Michael Jampolski | Caravaggio verleiht Flügel

FREITAG, 13. NOVEMBER 2020

#Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst, #Locked in, #Malerei, #Michael Jampolski

Locked in | 035 – Es gibt wenige Geschichten, die einflussreicher auf unsere heutige Gesellschaft sind, als die von Eva, die eine Frucht der Erkenntnis pflückt. Es folgte die Vertreibung aus dem Paradies, geboren aus der lasterhaften Neugier der ersten Frau.

Für Jahrtausende diente diese Erzählung als Kronzeuge für die Herrschaft des Mannes, der zwar zusah und probierte, aber offensichtlich Opfer seines Vertrauens wurde, ins Exil musste er letztlich auch. In Michael Jampolskis monumentalem Gemälde „Genesis“ hat der Moment eine zentrale Stelle erhalten. Mitten im Zentrum pflückt die zeitgenössische Eva in Spagettiträgertop und Hotpants eine kleine rote Frucht von der barock gestutzten Topfpflanze; der auf dem Sofa fläzende Adam beachtet den Vorgang nicht im Geringsten, er liest in einem dicken Buch. Ja wer macht sich denn da gerade der Erkenntnis schuldig? Die Szenerie wirkt harmlos, ist aber gleichermaßen beiläufig, banal und giftig. So entwickelt sich das Bild weiter: Eine vor breiten Regenbogenstreifen platzierte Arche schwimmt hinten links im stillen Wasser, das zur Lagune von Venedig zu gehören scheint (hinten rechts erkennt man den Campanile von San Marco). Von links scheint ein etwas ratloser Mann mehrere Tiere gen Pier zu führen, das Hochwasser ist wohl nur eine Frage der Zeit in dieser irrealen Szenerie, deren Farben nach recht immer kälter werden, als verlöre sie sich im Nebel. So kann man lange weitersuchen und sich in den Bildern versenken, und darin liegt die Stärke von Jampolskis Werken: Alte Bilder werden aktuell, neue Bilder werden historisch. Dazwischen tummeln sich Menschen, Farbeffekte und Tiere, neben einigen rätselhaften Dingen.
 


Im Interview erzählt Michael von postmodernen Objektkombinationen, reifenden Bildaufbauten und historischem Optimismus.

Marian Wild: Du bist hauptsächlich im Bereich der Malerei und Grafik aktiv, und die kunsthistorischen Bezüge, die du neu interpretierst, springen natürlich sofort ins Auge. Was ist an deinen Stillleben konzeptionell anders als bei den „historischen“? Verstehen wir die historischen Bezüge überhaupt noch?
Michael Jampolski: Der ursprüngliche Bezug oder die Botschaft der historischen Malerei sind für unsere Zeitgenossen manchmal sehr schwer zu entziffern. Schließlich enthüllt jedes Kunstwerk seine wahre Bedeutung nur dann, wenn wir es als Teil seiner kulturhistorischen Umgebung betrachten. Diese Aussage stimmt sowohl für antike Bildhauerei als auch für Pop Art Künstler der siebziger Jahre. Aber je größer die existenziellen und zeitlichen Unterschiede zwischen Künstler und Betrachter, desto schwieriger ist es, die Idee aufzuspüren, die zu Grunde des Werkes lag. Ich versuche keine Rätsel zu lösen. Viel wichtiger ist es für mich eine Bindung zwischen der Vergangenheit und dem Jetzt zu finden. Einen Zusammenhang oder einen Kontext zu ertasten, der eventuell auf unsere Gegenwart ruhig und kritisch blicken lässt. Manchmal gelingt es auf emotionaler Ebene, da die Emotionen und reflexartigen Handlungen unabhängig von Zeit und Umgebung tief in der menschlichen Natur verankert sind. Um die Reflexe aufzuwecken, muss man etwas darstellen, das assoziativ ein bestimmtes Denkmuster abrufen kann. Die Gegenstände in einem Stillleben passen ganz gut für solche Aufgaben. Man fügt zum Beispiel ein Velasquez und ein Produkt der zeitgenössischen Konsumgesellschaft zusammen und nun ist der Betrachter gezwungen eine für ihn passende Linie zu finden.

