Benjamin Moravec | Eingesperrte Bilder

MONTAG, 27. APRIL 2020

#Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst, #Locked in

Locked in | 006 – Es herrscht eine sonderbare Atmosphäre in einer fertig aufgebauten Ausstellung, die nicht eröffnet wurde. Die Räume der kunst galerie fürth sind in einem Dornröschenschlaf gefangen, und mit ihnen dösen die Bilder des Malers Benjamin Moravec. Es ist die umfangreichste Einzelausstellung des Künstlers in der Metropolregion und eine der spannendsten Reflexionen zur Malerei seit Langem. Denn die Bilder erzählen vom Verhältnis der analogen Welt zur digitalen, und sie sind wegen ihrer Machart nur analog erlebbar.

Womöglich sind sie dadurch ein perfekter Kommentar zur aktuellen Krise, die ja eine Krise der analogen, „echten“ Räume ist und eine vorher unvorstellbare Dynamik Richtung digitale Welt verursacht hat. Benjamin Moravecs Werke sind irritierend, weil sie Bilder in Bildern zeigen; es sind komplexe räumliche Szenerien auf Leinwand, die ihre Bildträger teils überschreiten und die umgebende Wand mit einbeziehen. Es gibt eine Bildserie, in der die gemalten Bildmotive in gemalten Flammen aufgehen, und Südseelandschaften, die hinter abstrakt-geometrischen Portalen aufblitzen. Obwohl kunsthistorische Verweise an jeder Ecke lauern, führen die Interpretationen in die Irre. Es sind eingesperrte Bilder über die hemmungslose, digitale Bilderflut unserer Zeit, und über die Frage, was sie mit uns anrichtet.

Im Doppelinterview sprechen der Maler Benjamin Moravec und Hans-Peter Miksch, Leiter der kunst galerie fürth, über unsichtbare Bilder, das Verhältnis zum Digitalen und unser Kunstverständnis nach der Eliminierung des Todes:

Für den Interviewtext wurde eine Audioaufnahme transkribiert. Das Gespräch wurde in der kunst galerie fürth geführt, kurz nachdem absehbar war, dass die fertig aufgebaute Ausstellung “The Day We Lost The Daylight“ wegen der geplanten Quarantänemaßnahmen nicht eröffnet werden kann. Die empfohlenen Schutzmaßnahmen der Quarantäne wurden während des Interviews zu jedem Zeitpunkt eingehalten.

Marian Wild: Momentan ist ja nicht nur diese wundervolle Ausstellung „locked in“, sondern wir auch alle jeder für sich. Was geht in euch momentan vor, wie hat sich euer Tagesablauf verschoben, welche Veränderungen da draußen fallen euch besonders auf?

Hans-Peter Miksch: Privat ist alles soweit in Ordnung, und das ist finde ich auch genug dazu gesagt, weil ich es für das was wir hier machen unwichtig finde. Gesamtgesellschaftlich und auf den Kulturbereich gesehen hat man natürlich Sorgen, dass es sehr schlechte Auswirkungen geben wird.

Benjamin Moravec: Das ist alles schwer zu begreifen. Man versucht den Alltag irgendwie auf die Reihe zu bekommen. Ich versuche das alles positiv zu betrachten, frage mich aber natürlich schon, wie sich der Kunstmarkt weiter entwickeln wird. Ich war vor der Krise mit Galerien im Gespräch, und mache mir natürlich Sorgen, ob sie die Krise alle auch wirtschaftlich verkraften und dann irgendwann die Arbeit fortsetzen können. Wir sind natürlich als Künstler davon getroffen was mit dem Kunstmarkt passiert. Ich frage mich natürlich, wie es danach weitergehen kann.

Wir sitzen also jetzt hier in einer seit zwei Wochen fertig aufgebauten Malereiausstellung, und ich bin vermutlich eine der ersten Personen, die sie überhaupt in Echt sehen kann. Was geht in einem Kurator, was geht in einem Künstler vor, wenn die eigene Ausstellung durch solche Umstände weggesperrt wird?

Miksch: Also, in mir geht das vor, was in allen Menschen vorgeht, die etwas tun, was sich an die Öffentlichkeit richtet. Deswegen bedauere ich selbstverständlich, dass wir die Ausstellung noch nicht zeigen können. Aber die Hoffnung, dass es bis Ende Mai noch gelingt, bleibt bestehen.

Moravec: Es fühlt sich bisher ziemlich merkwürdig an. Normalerweise baue ich die Ausstellung auf und dann kommen zur Eröffnung viele Leute, und während der Ausstellungsdauer komme ich ja selten oder gar nicht mehr. Deshalb ist es für mich, als wenn die Ausstellung noch nicht richtig stattgefunden hätte, weil es eben keine Eröffnung gab. Die Ausstellung war diesmal wirklich sehr früh fertig gebaut, so früh vor einer Eröffnung hatte ich es bisher noch nie geschafft (lacht). Und auf die warten wir jetzt.

