Im Tempel der Millionen Dinge

FREITAG, 1. APRIL 2022

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Der seit 2019 amtierende Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums (GNM) Prof. Dr. Daniel Hess war im Jahr 2012 verantwortlich für die Ausstellung „Der frühe Dürer“, die einen Besucherrekord für das Museum verzeichnete; an den letzten Tagen der Ausstellung campten Interessierte sogar vor dem Haupteingang, um noch hineinzukommen. Ich durfte mich mit Daniel Hess zum ausführlichen Gespräch über die Rolle der Kultur in unsicheren Zeiten, Mozarts Surferqualitäten und die Aufgaben eines guten Bergführers treffen, hier ist das Interview in voller Länge:

Marian Wild: Lieber Herr Hess, Sie leiten das GNM jetzt seit rund drei Jahren, sind aber schon lange mit dem Haus vertraut. Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht Albrecht Dürer für die DNS des Hauses?
Daniel Hess: Dürer ist sicherlich einer der bedeutendsten Namen innerhalb unserer Kunstsammlungen und er ist als Künstler weltweit einzigartig; wir haben nicht die größte Sammlung von seinen Gemälden, die befindet sich aufgrund historischer Zusammenhänge in Wien oder in München. Aber wir verwahren die einzige Sammlung, die Dürer als Inventor, als Erfinder, als Designer und als Universalkünstler zeigt, das kann kein anderes Museum abbilden. Vielleicht ist Dürer auch in dieser Zusammensetzung charakteristisch für unser Haus, weil er eben nicht nur ein bildender Künstler ist, sondern Universalkünstler, Theoretiker, Entwerfer für Kunstgewerbe. Wir sind ein Museum für Alltags- und Hochkultur mit einer europäischen Ausrichtung, insofern verkörpert Dürer im „Kleinen“ die ganze Idee des Hauses, und er ist sicherlich auch die Visitenkarte für Nürnberg weltweit: Seine Herkunft war ihm wichtig. Die Stadt ist nicht durch eine Adels-, sondern eine Bürgerkultur geprägt, und Dürer war ein Handwerkersohn, der sich etabliert hat in einem Innovationszentrum, das sich in vielen Handwerksbereichen durch eine unglaubliche High-End-Qualität auszeichnete. Nürnberg ist aber auch einer der wichtigsten Orte für die Wiederentdeckung des Mittelalters und die Erfindung der Romantik, gleichzeitig auch für die Industrialisierung. Es gab viele Brüche und Spannungen in der Stadtgeschichte.

