Fotoszene Nürnberg: Pustekuchen zum Jubiläumsjahr

DIENSTAG, 15. DEZEMBER 2020, NüRNBERG

#Ausstellung, #Fotografie, #Fotoszene Nürnberg, #Open Air, #Printmagazin, #Stadtgeschehen

Einmal wird man 10 und dann gleichzeitig auch noch 20 – und ausgerechnet dann ist Pandemie. So geht es der fotoszene* in diesem Winter ihres doppelten Jubiläumsjahrs. Eigentlich hätte sie ein rauschendes Fest mit Ausstellung gefeiert, aber was Sätze aussagen, die in dieser Zeit mit „eigentlich“ beginnen, wisst ihr ja alle. Stattdessen geht nun die Open-Air-Ausstellung an der Lorenzkirche in die dritte Runde. Die fotoszene*, Nürnbergs Zusammenschluss professioneller Fotograf*innen, lässt sich nicht unterkriegen. Wir haben mit Jutta Missbach gesprochen, die von Anfang an dabei war.

Herzlichen Glückwunsch! Die Fotoszene gibt es als Kollektiv schon seit 20 Jahren, als Verein seit zehn. Was ist vor zehn Jahren passiert und wie kam es überhaupt dazu, sich als Kollektiv zusammenzuschließen?
Zuerst einmal herzlichen Dank. Wie du bereits festgestellt hast, ist unser zehnjähriges Vereinsjubiläum unser 20-jähriger Geburtstag. Als künstlerisches Genre war die Fotografie vor 20 Jahren in Nürnberg eher „unterbelichtet“. Gleichzeitig wuchs in allen fotografischen Bereichen die tägliche Bilderflut ständig. Ausstellungsmöglichkeiten gab es allerdings kaum, reine Fotoausstellungen waren selten und Fotokunst war nur vereinzelt zu sehen. Die Initiative zur Gründung der Fotoszene ging aus vom inzwischen verstorbenen Fotografen Herbert Liedel und dem ehemaligen Direktor des Museums Industriekultur, Matthias Murko. Das Museum war die erste Institution die Foto-Ausstellungen konstant initiierte und präsentierte. Hierzu wurde eine Gruppe Fotograf*innen eingeladen, aus der sich später die Fotoszene formierte. Als lose Gruppierung und mit enger Bindung ans Museum wurde das Ziel verfolgt, ein dauerhaftes Podium für Fotografie zu schaffen, dem kulturell interessierten Publikum Ausstellungen anzubieten, aber auch jungen Kolleg*innen den Schritt in die Öffentlichkeit zu erleichtern. Das war die Motivation für den Zusammenschluss. Die Gründung des gemeinnützigen Vereins „Fotoszene Nürnberg e.V. – forum freier fotografen“ ermöglichte schließlich ein unabhängiges Agieren und schuf die rechtliche Grundlage für die Unterstützung durch die öffentliche Hand.

Wer und wieviele Fotografen wart ihr anfangs?
Damals waren wir an die 20 Fotografinnen und Fotografen. Diese Zahl ist über die Jahre recht konstant geblieben und selbstverständlich gab es immer wieder Wechsel. Gleichzeitig sind wir immer auf der Suche nach neuen Mitgliedern. Die Fotoszene ist ein Zusammenschluss von professionellen Fotograf*innen, die neuen künstlerischen Impulsen völlig offen gegenüberstehen. Neue Mitglieder bieten neue fotografische Positionen, verändern Sehweisen und regen zu künstlerischen Auseinandersetzungen an. In der Regel erfolgt die Aufnahme eines neuen Mitglieds über Vorschläge der Kolleg*innen, wobei dann die künstlerische Qualität der Arbeiten von zentraler Bedeutung ist.

Ihr hattet ein Jubiläumsevent im Atelierhaus Defet geplant, das nun nicht stattfinden darf ... Wie geht ihr damit um? Was gibt es stattdessen?
In der Regel hatten wir einmal im Jahr eine große Ausstellung an besonderen Orten und und sechs bis acht kleinere Ausstellungen, auch Gast-Ausstellungen in unserer Galerie im Defet-Haus. Heuer im Jubiläumsjahr: Pustekuchen! Besondere Zeiten erfordern dann auch besondere Kreativität. So kam uns die Idee, an der Pfarrhaustür von Sankt Lorenz zu klopfen. Mit der Frage, ob man den Bauzaun der Lorenz-Kirche als White Cube im öffentlichen Raum nutzen könnte, liefen wir offene Türen ein. Aus heiterem Himmel entstand eine Kooperation mit der Kirche. Seither gibt es die Bauzaun-Ausstellungen der Fotoszene im Zentrum der Altstadt. Wir sind sehr dankbar für diese Kooperation und präsentieren hier auch unsere Jubiläumsausstellung. Genauso wichtig ist für uns die Steigerung unserer Aktivitäten in den sozialen Medien geworden. Auf Instagram posten wir täglich Arbeiten unserer Mitglieder und unserer Gäste. Momentan zeigen wir dort die gesamte Ausstellung „Stefan Neuberger – Fotografien“ unter @die_fotoszene.