Aktuell wenden sich notgedrungen sehr viele Museen, Galerien und Kunstschaffende ins Digitale, aber die Tendenz war schon vor der Krise sichtbar und spürbar. Die Ausstellungsbilder und Kunstwerke werden wie eine stille Post bei Instagram und Twitter weitergereicht, immer hoch auflösend im HD-Hosentaschenformat. Verlieren wir durch die Digitalisierung den Dialog mit dem Original, der für uns in der Kunstwissenschaft ja aus vielen Gründen zu den Goldstandards für die Untersuchung gehört?

Miksch: Ich glaube nicht, dass wir den Dialog mit dem Original verlieren werden und vor allem auch nicht verlieren wollen. Also für mich stimmt da ja gar nichts am ersten Teil dieser Frage. Ich möchte aber gern auf die Ausstellung eingehen: Diese Arbeiten von Benjamin sind ja eine praktische Antwort auf die Frage, wie sich die Malerei als tradiertes Medium zur Digitalisierung verhält und hier erlebt man natürlich nur vor Ort, welche Antwort er gefunden hat. Ihm gelingt eine Neupositionierung der Malerei und dafür bewundere ich ihn sehr. Man kann darüber schreiben und telefonieren, aber das kann das Erlebnis nie ersetzen. Worte können sowieso kein physisches Erlebnis ersetzen, das geht eben auch nicht in der Kunst.

Moravec: Also das ist genau die Frage, die ich in meiner Arbeit stelle. Ich beschäftige mich sehr mit dieser Problematik, wie wir mit Bildern umgehen während wir in dieser digitalen Welt leben. Zum Beispiel solche Entscheidungen für große oder kleine Formate, da kann man die richtige Erfahrung nur machen wenn man vor dem Bild steht, man könnte sie im Digitalen vielleicht mit 3D-Brillen ersetzen, aber die Erfahrung die man von der Größe der Bilder hat kann man nur vor dem Original machen. Und wenn du fragst, ob sich das alles beschleunigt, würde ich sagen es ist ein Paradox: Gerade jetzt, bei der Ausgangssperre. Die Leute stürzen sich auf das Internet um weiter zu sehen oder machen, was sie sonst analog sehen und machen würden. Alles soll digitalisiert werden um weiter zu funktionieren... Aber anders herum: Ich habe das Gefühl, dass die Leute diese Entschleunigung genießen, und jetzt kann man wieder auf ganz einfache Sachen zurückkommen: Der Eine kocht, die Andere räumt die Bibliothek auf oder was Anderes. Unser berufliches Leben braucht die Digitalisierung um Dinge zu zeigen und zu teilen und das ist in Ordnung so. Auf der anderen Seite merken wir, das ist angenehm, wenn wir daneben auf das Wesentliche kommen. Das ist für mich ein Hinweis darauf, dass die Leute jetzt diese wirklichen Erfahrungen machen und auch die reale Erfahrung von Bildern irgendwann wieder wollen, im echten Raum. Das Digital ist dann im Vergleich dazu arm.

Die Arbeiten sind sehr eigenständig und in sich schlüssig, gleichsam hängt hier um uns herum seine erste große Einzelausstellung in der Metropolregion. Wie schafft man es als Kurator in der heutigen Zeit immer noch, solche Überraschungen zu entdecken?

Miksch: Das frage ich mich auch immer wieder (lacht). In dem Fall habe ich Benjamin über seinen Freund Jochen Pankrath kennengelernt, mit dem er in der Klasse Flick studiert hatte. Das heißt es war eigentlich ein Zufall, ich kann ja nicht planen „wie lerne ich Jochen Pankrath kennen und was entwickelt sich daraus“ oder „auf wen weist das hin“. Aber seitdem ich Benjamin kennengelernt habe, habe ich den Eindruck gewonnen, dass es sich hier um einen – ich zögere etwas, weil ich will jetzt nicht zu hoch greifen oder zu platt werden – aber er ist aus meiner Sicht ein Maler der aus der nordbayerischen Szene und wahrscheinlich weit darüber hinaus herausragt. Für mich nicht mehr ganz jungen Kunstbetrachter ist er jenseits von Leipzig momentan der beste figürlich-gegenständliche Maler.

Und wie beeinflusst einen umgekehrt als Künstler diese ständige digitale Bilderflut aller anderen Kunstschaffenden?

Moravec: Ich bin auch ständig im Internet und sehe Bilder an. Und in dem Moment, wenn sie in meinem Kopf sind hinterlassen sie sicher eine Spur, und das wird dann irgendwo wieder rauskommen. Man wird also über die Jahre auch immer vorsichtiger, damit man andere Arbeiten nicht zu sehr tangiert und nichts nachmacht. Ich „plündere“ aber auch gerne (lacht), weil das ja auch ein Thema meiner Arbeit ist. Ich beobachte mich selbst, zum Beispiel welche Bilder ich betrachte, und diese Erkenntnisse möchte ich dann auch in meine Arbeit integrieren.