Durch diese Mischung alter Bildaufbauten mit modernen Bestandteilen gelingen dir teils irrwitzige Kompositionen, die irgendwo zwischen Symbolismus, Leipziger Schule und italienischer Renaissance oszillieren. Wie entstehen Tableaus wie „Genesis“? Wie arbeitest du dich an ein Bild heran?
Am Anfang suche ich nach einem visuellen Konzept, das in mir selbst etwas erwecken kann. Es könnte ein interessanter Bildaufbau sein, das andere Elemente verbindet oder in verschiedenen Ausmaßen unterstellt. Wenn es um eine Geschichte geht, suche ich zuerst nach Parallelen zur Gegenwart, welche maximale Ausdruckskraft haben und gleichzeitig optimal ins Bild passen. Letztlich geht es in vielen klassischen Malschulen um das Visuelle. In mehreren Skizzen wird es Schritt für Schritt zu einer Festlegung von Komposition führen. Die Protagonisten kommen und gehen und werden mehrmals ausprobiert und ausgetauscht. Manche Elemente tauchen überraschend plötzlich unmittelbar während der Malerei auf. Diese Arbeit macht viel Spaß und ist sehr spannend, da es nicht nur die technische Voraussetzungen braucht, sondern ziemlich oft zu einer Überlegung an den Prozessen, die in unserer Gesellschaft vorkommen, führt. Aus diesem Gedanken entsteht eine Botschaft oder vielmehr ein Dialog mit dem Zuschauer, ein Versuch seine Meinung zu hinterfragen und zu verstehen. Die ganze Kreation dauert ziemlich lange, gewinnt aber dadurch einen Vorsprung und wird wesentlich reifer. Wie ein alter Wein, bekommt das Bild zusätzliche Stärke und ein intensives Aroma. Außerdem sind mehrere Stunden und Tage des Malens ein reines Vergnügen!

Den Symbolisten ging es bei ihren Bildern ja auch darum neue Denkräume zu öffnen, also Dinge zu zeigen, die es noch nicht gibt. Was ist das für eine Zukunft, die du uns da zeigst, und wohin siehst du die Welt nach dieser Krise gehen?
Schwierige Frage... Man versucht lebenslang einen Optimisten zu spielen. Nichts kann den technologischen Fortschritt aufhalten und in vielen Lebensbereichen sind wir auf dem Weg mehr Humanität zu schaffen. Einen Regenbogen, ein Kind oder ein buntes Mandala hatte man früher auf den Leinwänden immer parat. Man konnte sich sogar fast den Transhumanisten anschließen und sagen #alleswirdgut. Allerdings sind meine Bilder in den letzten Jahren ziemlich düster geworden und das nicht nur wegen des Chiaroscuro (Hell-Dunkel-Malerei, Anm. des Interviewers). Die Kunst kann nicht lügen, widerspiegelt ständig unser Dasein, prophezeit und agiert weit jenseits von Autor-,Auftraggeber- und Betrachtersystemen. Mit den turbulenten Geschehnissen der letzten Jahre und anschließend der Coronawende steht man vor der Frage, inwieweit wir von der Technologie, von den Macht- und Geldhabenden abhängig sind. Trotz allem haben solch gewaltige, historische Ereignisse etwas Faszinierendes an sich, ein Drama, das so noch nie in der Menschheitsgeschichte stattgefunden hat. Dennoch bleibt man optimistisch und tastet sich blind seinen Ziele entgegen. Schließlich scherzen die Galeristen, dass die Corona Bilder im Nachhinein fast unbezahlbar werden, da wir als Künstler die Augenzeugen der Großen Wende waren. :)

Weitere Informationen zum Künstler (KLICK!)




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