Frankentatort: Ich verstehe dich (nicht)

SONNTAG, 14. SEPTEMBER 2025, ARD



TV-Kritik von Theo Fuchs

"Ich sehe dich" war der elfte Tatort aus Franken. Doch was alles war denn da wieder schiefgelaufen? Zum Start eine völlig unnötige Schulterverletzung des Kommissars, eine alberne Konsultation bei einem kichernden Arzt mit asiatischem Aussehen. Eine komplett unmotivierte Rolle für Sigi Zimmerschied als grantelnder Fahrer, der noch 14 Tage bis zur Rente im Keller des Polizei-Archivs hätte vor sich hin vegetieren sollen. Als würde der Staat mit einem Polizei-Beamten umspringen wie Elon Musk - zudem Zimmerschied ein Niederbayer ist, und man sich als Einheimischer zum wiederholten Male fragt, warum im Franken-Tatort alle möglichen Landsmannschaften vertreten sind, nur keine Franken. Oder denken die Drehbuchschreibenden, Regisseur Max Färberböck und Catharina Schuchmann, dass es für den Rest der Republik schon irgendeine Art von süddeutschem Gebrabbel tut, damit wohlige Hinterwäldler-Betrachtungs-Gefühle aufkeimen? Matthias Egersdörfers Nichtmehrdabeisein macht sich wieder in jeder Hinsicht schmerzlich bemerkbar! 

Das zentrale Thema des Films war allerdings ein relevantes, ernstes, tief berührendes und aufwühlendes – denn das Mordopfer war ein männlicher Serienvergewaltiger, der zunächst Hunderte Frauen verfolgte, heimlich fotografierte und dann mehrere seiner Opfer zum Teil tagelang quälte, vergewaltigte, misshandelte. Ein Peak an toxischer Männlichkeit, widerwärtig, alptraumhaft schon für die Fernsehzuschauenden. Für reale Opfer sexualisierter Gewalt lebenslanges Trauma, das nichts und niemand ungeschehen machen kann. Auch nicht der Rückfall in atavistische Reflexe, indem der Lebensgefährte eines der Vergewaltigungsopfer dann dem Vergewaltiger mit einem Hammer den Schädel einschlägt. Ein ebenso chauvinistischer Akt im Testosteron-Rausch, der wohl mehr oder weniger der Dramaturgie dieser erdachten Geschichte geschuldet ist. Die dann auch noch im erweiterten Suizid des Gentleman-Rächers gipfelt, der die von ihm vermeintlich beschützte Frau selbstverständlich mit sich ins Jenseits nehmen will, weil er sich den Strafverfolgungsbehörden entziehen will. Wäre es ein Horror-B-Movie geworden, hätte man ja noch einiges verzeihen können, aber für einen Krimi büßte der Plot irgendwo auf halber Strecke völlig sowohl an Logik als auch an Glaubwürdigkeit ein.  

Schade, dass diese Story so saublöde erzählt wurde. Anfangs schreit ein Herr Kaiser durchs Polizeipräsidium, ohne dass diese Figur irgendwie eingeführt oder für das Folgende relevant wäre. Generell steht man in diesem Präsidium ständig im Großraumbüro herum und beobachtet den Chef beim Arbeiten. Ein im Treppenhaus brüllender Nachbar im Hausmantel soll im Kontrast dazu wohl eine witzige fränkische Einlage abgeben. Die Mutter des Opfers erhängt sich flott, eine offenbar unwichtige Nebenepisode, die ohne Erklärung oder Bedeutung bliebt. Die Kommissarin schiebt abseits der Kamera, die stur an dem hilflosen Ermittler Voss kleben bleibt, Nachtschichten, während derer sie alle Hintergründe im Alleingang aufdeckt. Zur Belohnung darf sie den Monologen ihres männlichen Kollegen lauschen und ein bisschen weinen. Selbstverständlich geht dann zum Höhepunkt der Kommissar bei Gefahr im Verzug(!) ohne Begleitung(!!) oder Bewaffnung(!!!) mit Schulterverletzung(!!!!) in die Wohnung des Tatverdächtigen – einem ehemaligen Militär(!!!!!) – und lässt sein Handy im Auto liegen(!!!!!!). Absolut unnötiger Quatschkäse in Tüten. Sigi Zimmerschied darf die lebensbedrohliche Situation dann mit einer Slapstick-Einlage lösen. Am Schluss dann passend der künstlerische Tiefpunkt: eine hektisch geschnittene Rückblende der Erlebnisse, während der Kommissar nur glotzend da steht, bis ein Rettungssanitäter grinsend den Daumen hebt. Eine Gruppe Elftklässler im Film- und Theater-Grundkurs hätte die Aufgabe wohl mindestens genauso gut gelöst. 

Und ein letztes Ärgernis, das sich wie ein roter Faden durch die Regional-Fernsehkrimis zieht, muss nun abschließend auch noch genannt werden: in der Metropolregion lebt wohl eine nicht zu vernachlässigende Anzahl Zuschauer, die sich halbwegs in der Stadt auskennen. Warum also permanent diese für die Einheimischen völlig unlogischen Ortswechsel? Niemand rast mit dem Auto entlang der Hochbahn in Doos vom Präsidium in der Schlotfegergasse zur Fürther Straße! Man gelangt nicht von der Willstraße in ein paar Schritten in den Fürther Stadtpark! Warum überhaupt muss mitten in Nürnberg ständig mit höchstem Tempo Auto gefahren werden? Warum müssen Polizisten ständig auf Bushaltestellen parken? Warum sitzt der Kommissar bei Regen auf einem Waschbetonpoller am Plärrer, um nachzudenken? Der Steinbruch am Schmausenbuck liegt nicht in einem Sumpfgebiet! Zudem wirklich jeder Einheimische weiß: hier sind Tag und Nacht Wanderer, Mountain-Biker, Schulklassen, Tiergartenbesucher etc. unterwegs, so dass es extrem riskant wäre, dort eine Leiche zu vergraben. In einem zwei Meter tiefen Loch im weichen Sandboden!! Hätte man da nicht erst jemanden fragen können, der sich auskennt? Erst diesen Sommer sind in Italien wieder ein paar Leute am Strand umgekommen, weil sie zu tief gegraben haben.

Kurz gesagt: Tausende Menschen wissen, dass das, was gezeigt wird, falsch ist. Wieso dann also überhaupt diese manische Wertlegung auf Lokalkolorit? Erfindet doch einfach eine künstliche Stadt, "Nordbayern-City" z.B. Da könnt ihr die ganzen Stereotypen vom Fremdenverkehrsamt hineinpacken. Von allen Fremdenverkehrsämtern, von Augsburg bis Passau. Und gut ist. 
Nein: So leid es mir tut, aber dieser Tatort war peinlich, schlecht, voller überflüssiger Schnapsideen und wurde der wohl beabsichtigten, richtigen und wichtigen Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt gegen Frauen überhaupt nicht gerecht. Leider nur vier von fünf Sternen. 

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