Margarete Schrüfer | Von der Kunst den Regen zu falten

FREITAG, 3. JULI 2020

#Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst, #Locked in, #Margarete Schrüfer, #Origami, #Simulacrum

Locked in | 016 – Gottfried Wilhelm Leibniz war ein Berserker. In seinem monumentalen Gesamtwerk, das bis heute nicht komplett editiert ist, entwirft der „letzte Universalgelehrte“ im 17. Jahrhundert eine in jeder Hinsicht fremdartige Realität. Der Philosoph, der an der Altdorfer Universität lernte, der ersten Universität im Raum Nürnberg, entdeckt bei seiner ruhelosen Gedankenarbeit die Monade.

Die Monade ist so etwas wie der elementarste Baustein der Welt, eine winzigklein zusammengefaltete Raumstruktur, die potentiell all die Dinge der Welt in sich trägt, je nachdem wie man sie letztlich entfaltet. Kurz gesagt, Leibniz ist der Philosoph des Faltens, und das ist bemerkenswert, weil zu seiner Zeit die Welt der ganz kleinen Dinge gar nicht untersuchbar ist. Erst im 20. Jahrhundert werden die Forscher James Watson und Francis Crick den Aufbau des Erbguts entschlüsseln, eine gewaltige Kette von Aminosäuren, die in jeder Zelle unendlich schwierig und kompakt eingefaltet sind und die Informationen des Lebewesens komplett versammeln. Eingefaltete Baupläne, das sind irgendwie auch diese Monaden. Die Faltung ist also eine wirklich grundlegende Tätigkeit für unsere Welt, und wie bei allen grundlegenden Tätigkeiten verwundert es darum nicht, dass in Japan eine elaborierte künstlerische Handwerksform daraus entwickelt wurde. Margarete Schrüfer bewegt sich also in einem ziemlich traditionsreichen Arbeitsfeld, wenn sie ihre weiße Sonne aus 600 gleichen, handgefalteten Koifischen errichtet, wie sie es 2018 für die Ausstellung „Faszination Japan!“ in der Kunstvilla getan hat. Die Origami-Environments wie „Regen und Schildkröte“ entwickeln eine beeindruckende Poesie, die dicken goldenen Tropfen schwingen wie Schmuckstücke über der gefalteten Amphibie. Rätselhaft sind auch ihre fotografischen Mehrfachbelichtungen. Sich öffnende Kirschblüten scheinen in den Arbeiten in der Bewegung konserviert, die Bilder sind zugleich weich und bewegt, kalt und still. Leibniz hätte das alles womöglich gut gefallen.

Im Interview erzählt Margarete vom Umgang mit der Wiederholung, NASA-Mathematik und einem fernen Land.

Marian Wild: Origami ist eine sehr alte Papierfaltkunst aus dem asiatischen Raum, die man stark mit Japan assoziiert, und auch Ikebana, die Kunst des Blumenarrangements, ist in Japan eine hoch geschätzte Kulturtechnik. Beide Methoden prägen deine Werke. Welches Verhältnis hast du zu Japan und der dortigen Kunstauffassung? Warst du schon einmal dort zu Besuch?
Margarete Schrüfer: Ja, leider ist das schon ein Weilchen her. Ich war schon viel unterwegs, aber dieser Aufenthalt in Japan war so völlig anders, als alles, was ich bis dahin gesehen und erlebt hatte. Teilweise habe ich damals geglaubt, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein. Als ich zurück war, wollte ich, dass mir etwas bleibt von dieser Reise und habe angefangen, mit Origami. Das war jetzt nichts, was ich dort irgendwo gesehen hätte, sondern einfach nur etwas, was ich mit Japan in Verbindung gebracht habe. Ich habe angefangen nur zum Spaß Papierflieger nach Anleitung zu falten. Das ist dann zum Selbstläufer geworden. Ich konnte nicht mehr aufhören mit dem Falten und habe mir immer komplexere Modelle zum Nachfalten gesucht, bis auch das nicht mehr gereicht hat und ich meine Modelle selber entworfen habe. Origami in meine künstlerischen Arbeiten einzubauen ging dann irgendwie Hand in Hand. Natur im weitesten Sinne war schon seit jeher mein Thema in meiner Kunst und Falten ist ein zentrales Prinzip der Natur, Faltungen sind ein Naturgesetz. Alles, was sich in der Natur entwickelt, ist gefaltet: Blütenknospen, Flügel, unser Gehirn, unsere Gene usw. Durch Faltungen können große Oberflächen in einem kleinen Volumen untergebracht werden. Dieses Prinzip ist aber nicht nur auf biologische Prozesse beschränkt. Damit schließt sich für mich auch wieder ein Kreis.

