Grammy vs. Brit Awards vs. Echo
Drei der prestigeträchtigsten Musikpreise des Jahres sind durch. Gefeiert wurde trotz herber Rezession in der Branche mit Pauken, Trompeten und einigen Merkwürdigkeiten.
Anfang Februar wurden im Staples Center von Los Angeles die Grammy Awards 2009 verliehen. Unglaubliche 110 Kategorien waren im Angebot, darunter das beste Polkaalbum, das beste historische Album, das beste Musikalbum für Kinder, das beste Album mit indianischer Musik und das beste Tropical-Latinalbum. Ein unglaublicher Wust, in dem sich keiner mehr so wirklich auskennt und manch ein durchschnittlich erfolgreiche US-Musiker einen Preis mit nach Hause nehmen kann. Umso erstaunlicher, schlimmer oder vielleicht sogar eine logische Folge, dass Präzision und Individualität zu Randerscheinungen mutierten. Die kurz darauf folgenden Veranstaltungen in London und Berlin zeigten sich diesbezüglich ebenfalls auffällig.
Die gleichermaßen imposante wie merkwürdige Zusammenarbeit von Robert Plant mit der Bluegrass-Musikerin Alison Krauss räumte gleich zwei Grammys ab. Einen für das Album des Jahres, „Raising Sands“. Das findet sich inzwischen auf Amazon US um beinahe 50% reduziert zum Dumpingpreis von umgerechnet etwas mehr als 7,90 Euro. Dafür bekommt man im Müller auch eine Best of Uriah Heep. Aber was solls, wäre nicht der erste Welterfolg, der völlig am Rest der Welt vorbeigeschrammt ist. Single des Jahres wurde „Please Read The Letter“, ein Stück welches bis dato weder auffällig viele Airplays noch anderweitigen Berühmtheitsgrad vermelden konnte. Teile der Presse bejubelten diese Entscheidung der Jury ob bewusstem gegen den R´n´B-Strom schwimmen. Schmerzhafte Nadelstiche für Jay-Z, Kayne West und Konsorten. Andere Teile rieben sich und ihren Lesern verwundert die Augen in der Nachbetrachtung und warfen den Gedanken auf, ob man nicht lieber das Lebenswerk Plants und am Besten gleich noch das von Led Zeppelin ausgezeichnet hätte. Aber da war ja was: nach dem 07er Konzert von Led Zeppelin in London wollte Jimmy Page auf Welttournee gehen, Plant sich aber lieber mit Krauss in kleineren Etablissements vergnügen. Die verärgerten Kollegen schafften es in der Folge nicht, einen adäquaten Ersatz aufzutreiben. Schlechtes Timing also für einen Award.
Den Grammy für den besten Song (Merke: im Unterschied zu „Single“) erhielten die britischen Coldplay für „Viva La Vida“. Dabei wurden sie - mit Ansage - von einer angeblich ganzen Armada von Anwälten des US-Gitarristen Joe Satriani verfolgt, der bereits Kirk Hammett, Steve Vai und Larry LaLonde (u.a. Primus) unterrichtete und 1993 für ein Jahr bei Deep Purple spielte. Seitdem hat er allerdings außer einer ganzen Reihe mäßig erfolgreicher Live- und Studioalben wenig gerissen und trotz mehrerer Grammynomminierungen nicht das Glück gehabt, welches Coldplay mit einem Titel, dessen Struktur und Melodiefolge dem Satriani-Song „If I Could Fly“ ähnelt, zuteil wurde. Chris Martin und seine Bande wurden dann aber kurz darauf auf den Brit Awards abgewatscht und gingen trotz mehrfacher Nominierungen mit leeren Händen nach Hause. Oder besser gesagt ins Studio, wo sie mit Brian Eno an neuem Material werkeln.
