Anika Maaß | 60 Shades of Blue

FREITAG, 7. MAI 2021

#Anika Maaß, #Dr. Marian Wild, #Fotografie, #Im Gespräch mit, #Interview, #Locked in

Locked in | 060 – Jugendliche, die am Abend auf einem Geländer sitzen, was führen die im Schilde? Ein Gebetsteppich, in Konflikt mit der Geometrie des Zimmers nach Mekka ausgerichtet, was geht da vor? Ein Gesicht mit blauem Auge, ist hier Gewalt passiert? Automatismus.

Man hört einen Namen und weiß was da kommen wird, liest eine Überschrift auf Facebook und hat schon den Kommentar vor Augen; man sieht ein Bild und weiß was es darstellen muss. Automatismen sind aktuell sehr stark in unserer Gesellschaft, alles kann zum Shitstorm werden, zum Aufreger. Verliererin solcher Mechanismen sind die Intelligenz, das Spielerische, Subtile; also die Kunst. Ein zweiter Blick ist darum wichtig, auf in diesem Fall sehr sympathische Jugendliche, die sich treffen, ein Schlafzimmer, eingerichtet mit den verschiedensten persönlichen Dingen und Bildern und einem Gebetsteppich, der den Raum beherrscht, auf einen regenerierenden Körper. Die Fotografin Anika Maaß liefert solche hintergründigen Bilder und Serien, denen man einen zweiten Blick widmen kann und sollte.

Im Interview erzählt Anika von der Schönheit unserer Körperfunktionen, vom Wahrnehmen der Umgebung und vom männlichen Blick auf weibliche Pflanzen.

Marian Wild: In deinen Bilderserien portraitierst du oft gesellschaftliche Milieus und begleitest Menschen in ihrer Lebenswelt. Diese Möglichkeiten fehlen ja aktuell. Wie beeinflusst diese Krise einerseits deine Arbeit, und hast du andererseits momentan Kontakt zu deinen Portraitierten und bekommst mit, wie es ihnen in der Krise geht?
Anika Maß: Das stimmt. Als der Lockdown begann, merkte ich ziemlich schnell, dass ein großer Teil meiner Arbeit fehlt, wenn es mir nicht erlaubt ist Menschen zu treffen. Das Problem liegt für mich nicht in erster Linie darin, dass ich die Personen nicht sehen und ablichten kann, sondern dass sich so wenig in dieser Zeit auf den Straßen getan hat. Alles schien still zu stehen und all’ das Treiben der Menschen, welches mich sonst inspiriert, das Beobachten, das Einfangen von Situationen und vor allem das Leben und Erleben – das hat gefehlt. Ich habe mal mehr, mal weniger Kontakt zu Menschen – ich möchte sie nicht meine Portraitierten nennen, weil das auch nicht die Art ist wie ich arbeite – das liegt ganz ehrlich daran, dass ich manchmal so überwältigt bin von den Eindrücken, die auf mich einprasseln; alles was man täglich aufnimmt, filtert und letztendlich verarbeitet; dafür brauche ich Zeit und eben manchmal mehr, manchmal weniger Menschen um mich herum. Das Gleiche gilt für mich auch in so einer Krise. Ich hatte natürlich mit einigen Kontakt (während dem Lockdown nur telefonisch oder per Mail) und mit manchen nicht. Ich habe aber die Zeit auch genutzt und einige auf eher altmodische Weise per Postkarte wissen lassen, dass ich an sie denke.

