nur an, es fliegt auch andauernd um die Welt. Nürnberg ist zu jedem Zeitpunkt mit jedem anderen Ort vernetzt, auch das war im Mittelalter und Renaissance schon so, nur anders. Nürnberg GLOBAL 1300-1600, die große Jahresausstellung am GNM wirft ein Schlaglicht auf früheste Formen von Globalisierung.
Ein mit Meeresschnecken besetzter Goldpokal in Kombination mit einer Schale aus Perlmutt sind direkt das erste Objekt, auf die Besucher:innen treffen. Gefertigt wurde die Schale im 16. Jahrhundert im indischen Gujarat, über Lissabon kam sie nach Nürnberg, wo ein Goldschmied das Stück zusätzlich verzierte und um die Kanne ergänzte, bevor er das Ensemble auf der Leipziger Messe feilbot. Aus Sachsen, aus dem Grünen Gewölbe in Dresden, kehrte sie nun als Leihgabe zurück. Die Linie von Westindien über Lissabon nach Franken taucht in der Ausstellung immer wieder auf, nicht nur als Route des Handels mit Edelmetall, sondern beispielsweise auch mit Gewürzen.
Die Reichsstadt Nürnberg hatte zu damaligen Zeiten eine herausgehobene Stellung als Umschlagplatz von Waren und Ideen, ein Zentrum des Drucks und der Kunst. Abbilder der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation konnten natürlich nur von einem stammen: Meister Dürer. Er, als früher Fernreisender und internationaler Prominenter, ist natürlich mehrfach präsent in der Ausstellung. Inspiriert von osmanischen Kollegen schuf er eigene Variationen der typischen orientalischen Endlosornamentik, sein Rhinocerusbild zeigte den Franken ein fremdes Wesen, das Tier selbst überlebte die Fahrt übers Mittelmeer nicht. Ikonische Dürer-Figuren finden sich auch in Drucken persischer Lyrik aus der Zeit – eine geradezu postmoderne Herangehensweise ans Kunstschaffen.
Aus dem Jahr 1542 stammt die wahrscheinlich älteste Karte einer amerikanischen Stadt: Tenochtitlán, Hauptstadt des Aztekenreiches. Sie stammt vom Nürnberger Drucker Friedrich Peypus und wurde für den Erzherzog Daniel angefertigt. Das Blau für das die Stadt umgebende Wasser jedoch muss aus Lapisgestein aus Afghanistan gewonnen worden sein. Auch das erste Meerschweinchen und die erste Tomate, die in Europa dargestellt wurden, gibt es in der Ausstellung zu sehen, Leihgaben aus Erlangen.
Das alles, die Gemälde, die Silberschmiedearbeiten, die in Gold gefasste Kokosnuss, ist schön und mit Genuss anzuschauen. Die Ausstellung will aber auch eine europäische Verantwortung übernehmen, wie Hess erläutert, und genauso darstellen, auf welche Kosten der Nürnberger Reichtum ging: In von Nürnbergern betriebenen Minen wurden Menschen ausgebeutet, nicht wenige Objekte, wären ohne Sklavenhandel gar nie in Europa angekommen. Globalisierung bedeutete Wissensaustausch und lukrativen Handel aber auch Ausbeutung, Krieg und Tod. GLOBAL 1300-1600 erzählt vor diesem Hintergrund und anhand seiner spektakulären Objekte so viele in die Gegenwart reichenden Geschichten, dass ein Besuch im GNM fast zu wenig scheint.
Es ist, vielleicht über allem stehend, die Erzählung von der Geschichte der ewigen menschlichen Neugier. Auf dem Schöner-Globus von 1520 findet sich auf der Insel Kuba eine lateinische Aufschrift von bestechender Ehrlichkeit: “Weiter wurde noch nicht geforscht.”
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Germanisches Nationalmuseum: Nürnberg GLOBAL 1300-1600
25. Sept 2025 bis 22. März 2026