Hans Karl Kandel | Im Schlund des weißen Körpers

FREITAG, 4. DEZEMBER 2020

#Bildhauerei, #Dr. Marian Wild, #Gips, #Hans Karl Kandel, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst, #Locked in

Locked in | 038 – Die Gefäße stehen fast scheu im Raum. Zwei kleine, weiße Gipsamphoren von ähnlicher Größe, aber unterschiedlich in der Ausformung der Öffnung, lehnen in einer Ecke der Ausstellung in Frankfurt, fast wie grafische Leerstellen vor der grauen Wand.

Was tun sie da? Es braucht etwas Erfahrung mit den Gipsplastiken des Bildhauers Hans Karl Kandel um den räumlichen Effekt seiner Werke gänzlich zu spüren. Zwölfmal ist das Set aus Schale und Platte in der Egidienkirche identisch nebeneinander in den Raum in Reihe gesetzt. Stellt man in einer Kirche aus ist jedes Detail bedeutungsschwanger: Zwölf Sets, wie zwölf Apostel, auch die Kreuzigung ist in der Regel die zwölfte Station des Kreuzwegs. Schale und Platte, wie sein Blut und sein Leib. Eingereiht in die Chorapsis bilden die Objekte vielleicht sogar eine Achse in die Auferstehungsmythologie. Solche Überlegungen sind wichtig für das Verständnis der Arbeit, aber der Kern, das was die Objekte im Raum tun, liegt woanders: Selbst in dem von Stuck und Ornament und weißer Farbe gefassten Raum können die Gipsplastiken sich behaupten, sie saugen die Räumlichkeit förmlich auf, wie der Gips Feuchtigkeit aufnehmen kann. Die Gefäße werden nachgerade zu atmosphärischen Sammelbecken, weißen Löchern im Raum, die ihr gegenüber langsam verschlucken. Und das leisten auf ihre Weise auch die beiden Kugeln vor der grauen Wand. So unscheinbar sie sich platziert haben, sie saugen doch ihre Umgebung auf, wie ein Gegenstand aus einer alten Fabel, wie eine futuristische Technologie. Wie ein skelettierter Schlund.

Im Interview erzählt der Bildhauer von griechischen Amphoren, dem Nehmen von Raum und der Todesmetaphorik von Beuys.

Marian Wild: Deine teilweise mehrere Meter großen Objekte sind aus Gipsschalen aufgebaut. Sie wirken, wenn man sie vor sich hat, immer viel zerbrechlicher als sie letztendlich sind. Du arbeitest seit Langem mit diesem Material. Was fasziniert dich so an der Arbeit mit Gips?
Hans Karl Kandel: Es ist nicht nur die relative Leichtigkeit dieses Materials, sondern die völlige Andersartigkeit und Gegensätzlichkeit die mir, im Vergleich zu meiner früheren Arbeit mit Stahl, völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Nicht mehr Trennen und Verbinden von vorgefertigten Blechen sind jetzt die Arbeitsprozesse, sondern der Umgang mit dem flüssigen Material Gips. Die erweiterte formale und inhaltliche Zielsetzung und Aussagekraft des Materials Gips ist bedingt durch seine typischen Möglichkeiten der Formbarkeit, seine Einheit von Material und Farbe. Durch den Gips fand eine Loslösung von der körperlichen Schwere statt, eine Transformation ins „Immaterielle“. Gips hat keinen Bedeutungscharakter wie z.B. Bronze, Stein oder gar Gold. Gips ist nicht mehr als er selbst. Es sind die Sinnlichkeit der Oberflächen und der Charakter der spezifischen Stofflichkeit die mich an diesem Material faszinieren.

Durch die schlichte Verarbeitung scheint das Materielle deiner Objekte, das konkrete Gewicht, fast vollständig zu verschwinden. Die Arbeiten wirken wie fast irreale, abstrakte Grafiken an den Orten, an denen sie gezeigt werden, sie scheinen bei richtiger Platzierung die Atmosphäre der Umgebung fast zu verschlucken. Wie findest du plastische Formen, die so einen bemerkenswerten räumlichen Effekt erzeugen können?
Das zentrale Thema meiner Arbeit ist das Gefäß. Gefäß, von fassen, nicht als Gebrauchsgegenstand zur Aufnahme von Materie verstanden, sondern das Gefäß als Resultat plastischer Auseinandersetzung. Die Wurzeln dieser Themenstellung liegen Jahrzehnte zurück. Sie liegen in der frühen Auseinandersetzung mit griechischen Amphoren, insbesondere mit deren Architektur, Plastizität, ihrer Körperlichkeit, als auch in der Begeisterung für die Klarheit und Konzentriertheit japanischer Kunst, insbesondere dem japanischen Holzschnitt. Ich stehe seitdem in einem Spannungsfeld europäischer und asiatischer Kunst. Aus dieser frühen Orientierung und Prägung heraus, aus diesem Erfahrungsraum der Andersartigkeit entwickele ich meine Plastiken. Meine Gefäße entstehen aus einer anthropomorphen, einer auf den Menschen bezogenen Sehweise. Metaphern unseres Selbst. Diese Sichtweise ergibt sich zunächst aus der Verwendung des Materials Gips. Beuys spricht von der Todesmetaphorik dieses Materials. Aus Staub verflüssigt, sich erwärmend, abkühlend, erstarrend. Im Material sind Tod und Vergänglichkeit impliziert. Gips hat keine Verewigungskonnotation. Meine Gefäße sind umhüllte Leere, dünnwandige Körper die dem Raum ausgesetzt werden. Raum im Raum. Ein Gefäß als Eigenraum, der im Dialog mit dem Umgebungsraum steht. Raum wird definiert, seine Dimensionen erfahrbar gemacht, sein Klang und Gewicht verändert. Weiße Gefäße, die dem Licht verbunden sind. Ihre Oberflächen absorbieren und reflektieren Licht und Farbigkeit der Umgebung, verstärken die Reduziertheit skulpturaler Form.

Mir scheint im Lauf deines Schaffens gibt es eine gewisse Veränderung deiner Objektumrisse vom Abgerundeten hin zum Scharfkantigen. Was ist passiert?
Es geht mir darum meine Objekte leichter erscheinen zu lassen, als auch sie stärker mit dem Umraum zu „verzahnen“. Die Schatten werden schärfer, das Wachstum in den vertikalen Raum wird deutlicher. Während die wulstigen Gefäße aus dem Ring, aus dem Zentrum entstanden sind, gestalte ich die neuen Arbeiten elliptisch. Sie entstehen aus zwei Konstruktionspunkten, dehnen sich in ihrer Körperlichkeit unterschiedlich in den Raum aus, nehmen damit auch Richtung.

Deine Gefäße sind ausgesprochen still und fokussiert. Der Alltag ist wegen der Quarantäne momentan auch sehr still. Was sind deine Beobachtungen zu dieser Pandemie?
Räume nicht mehr physisch überwinden zu dürfen hat mich, wie alle anderen auch, sehr eingeschränkt existieren wir doch nie anders als in der sozialen Gemeinschaft. Die so nützliche digitale Kommunikation empfinden wir plötzlich als Einschränkung. Das Gute: die Wahrnehmung anderer Menschen wurde geschärft, das Hineinversetzen in deren Situation und die daraus entstandenen Hilfen machen mich für die Zukunft optimistisch.

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Bis 20. Dezember
HANS KARL KANDEL – NICHTS FEHLT
GALERIE IN DER PROMENADE
Hornschuchpromenade 17, Fürth
galerie-in-der-promenade.de
Tel: 0911 – 70 66 60
Öffnungszeiten nach telefonischer Anfrage




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