Für die Ausstellung „Faszination Japan“ in der Kunstvilla 2018 hast du eine große Wandarbeit angefertigt, ein Kreis aus dutzenden gefalteten Koifischen. Einige Besucher waren damals ratlos, wie man diese Menge an gleichen Werkstücken mental vollenden kann. Was geht in dir vor, während du solche Arbeiten erstellst, wie kommst du mit der scheinbar ständigen Wiederholung der Arbeitsprozesse klar?
Tatsächlich waren es 600 Kois. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, sie zu zählen. Ich weiß das nur anhand der verbrauchten Papierbögen. Anfangs habe ich die Idee von der fertigen Arbeit im Kopf, wie etwas genau auszusehen hat und dann muss ich das halt einfach abarbeiten. Ich wusste, wie groß ich den Durchmesser der Platte dafür haben will und dann danach angefangen, die Platte mit Kois zu füllen. Der Koi war jetzt auch ein relativ komplexes Modell, das ich vorher dafür entwickelt habe. Da wird einem nicht langweilig beim Falten, weil man sich tatsächlich auch auf die einzelnen Schritte konzentrieren muss. Für mich ist das letztendlich einfach nur ein Job, den ich machen muss, um das Ergebnis zu bekommen, das ich haben will. Andere Leute sitzen z.B. in Agenturen und bearbeiten den ganzen Tag Bilder, die wir uns dann im Internet anschauen um anhand dieser schönretuschierten Bilder einzukaufen. Die machen halt das. Für die ist das auch nichts Außergewöhnliches.

Du arbeitest auf skulpturale Weise mit dem Material Papier und transformierst die historische Falttechnik in einen zeitgenössischen Kontext. Wie ist es dazu gekommen? Was fasziniert dich an dem Material?
Papier ist ein Material, das allgegenwärtig ist. Den ganzen Tag über ist man damit umgeben und es ist einem nicht mal bewusst, weil es so selbstverständlich ist: Brottüten, Päckchen, Druckerpapier, Zeitungen, Fahrkarten, Hüllen von Sushistäbchen…… Aus all diesen Dingen ist es aber möglich mit Origami auch etwas völlig anderes entstehen zu lassen. Man kann seiner Fantasie immer und überall freien Lauf lassen, ohne denken zu müssen: naja, das kann ich machen, wenn ich an das und das Material komme, oder mir das und das besorgt habe oder die und die Voraussetzungen habe. Du nimmst einfach Abfall, wie eine Hülle von einem Sushistäbchen und faltest daraus einen Dackel und jeder, der mit dir am Tisch sitzt, fängt an zu lachen. Das ist doch was.
Aber Spaß bei Seite. In der Auseinandersetzung mit Origami bin ich auf Robert Lang, einen amerikanischen Physiker und Mathematiker gestoßen, der auch für die NASA arbeitet und Origami-Modelle entwickelt. Dieser Typ beleuchtet in seinen Büchern und Vorträgen auch die mathematische Dimension von Origami und zeigt, dass es nichts gibt, weder in der Realität, noch in der Fantasie, was nicht möglich wäre, dass man es mit Origami baut. Das hat mich sehr beeindruckt. Für viele ist ja Origami eher ein Kindergartengebastel, aber tatsächlich lässt sich Origami aus ganz vielen Bereichen unseres Alltags nicht mehr wegdenken. Die traditionelle Form der Origamikunst ist die Imitation der Wirklichkeit durch Faltungen. In jüngerer Zeit ist der neue Bereich der geometrischen Formen dazugekommen. Dadurch ergeben sich völlig neue Anwendungen in Wissenschaft und Technik. Es besteht die Möglichkeit komplette komplexe Modelle aus einem Blatt Papier mit Origami zu konstruieren. Das macht die Modelle günstig und es können dadurch schnelle Designentscheidungen getroffen werden. Origami lässt sich mit verschiedensten Materialien umsetzen und auf vielfältige gestalterische Bereiche übertragen – von Bekleidung, Leuchtkörpern, Schmuck, über die Automobilindustrie, die Luft- und Raumfahrtechnik, die Medizintechnik bis hin zu Architektur. Mittlerweile ist Origami zu einer populären Schlüsseltechnik des zeitgenössischen Designs geworden, die bei der Entwicklung von Objekten und Modellen, als Vorbereitung beim Produktdesign, im Modellbau und anderer Elemente zur Raumgestaltung nicht mehr wegzudenken ist. Beispiele Origami-inspirierter Gegenstände im Alltag wären Sonnensegel für Stadien, Coupe-Dach und Airbag bei Autos, Kleidung, Möbel etc. Da liegt es nahe, dass man daraus auch etwas Sinnvolles wie eine künstlerische Konzeption macht.

In den Arbeiten steckt ja schon ganz automatisch ein zeitlicher Kontext durch den Prozess der Faltung, den du auch sichtbar machst. In der Serie "Simulacrum" sind mehrere Stadien der sich öffnenden Origamiblüten gleichzeitig sichtbar. Welche Beziehung hast du zu Zeit, und inwiefern beeinflusst das gerade deinen Umgang mit der Entschleunigung in dieser Krise?
Grundsätzlich ist Zeit für mich etwas, von dem ich immer viel zu wenig habe. Vielen Menschen geht es so mit Geld, das interessiert mich nicht so sehr, außer man könnte Zeit mit Geld kaufen. Im Moment, also in dieser Krise wie viele es nennen, ist für mich die beste Zeit meines Lebens angebrochen. Ich kann mich nicht erinnern, so lange am Stück und jeden Tag aufs Neue ungestört im Atelier arbeiten zu können, ohne meinen zu müssen, das und das und das müsste auch noch erledigt werden. Für mich ist das der absolute Glücksfall.

Weitere Informationen zur Künstlerin (KLICK!)




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