Einige deiner Arbeiten wirken stark politisch, wie die Bilderserie über blaue Flecken oder die portraitierten Frauen. Wie sehr kann man als Fotografin gesellschaftliche Problemfelder bewusst machen?
Das ist interessant, dass du die Bilder als eine politische Arbeit einstufst, allerdings ging es mir hierbei um einen ganz anderen Aspekt: Es geht um die Ambivalenz der Ästhetik solch’ blauer Flecken und ihrer Herkunft. Denn das Interessante an blauen Flecken ist für mich zum einen, dass sie meist durch Gewalteinwirkung von außen entstehen – ganz gleich ob durch einen Sturz, wortwörtlich durch Ecken und Kanten im alltäglichen Leben oder eben auch durch Gewalt anderer Personen. Man verbindet blaue Flecken auf jeden Fall meist mit Schmerzen und somit mit etwas Negativen. Vielleicht hast du deshalb die ganze Serie automatisch bei „gesellschaftlicher Gewalt“ eingeordnet. Doch als ich mir blaue Flecken immer wieder genauer angesehen habe, war ich einfach fasziniert von der Vielfalt an Farben die in ihnen steckt, wie sie sich entwickeln und verändern und letztendlich einfach wieder verschwinden. Das ist doch einfach toll, was unser Körper kann! Zu deiner Frage, wie sehr man als Fotografin gesellschaftliche Problemfelder bewusst machen kann: Ich denke, es geht nicht darum wie sehr wir das können, sondern dass wir es können! Das ist für mich ganz klar. In gewisser Weise können wir mit unseren Bildern vielleicht entscheiden, wie sehr wir es in gewissen Momenten wollen. Und egal wie sehr wir es wollen, oder auch nicht – letztendlich ist für mich meine Fotografie nicht nur das, was ich darin sehe und damit sagen möchte, das ist vielleicht der Ausgangspunkt; die Bilder entwickeln sich weiter mit jedem, der das Bild betrachtet. Manche werten, manche bewerten, andere wiederum interpretieren und manche können gar nichts darin sehen. Alles davon ist für mich legitim und dem muss ich mich jeden Tag wieder aufs Neue stellen.

Beim Durchsehen der Bilder bin ich an den Bohnensamen hängen geblieben. Du hast das Bild mit "Naturstudien zur Weiblichkeit" untertitelt, was ich spannend finde, weil es mich eher an zwei Hoden erinnert hat. Worum geht es dir bei der Serie?
Glückwunsch Marian, du hast es geschafft die Aufmerksamkeit über die Thematik der Weiblichkeit in dieser Arbeit innerhalb eines Satzes auf die Männlichkeit zu lenken! Ich denke besser kann ich die Beweggründe zu dieser Serie nicht zusammenfassen. (lacht) Jetzt mal im Ernst – es geht bei diesem Ausschnitt der Serie (die Arbeit befasst sich mit vielen Aspekten und die Naturstudien sind nur ein kleiner Teil davon) genau um zwei Dinge: Weiblichkeit und Natur. Beides ist für mich ganz klar miteinander verbunden. Beides ist für uns in gewisser Weise sehr wichtig und doch ist es etwas, was wir sehr schnell vergessen. Diese Arbeit ist teils auch eine sehr persönliche Arbeit, ich denke, deshalb lasse ich mir damit auch so viel Zeit. Weiblichkeit – das ist etwas, was in meinem Leben lange Zeit nicht sehr gefragt war. Mir war das nicht wirklich bewusst. Schlichtweg war es einfach nicht wichtig. Wichtig waren Effizienz, Leistung und ein gewisser Grad an Härte. Das heißt nicht, dass das keine Attribute sind, die ich der Weiblichkeit zuordnen würde, sondern vielmehr, dass ich beides gedanklich nicht miteinander verbinden konnte oder sogar wollte. Vielleicht liegt das zum Teil auch an unserer immer noch sehr patriarchalischen Gesellschaft; es wäre gelogen zu sagen, dass ich nie das Gefühl hatte mich verstellen zu müssen um tough genug rüberzukommen, aber mir wurde wie wahrscheinlich vielen lange einfach suggeriert, dass das männliche Attribute wären. Weiblichkeit stellt sich für mich aber nicht so dar, dass ich sie an gewissen Attributen fest mache, sondern vielmehr dass man sich wieder traut sich selbst zu spüren. In sich hineinzuhorchen und dafür wieder sensibel zu werden. Und da komme ich auch schon zur Natur. Natur sensibilisiert auf allen Ebenen. Und ich denke es ist ein Raum, der für viele von uns zwanglos erscheint. Der uns nichts auferlegt. Der uns frei sein lässt und frei fühlen lässt. Die Gedanken sind frei – zurück zu den Hoden: mit dem Teil der Naturstudien zur Weiblichkeit beschäftige ich mich damit, dass auch – oder gerade in der Natur vielen Pflanzen Attribute zugeordnet werden, die bewusst wiederum als weiblich eingestuft werden.

Weitere Informationen zur Künstlerin: (KLICK!)




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