Es ist spannend zu beobachten, dass viele Betrachter auf den digitalen Bildern nicht unterscheiden können, was ist der reale Raum und was ist der gemalte, weil die Bilder ja auch unheimlich überraschend sind.

Moravec: Also bei den digitalen Abbildern passiert das immer wieder. Wenn man dann vor den echten Bildern steht ist es natürlich sofort klar.

Genau, deswegen stellen sich sicher auch viele Betrachter die Frage, wie du zu dieser klassischen Malerei und den Grenzen des Bildträgers stehst, und wie du mit optischen Täuschungen arbeitest.

Moravec: Also, diese Erfahrungen scheinen sehr aktuell zu sein, diese Begriffe wie Virtualität sind so neue Begriffe der letzten 20 oder 30 Jahre, aber wenn man zum Beispiel das Höhlengleichnis von Plato ansieht, da ist schon alles da: Diese Beziehung zur Realität und was wir daraus machen ist in uns, das ist eine menschliche Eigenschaft. Das hat sich überspitzt in unserer Konsumgesellschaft und der Bilderflut, aber wir wollen uns immer ein Bild von der Welt machen. Man sagt Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, also musste sogar Gott sich erstmals ein Bild von sich selber machen um etwas in die Wirklichkeit zu setzen. Und das ist einfach dieses Phänomen mit dem ich mich beschäftige. Es ist eine Identitätsfrage: Wer bin ich? Gar nicht so sehr, wie man mich wahrnimmt, sondern was ich wahrnehme um mich selber zu definieren. Die Thematik meiner Bilder sind Bilder. Diese Massen an Bildern, die wir konsumieren und die uns „bilden“. Bilder tragen immer etwas Wahres in sich. Man kann heutzutage alles und das Gegenteil lesen und hat kein Verhältnis mehr zur Wahrheit. Bei einem Text kann man entscheiden aufzuhören zu lesen, aber sobald ein Bild gesehen wird ist es in den Köpfen drinnen.

Gleichzeitig hat man bei deinen Bildern das Gefühl es gäbe unheimlich viele Referenzen. Wie weit sind das optische Phänomene, wie weit Konzepte?

Moravec: Das ist unterschiedlich. Es gibt viele Referenzen an die Malerei und an die Kunstgeschichte. Ich hatte einen Professor in Frankreich, Jean-Philippe Aubanel, der sagte uns immer, er malt, weil er Bilder gesehen hat. Und seitdem werde ich auch diesen Spruch nicht mehr los, das ist das Gleiche bei mir, ich habe Bilder gesehen und die haben mir Lust gegeben zu malen. Ich habe einen Bezug dazu, wenn Bilder bei mir wahre Emotionen produzieren, deswegen integriere ich sie in meine Arbeit. Manchmal nutze ich die Bilder nur als Motiv und Form, nicht im Sinne der Idee, für die der Künstler sie gemacht hat. Ich nehme diese Bedeutung weg und schaffe meine eigene Bedeutung.
Die Flammen-Serie ist zum Beispiel eine Idee von Bildern die sich selbst konsumieren. Da stellt sich die Frage, welche Rolle sie innerhalb dieses Massenkonsums von Bildern spielen. Und es stecken auch transhumanistische Philosophiegedanken (KLICK!) drinnen, also die Frage: Was für eine Rolle spielen diese Bilder für vorstellbare Wesen, die nach uns kommen? Wir brechen durch die Wissenschaft nach und nach alle Tabus, und das letzte ist der Tod. Wir werden also vielleicht irgendwann utopische, unsterbliche Wesen schaffen, die unsere Ideale verkörpern aber keine Menschen mehr sind. Und was passiert dann mit unserer Kultur, die ja von Menschen für die Menschheit erschaffen wurde? Haben solche neuen Wesen überhaupt die Möglichkeit, diese Kunstäußerungen zu verstehen? Ich glaube nicht. Ich glaube wenn wir nicht mehr sterben, werden wir auch diese Kunstwerke nicht mehr nachvollziehen können und was wir einmal waren.
Und zu der Frage nach dem Konzept: Während des Studiums dachte ich immer meinen Werke müssten einen Sinn haben, aber Sinn kann man Kunstwerken von vielen Richtungen aus geben. Inzwischen geht es mir nicht mehr um Sinn; das einzige was ich suche ist Wahrheit, das ist eine relativ neue Erkenntnis für mich. Und mein Werkzeug um herauszufinden, ob das mit der Wahrheit geklappt hat sind meine Gefühle, die ich gegenüber den Werken habe. Ich wähle kunsthistorische Bilder nur aus dem Antrieb aus, ob sie mir etwas geben, und die Gruppe dieser Bilder wird im Lauf der Zeit immer kleiner. Und das ist auch der Grund warum meine Bilder sich konsumieren, denn in dem Moment in dem sie für jemanden erklärt worden sind, ist diese Beziehung, die ich beim Malen hatte, auch verschwunden.

Weitere Informationen: Instagram-Account des Künstlers (KLICK)  und Homepage der kunst galerie fürth (KLICK)




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