Wie hat sich die öffentliche Wahrnehmung bzw. der Stellenwert der Kunstfotografie von vor 20 und vor 10 Jahren bis heute gewandelt?
Bilder sind für Menschen als visuelle Wesen mehr denn je zum „Lebensmittel“ geworden. Durch die Digitalisierung haben sich mit dem stets fortschreitenden technischen Wandel im Bereich der Fotografie die Bilderfassung und -produktion grundlegend geändert. Ihre fast synchrone Verfügbarkeit und sofortige Verbreitung erreicht eine bislang nicht vorstellbare Dimension. Das betrifft nach meinem Dafürhalten die künstlerische Fotografie ebenso. Mit der technischen Machbarkeit haben sich fotografisch-bildnerische Innovationen inzwischen in den Bereich der Mobiltelefonie verschoben und damit auch der Fotokunst eine andere Basis und einen neuen Stellenwert zugeordnet.

Fotografie lernen und leben in Nbg/der Region: wird es (auch angehenden) Fotokünstlern hier leicht oder schwer gemacht? Wie und warum?
Es ist müßig mit Superlativen zu spielen und nach Alleinstellungsmerkmalen zu gieren. Foto-Stadt war Nürnberg, als hier global agierende Unternehmen ihren Namen in die Welt trugen. Heute bestehen beste Möglichkeiten sich fotokünstlerisch ausbilden zu lassen. Die TH Ohm bietet entsprechende Studiengänge und an der Akademie der bildenden Künste lehren international bekannte Professoren. Institutionell gebunden geht damit auch Möglichkeit der öffentlichen Präsentation einher. Schwieriger ist es allerdings außerhalb. Vom hohen Engagement des privaten Galeriebetriebs abgesehen, hat es sich eben die Fotoszene mit zur Aufgabe gemacht – sicherlich unter denkbar schwierigen Rahmenbedingungen – Präsentationsmöglichkeiten und damit Öffentlichkeit zu schaffen. Das Forum freier Fotografen schafft Foren.

Die Bilderflut durch Soziale Medien, die Möglichkeiten durch Handys: befruchtet das die Fotokunst? Verwässert es sie? Hat es sie grundlegend geändert?
Dies ist eine sehr komplexe Fragestellung, die oben schon angeklungen ist. Der regelrechte Bilder-Tsunami, dem wir täglich ausgesetzt sind, führt uns einmal die Grenzen der intellektuellen Erfassbarkeit buchstäblich vor Augen, wirft zum anderen die Frage auf, wie welche Menge von wieviel Bildern tatsächlich „gelesen“ werden kann. Gerade im Bereich der Fotokunst ist die Rezeption mehr als der retinale Reiz. Ich denke, dass sich durch den digitalen, oder lass’ es mich noch anders ausdrücken, durch den „turbodigitalen“ Umbruch künstlerische Äußerungen in der Fotografie stark geändert haben und sich weithin ändern werden. Es geht hier nicht darum, Spreu vom Weizen zu trennen, aber die Masse macht auch nicht nur „machtlos“, sondern bietet vielmehr die Chance des gänzlichen Unerwarteten. In dieser Flut einen „trockenen Platz“ anzubieten, hat sich die Fotoszene auf denkbar konventionelle Weise auch zur Aufgabe gemacht.

curt und die Fotoszene kooperieren sehr häufig. Gibt es an sich genügend Support für die Kunstszene?
Wir sind froh mit curt einen zuverlässigen und kompetenten Partner zu haben und wissen das auch im Hinblick auf unser geplantes Foto Festival Nürnberg 2021 sehr zu schätzen. Die Zusammenarbeit gestaltet sich großartig. curt ist das Medium, das der zeitgenössischen Fotokunst medial den ihr gebührenden Raum bietet.
Die allgemeine Frage nach dem Support für die Kunst ist schnell beantwortet: Ein bissl Support ist vorhanden, aber mehr denn je droht sie, hinten wieder runterzufallen. Deshalb mein grundsätzlicher Vorschlag: Wenn alle, die von der momentanen Krise wirtschaftlich nicht oder weniger betroffen sind, bereit wären, das zu spenden, was sie in Normalzeiten für die kulturelle Teilhabe ausgeben, dann wäre vielen geholfen. Früher hieß so etwas zwangsweise „Lastenausgleich“, gestern hieß es zwangsweise „Soli“ und heute könnten wir es bürokratisch „freiwillige Kulturerhaltungsabgabe“ oder kurz, „KUERAB“ nennen.

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Fotoszene Nürnberg
Open-Air III, 24/7 an der Lorenzkirche. Zu sehen bis 14.02.
Supportet von curt




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