Tatjana Trouve – I tempi doppi

1. JANUAR 2015 - 8. FEBRUAR 2015, KUNSTHALLE

#Ausstellung, #Kunst, #Kunsthalle, #Natalie de Ligt

Wer anlässlich der aktuellen Ausstellung „I tempidoppi“ der italienischen Künstlerin Tatjana Trouvé (*1968, Nizza) die Kunsthalle Nürnberg besucht, wird über die Verwandlung mancher Räume und die damit einhergehende, geradezu magisch anmutende Atmosphäre staunen. Raum 2 beispielsweise wurde in einen totalen White Cube verwandelt und ist in strahlend helles Licht getaucht, so dass die Raumkanten fast verschwinden.

Ein enormer Aufwand, auch an Material wurde hierfür betrieben. Aber nicht etwa um irgendwelche Artefakte der Künstlerin einer sakralen Inszenierung zuzuführen, sondern um sowohl den Boden als auch die Wände mit meterlangen, chirurgisch präzisen Einschnitten zu versehen. Sie zerteilen den Raum mehrfach bzw. verwandeln ihn in eine Art überdimensionierte Raumzeichnung eines Ingenieurs (vielleicht), der noch nicht weiß, was er da eigentlich zu konstruieren gedenkt. In die, Schnittlinien sind an verschiedenen Stellen zentimetertief hölzerne und in Bronze gegossene Keile getrieben und sorgen mit den Schnitten für ein Verunklären des Raumes, seiner Statik, seinen architektonischen Bedingungen und seiner Verfasstheit. Tatjana Trouvé nimmt hier nicht etwa einen Eingriff in die vorhandene Architektur vor oder reagiert auf diese, sie bringt das Vorhandene zum Verschwinden, eigentlich negiert sie es gänzlich. Ohne Kompromisse eingehen zu können, bearbeitetsie das Vorhandene so lange, bis ihre Idee von diesem Raum perfekt ist, bis er nicht nur äußerlich dem entspricht, was sich die Künstlerin vorstellt, sondern bis er auch mental ein anderer Raum ist. Anders gesagt: Die Verfremdung des Raumes führt dazu, dass er etwas mit uns macht, unsere (Raum-)Erfahrung unvermittelt und unausweichlich verunsichert und für Wahrnehmungen aufmerksam macht, die in unserem Hirn ansonsten nicht unter „Wahrnehmen von Raum“ abgespeichert sind. Die Installation in ihrer Gesamtheit trägt den Titel „Prepared Space“. Der Bezug zu John Cages Technik des „Prepared Piano“ ist gewollt. Der Komponist Cage erforschte das Klangspektrum des Klaviers, in dem er in den Saiten diverse Gegenstände einsetzte, und Trouvé erforscht den Raum oder besser unsere Wahrnehmung, in dem sie in Räume eingreift.

Der Übertritt zum nächsten Raum kann kaum kontrastreicher sein. Er ist fast vollständig mit Sisalteppich ausgekleidet und umfängt den Besucher sogleich mit einer angenehm gedämpften Akustik und einladenden Lichtatmosphäre, was an den Saal eines alten Volkskundemuseums erinnert. Hier sind Objekte aus dunkel patinierter Bronze locker am Boden verteilt, als hätten sie sich selbst ihr Plätzchen gesucht. Ein bronzenes Seil schlängelt sich wohlig auf dem Boden und strebt mit einem Mal wie von Geisterhand bewegt zwei Meter in die Höhe, um sogleich in einem schmalen Bogen erschöpft zu Boden zu sinken und das Geschlängel fortzusetzen – wie der materialisierte wellenförmige Ausschlag einer Frequenz. Die meisten der in diesem Raum versammelten Objekte sind bekannt wie zum Beispiel eine Tränke, Putzlappen oder ein Paar Schuhe. Allerdings hat die Künstlerin die angestammte Materialität und die Größenverhältnisse verfremdet. Manches ist miniaturisiert und trifft auf einen nichtminiaturisierten Gegenstand, was natürlich die Neugier weckt und weitergehende Fragen hervorruft. Eine seltsame Assoziation weckt das Paar Schuhe, gegossen aus dem dichten, schweren Material der Bronze. Wer die trägt, kommt nicht weit, allenfalls im Geiste. Der nun folgende Raum mit der Arbeit „165 Points TowardsInfinity“ gehört zu den spektakulärsten. Auch hier scheint Magie, also eine unsichtbare Energie am Werk zu sein: 165 Pendel und Senklote fallen schräg von der Decke und scheinen wenige Zentimeter über dem Boden zu schweben. Selbst wenn man weiß, dass hier nur Magnetismus die Kraftquelle sein kann, fasziniert das Bild der aufgehobenen Schwerkraft und die abermalige Verunsicherung der Wahrnehmung.

