Jonas Rausch | Pharao und Hieroglyphe

FREITAG, 16. APRIL 2021

#Collage, #Digital, #Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Interview, #Jonas Rausch, #Kunst, #Locked in

Locked in | 057 – Der monströse Pinguin oben links hält zum Mittagessen eine Robbe im Schnabel. Keinen Fisch. Eine komplette Robbe. Größenverhältnisse sind ja in Collagen immer so eine Sache, vielleicht ist der Pinguin auch nur einfach näher bei uns.

Dann wäre die Robbe in seinem Schnabel freilich sehr klein. Neben ihm, oben links, scheint das Wort „Eisbrocken“ auf, oben rechts dagegen das Wort „Schneeflocken“. Worte sind ja auch nur Bilder, das wird klarer wenn man sich die Hieroglyphen der alten Ägypter*innen vor Augen hält: Bildzeichen, die etwas bedeuten, einen Laut oder ein Wort, oft beides. Unsere Buchstaben bedeuten Laute, was nicht heißt, dass sie keine Bildzeichen wären. „Kielings Kalte Welt“, eine der Collagen von Jonas Rausch, spielt mit diesen verschiedenen Bildebenen: Die Collage ist übervölkert von Pinguinen, Robben und geologischen Formationen, überbordend für die Betrachter, aber voller kleiner Geschichten. Und die Frage, was die Bedeutung eines Zeichens ist, stellt sich in anderen Werken auch ganz direkt: Ein Teller mit Würsten, davorgesetzt ein länglicher bemalter Steifen mit den griechischen Buchstaben Omega, Lambda, Omega. Was sehen wir da? Werbung für ein Restaurant? Den wurstlastigen Rebrand für eine amerikanische Studentenverbindung? Wir wissen es nicht, aber wir glauben irgendwie schon, dass wir es wissen sollten. Überall in unserem Alltag begegnen uns derartige Zeichen, das meiste dringt nur unbewusst in unseren Kopf. Jonas macht den Mechanismus sichtbar.

Im Interview erzählt Jonas von archäologischen Bildschichten, die gesellschaftliche Dimension der Collage und die Bilder des Pharaos für das Jenseits.

Marian Wild: In deinem Lebenslauf findet sich eine recht ungewöhnliche Station vor dem Kunststudium: Du hast zwei Jahre in Würzburg Ägyptologie studiert, hast dich also mit Bildzeichen und deren Entschlüsselung befasst. Wie ist diese Herangehensweise in deine Kunst eingeflossen?
Jonas Rausch: Die Hieroglyphen der altägyptischen Kultur konnten als Symbole für das, was sie darstellten, gelesen werden, aber auch abhängig vom Kontext Silben darstellen und etwas völlig anderes bedeuten. Dies war auch für mich vom Anfang meines Studiums an interessant und ich war auf der Suche nach modernen Symbolen die universell verständlich sind. Ich kam daher schnell auf Markenlogos, die ich in Verbindung mit den antiken Bildern setzte und die im Falle der digitalen Collagen von 2016 aus einem Malbuch des ägyptischen Museums in Berlin stammten, wo ich im Alter von zehn Jahren einmal war und mich so sehr mit dem alten Ägypten beschäftigte wie seither nie wieder (vgl. „McDEgypt“, 2016). Diese Bilder zielen auf eine universelle Kommunikation ab, sind aber auch autobiografisch zu verstehen, was mir nicht so bewusst war als ich sie anfertigte. Wenn ich an die Antike oder an prähistorische Zeiten denke, dann denke ich auch gleichzeitig an meine Kindheit und frühe Jugend zurück, wo ich mich sehr für längst Vergangenes interessiert habe. Ich sehe dies als eine unfreiwillige Appropriation [Annäherung, Anmerkung des Interviewers] der Weltgeschichte in die eigene Biographie.