Die Preise in den Kategorien Beste Band und Bestes Album (für „Only By The Night“) gingen stattdessen an die US-Band Kings Of Leon. Verkehrte Welt also: in den USA gewinnen die Briten, auf der Insel die Amis. Das wäre in Italien nicht passiert, da hätte Eros Ramazotti gewonnen. Und in Frankreich Carla Bruni. Inklusive der präsidialen Androhung, im Falle einer anderen Entscheidung die komplette Jury auszutauschen. Und die Presse (endlich) vollständig zu verstaatlichen. In Deutschland? Hatten wir ja letztes Wochenende. Lindenberg. Und weil der Jury hier nix Besseres eingefallen ist, hat der Altmeister dieses Mal und 17 Jahre nach dem Echo für sein Lebenswerk - eigentlich die Freikarte für die erste Klasse, Sonderzug nach Pankow, Altersresidenz - den Preis als bester Künstler national bekommen. Hinterm Horizont geht’s eben immer weiter... vor allem, wenn den Veranstaltern außer einer im Vergleich zu den Vorjahren gigantomanischen Fete in der 02 World, die einmal mehr gezeigt hat, dass die Branche nicht nur auf einem Auge blind ist, sondern auch noch glaubt, den Konsumenten mit einer Parade aus Geld und Glückseligkeit hinters Licht zu führen, nichts Besseres einfällt. Da hat man die Rechnung aber ohne Brüderchen Hartz (Gruß an Michel Hirte), Tante Kurzarbeit, Germanys Next Top-Entlassung und vor allem den allmächtigen Gott des Internet gemacht. Die werden eine allgegenwärtige und von der Basis herbei gesehnte Musikflatrate an allen Fronten und für Operette bis Minimal Techno gleichermaßen früher oder später schon noch erzwingen.
In Sachen Dance gab es bei den Grammys zwei Kategorien und einen Gewinner: Daft Punk. Zum einen gewann ihr 2001 als Singleauskopplung aus „Discovery“ erschienenes „Harder, Better, Faster, Stronger“ den Award für die beste Dance-Aufnahme. Traurig genug, dass die elektronische Zeitrechnung der Juroren scheinbar vor gestandenen acht Jahren aufgehört hat, zu existieren. Oder ist seitdem nichts mehr Anständiges nachgekommen? Immerhin hat man die Biografie von Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter dann doch noch ein paar Sätze weiter gelesen und ihnen für „Alive 2007“ gleich noch den Preis für das beste Electronic-Dance Album mitgegeben. Interessante Nebenbetrachtung: Daft Punk zählten 2003 mit zu den ersten Künstlern, die Produktionen und Remixe kostenlos im Netz vertrieben und haben mit diesem „Daft Club“ genannten Projekt einmal mehr Maßstäbe gesetzt. Da schmeckt der Schampus auf Kosten der umsatzabhängigen Industrie gleich noch eine Spur besser...
Ein echter Schlag ins Genick dürfte die Verleihung des Grammys für die beste Hard Rock Darbietung gewesen sein. Den gab es nämlich für The Mars Volta und die haben - auch im Vergleich zu den anderen nominierten Künstlern Disturbed, Judas Priest, Mörtley Crue und Rob Zombie - mit dem Genre mal überhaupt nichts zu tun. Die von der Fachpresse mal überschwänglich gefeierte, mal aufs Heftigste für ihre ausschweifende Performance kritisierte Band mexikanischer und puertoricanischer Herkunft vermischt unzählige Einflüsse von Latin, Krautrock, Klassik, Punk, Jazz hin bis zu progressive Rock. Aber Hardrock ist anders. Könnte man zumindest bis eben gedacht haben.
Logisch, dass das nicht die letzte leicht bis äußerst merkwürdige Geschichte der Preisverleihungen war. Da gab es ja noch einen so ziemlich jeden im Publikum beleidigenden Oliver Pocher, Iron Maiden als bester Britischer Liveact, They Might Be Giants mit dem Grammy für das beste Musikalbum für Kinder (mit „Here Comes The 123s“), der mittelmäßig begabte Paul Potts als Quotenretter der E-Musik, die endlich für ihr Lebenswerk ausgezeichneten Pet Shop Boys oder die Kastelruther Spatzen, die ihren zwölften Echo von den in „Trachten-Latex-Köstumchen“ (O-Ton Barbara Schöneberger) angerückten Monrose überreicht bekamen. Auch logisch, dass man alle Jahre wieder mit dem Versuch, zu verstehen was einem da so serviert wird, kläglich scheitert. Macht aber nichts, denn darum geht es ja auch nicht. Wenn man mal ehrlich ist.
(dl)