Tatjana Trouvé kommt mir wie eine Forscherin vor, die begehbare Wahrnehmungsversuchsanordnungen schafft, die zugleich als starkes Bild funktionieren und die als Bild gleichsam vergeistigt und körperlich sind. Die großen Installationen und die Objekte sowie deren Inszenierung sind noch weitaus komplexer, eröffnen weitaus mehr Ebenen, als hier angesprochen werden kann. Es ist absolut lohnenswert, sich auf den eigenen Erfahrungsparcours durch diese außergewöhnliche Ausstellung zu begeben.


Die Schau läuft bis zum 8.2.2015. Es gibt zahlreiche Führungen und begleitende Veranstaltungen.

Kunsthalle Nürnberg
Lorenzer Straße 32, Nbg.
Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr
kunsthalle.nuernberg.de
 




Twitter Facebook Google

#Ausstellung, #Kunst, #Kunsthalle, #Natalie de Ligt

Vielleicht auch interessant...

MUSEUM FüR KOMMUNIKATION. Gamer*innen wissen es: Lara Croft, Super Mario oder der Werwolf im Fantasy-Rollenspiel – Avatare, also steuerbare Figuren, sind wichtige Elemente in digitalen Spielen. Sie tragen zum Erzählen von Geschichten bei, verkörpern verschiedene Identitäten und mit ihnen können Handlungen in der jeweiligen Spielwelt ausgeführt werden.
Noch bis Frühjahr 2023 dreht sich im
Museum für Kommunikation alles um Avatare – in der Ausstellung „WhoAmIWantToBe – Avatare in digitalen Spielen“. Sie entstand in Kooperation mit dem Institut für Theater- und Medienwissenschaft der FAU Erlangen-Nürnberg und präsentiert studentische Arbeiten rund um die virtuellen Personifikationen aus medien- und kulturwissenschaftlicher Sicht. Wir haben uns mit Dr. Peter Podrez, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theater- und Medienwissenschaft der FAU Erlangen-Nürnberg, und Museumsdirektorin Dr. Annabelle Hornung unterhalten.
 
 >>
NEUES MUSEUM. Marian Wild im Gespräch mit Holger Rieß. Fotos: Instagramer*innen der @igers_nürnberg
Die Gegenwart wirft alte Gewissheiten zunehmend über Bord. Da scheint der „kontroverse Tabubruch“, nämlich Kunst und Design im direkten Gegenüber zu zeigen, im Rückblick tatsächlich recht niedlich. Seit 2020 präsentiert das Neue Museum in seinem Erdgeschoss mit der „Mixed Zone“ eine direkte Mischung aus Kunst und Design, die im Frühjahr 2022 mit der aktuellen Ausstellung „Double Up!“ in die bildgewaltige, zweite Runde ging.  >>
20210318_machtdigital
202304140_Biennale_Zeichnungen
20230401_Staatstheater
20230401_Mummpitz
20210201_Allianz_GR
20230401_WLH
20230401_Retterspitz
20220201_berg-it
20230601_Retterspitz
20230508_Stefan_Grasse
20230528_Klassik_am_See
20230512_NbgDigFest_Image
20221001_GNM
20230528_Herzo_Festival
20230518_Kirchentag
20230525_Jazz_am_See
20230504_Lockedout_Sk