Diese historischen Zeichensysteme entwickeln in deinen Arbeiten zunehmend ein Eigenleben, bis sie in den jüngsten Collagen zu fast überfordernden Bildballungen werden. Wie behält man als Urheber den Fokus bei solchen Arbeiten?
Am Anfang jeder Collage stehen ein bis fünf Elemente. Diese einzelnen Bestandteile sind in diesem Moment schon von ihrem Kontext befreit und fügen sich durch das neu arrangieren in einen neuen. Ich bin in den meisten Fällen nicht der Urheber der Bilder und trete als Künstler auf, indem ich sie neu ordne. Der Überblick geht dabei schnell verloren aber dies markiert den Punkt, an dem mein Bild für mich eine eigene Existenz bekommt. Die Aussage die es dann manchmal am Ende hat ist mir von vorn herein nie klar und variiert extrem von absurdem Spiel bis zu konkreteren Themen wie hier dem Mythos über die Erfindung der Lyra oder der Antarktis. Der Text ist in diesen beiden Fällen als letztes dazu gekommen und kann auch als eine Referenzebene verstanden werden, nicht als konkrete Beschreibung des Dargestellten. Trotz dieses Overloads an Informationen will ich aber noch Spielraum für die Betrachtenden lassen.

Mit deinen Collagen stehst du natürlich ganz in Einklang mit deinem Ansatz auch in einer mächtigen Bildtradition von Picasso, über John Heartfield bis zu Marcel Odenbach. Was ist das Neue, das man diesem Medium aus deiner Sicht abgewinnen kann?
Die genannten Künstler haben völlig verschiedene Ansätze mit dem Medium Collage und meine Herangehensweise ist wiederum anders. Dieses Medium hat meiner Meinung nach keine so lange und lückenlose Geschichte wie die Malerei und ist doch Ausdruck einer grundlegenden menschlichen Verhaltensweise. Statt das Umfeld zu reproduzieren kann man hier direkt Materialien zu Neuem zusammenfügen und dadurch satirisch-politische Aussagen treffen wie Heartfield oder monumentale konsistente Gesamtbilder erzeugen wie Odenbach. Aber beide Künstler wussten von vorn herein immer ziemlich genau wie das Ergebnis aussehen sollte oder zumindest was oder wen sie darstellen wollten, was in meiner Praxis meist am Anfang völlig unklar ist. Darin liegt für mich auch die Stärke dieses Mediums: In der Ergebnisoffenheit.

Die ägyptischen Pharaonen haben sich wohl mitunter nach ihrem Tod zusammen mit ihren Dienern in ihrer Grabkammer einschließen lassen, auch viele der Namenskartuschen haben eine fast klaustrophobische Anmutung. Wie blickst du auf diese ganze Krise? Was hat sich für dich verändert?
Seit der Pandemie und der Ausgangssperre habe ich zunächst nicht mehr an der Akademie im Atelier gearbeitet sondern zuhause an meinem Schreibtisch, wo die Auswahl an Papiermaterial für meine Collagen viel größer ist, ich aber auch im Format eingeschränkter bin. Sich bei der Recherche und beim Sammeln von Ausschnitten durch diese Berge aus Büchern, Zeitschriften, Kalendern et cetera zu wühlen ist für mich wie eine archäologische Ausgrabung im kollektiven Bildgedächtnis und eine Auseinandersetzung mit den eigenen ästhetischen Präferenzen gleichzeitig. Auch immer mehr private Fotos, die ich in den letzten fünf Jahren analog geschossen habe und die ich hier in einem Schuhkarton lagere, finden ihren Weg in meine Bilder. Dies hat sich natürlich während der Ausgangssperre verstärkt, was nicht bedeutet, dass meine Materialsammlung nennenswert geschrumpft wäre. Aber durch die Fokussierung auf dieses Format und das Medium mit dem ich am sichersten bin hat meine Produktivität erhöht und es entstand fast jede Woche ein neues Bild. In den Grabkammern der Pharaonen wurde versucht, es dem Verstorbenen im jenseitigen Leben so angenehm wie möglich zu machen und es gibt kunstvolle Alltagsgegenstände die er dann benutzen sollte. Gleichzeitig ist an deren Wänden das ganze Weltbild dieser Kultur verewigt. Meine Materialsammlung und einzelne Screenshots aus dem Internet erfüllen für mich die gleiche Aufgabe und verdichten sich in den Collagen zu einem Bedeutungssystem das man durchaus mit antiken Mythen vergleichen kann. Im Falle der im April entstandenen Collage „Lyruga“ wird der Mythos der Erfindung der Lyra aus einem Schildkrötenpanzer durch den Gott Merkur zitiert, sowohl schriftlich als auch durch diverse Panzer, Saiteninstrumente und Hände illustriert. Der Ausgangspunkt für dieses Bild war allerdings ein Foto, das ich im Berliner Tierpark vor einigen Jahren aufgenommen habe, auf dem meine Hand eine Galapagosschildkröte berührt.

Weitere Informationen zum Künstler: (KLICK!)




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