Mitte des 19. Jahrhunderts wird das GNM als „Wunderkammer“ gegründet, nur vier Jahre nach dem Niederschlagen der ersten deutschen, demokratischen Revolution in der Paulskirche in Frankfurt. Man will eine kulturelle Klammer um den deutschen Sprachraum errichten und diese ausstellen. Das könnte man aufrührerisch, auch visionär verstehen, immerhin fast 20 Jahre vor der deutschen Reichsgründung 1871. Zeigt sich diese ursprüngliche Vision heute noch im Haus?
Von selbst zeigt sich leider nichts. (lacht) Ich glaube, das müssen wir immer wieder neu begründen; gerade bereite ich einen Vortrag zu diesem Thema vor. „Eigentum der deutschen Nation“, das steht über dem Museumseingang, und zwar nicht erst seit 1871, sondern schon seit 1859, als es in Deutschland noch keine politische „Nation“ gab. Während des Global Art Festivals wurde „Nation“ durch die LGBTIQ-Leuchtschrift „Fiktion“ ersetzt und ich finde, das ist ein guter Zugang, um sich erneut mit dem Thema zu beschäftigen. Man kann – nicht nur auf künstlerische Art und Weise – fragen: Was bedeutet Nation eigentlich?
Mitte des 19. Jahrhunderts, als Freiherr von Aufseß das Museum gründete, war die Sprache ein wichtiges Identifikationsmerkmal für das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl. Einen deutschen Staat gab es ja noch nicht, aber eine deutschsprachige Literatur und Kultur und damit die Vorstellung einer deutschen Kulturnation. Mit ihr grenzte man sich von der adeligen Hochkultur ab, der französischen Oper, dem französischen Theater. Es ging darum, ein einigendes Band zu finden für diesen in kleine Fürstentümer und Königreiche zersplitterten deutschen Sprachraum. Ich komme ja aus der Schweiz, wo 1761 (also genau in der Zeit, als Lessing im Nationaltheater eine solche Idee verfolgte) durch Bürgerbeteiligung die helvetische Gesellschaft gegründet wurde. Auch die Schweiz gab es damals als Staat noch nicht, er wurde erst 1848 geschaffen. Auch hier existierte also schon knapp 90 Jahre vor der politischen Nationenbildung die Idee von einer die Menschen verbindenden Kultur, die es zu pflegen, zu erforschen und weiterzugeben gilt. Es ist derselbe Gedanke, der auch Aufseß antrieb, 1852 in Nürnberg ein Museum zu gründen. Die Kultur kommt vor der Politik; das ist faszinierend, und man sollte sich unbedingt bewusst machen: Kultur ist nicht die Sahne auf dem Kaffee oder Petersilie auf der Platte, sondern die Basis für alles. Sie verbindet Menschen über politische Territorien oder Gebietsgrenzen hinweg. Das Wort „germanisch“ im Museumsnamen bezeichnet den gesamten deutschen Sprachraum, unabhängig von den für das deutsche Staatsgebiet 1871 festgelegten Grenzen. So entstehen mitunter Widersprüche und innere Spannungen. Das betrifft auch uns als Ausstellungshaus. Wir sind ein Nationalmuseum mit übernationaler Ausrichtung, ein europäisches Museum mit deutscher Einbindung. Was auch immer „deutsche Nation“ in der Kulturgeschichte bedeutet, heute umfasst sie einen Migrationsraum. Das ist eine hervorragende, aber auch herausfordernde Vision, die es zu füllen gilt - und ich möchte sie unbedingt europäisch füllen. Europa ist ein Raum der Migration von Ideen, von Menschen und von Kulturtechniken. Aber was heißt das? Wen und was beinhaltet „Europa“? Die Frage ist wieder hochaktuell, sie wird allerdings vor allem auf den Ebenen von Wirtschaft und Politik diskutiert, noch viel zu selten bezogen auf Kultur. Für die steht aber das Germanische Nationalmuseum, dazu können wir beitragen. Das bedeutet es meiner Meinung nach, die Vision von Herrn von und zu Aufseß in das 21. Jahrhundert zu übertragen.

Diese romantische Verklärung der Gotik als „deutsche Epoche“ und von Nürnberg als gotisches „Schatzkästlein“ hat für die Stadt eine große Nachwirkung gehabt, zum Beispiel in der Zeit der NS-Diktatur. Die Gotik als genuin europäische Epoche zu sehen, die sie ja ist, scheint da ein geeigneter Ansatz.
Ja, das sehen wir genauso. Wir sind Zwerge auf den Schultern von Riesen. 1771 schreibt Johann Wolfgang von Goethe seine Abhandlung „Von deutscher Baukunst“. Der Text erweckt den Eindruck, die Gotik sei eine genuin deutsche Epoche – nicht untypisch für die Goethe-Zeit, in der es viele Auseinandersetzungen mit Frankreich als übermächtigem Kulturstaat gab. Zur Zeit der Gotik kannte man solche kulturpolitischen Abgrenzungswünsche nicht. Europa war ein universaler Kulturraum, in dem natürlich auch Differenzen und kriegerische Auseinandersetzungen herrschten. Es existierte aber eben auch ein intensiver kultureller Austausch. Zum Beispiel ging Albertus Magnus im 13. Jahrhundert von Köln nach Paris, um dort an der schon damals renommierten Universität Sorbonne zu studieren. Bereits im Mittelalter profitierte Europa vom Waren- und Wissenstransfer, heute fördern spezielle Austauschprogramme ein Studium im Ausland. Diese Modernität des Mittelalters müssen wir im Museum zeigen, nicht nur dessen spätere romantische Verklärung. Wobei auch die Romantik eine Rolle in unserer Dauerausstellung spielt, sie entstand ja quasi zum Teil in Nürnberg, mit Ludwig Tiecks 1797 erschienenem Buch „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“. Damals wurde übrigens auch Dürer „wiederentdeckt“. Die Romantik ist eine unglaublich moderne Epoche, die bis heute fortgewirkt hat, aber wir müssen uns in Nürnberg, wie im gesamten deutschen Sprachraum, natürlich auch mit den Brüchen der NS-Zeit beschäftigen. Das ist komplex und schwierig, aber auch eine Chance: Vielleicht ist es zwingend, dass die „Straße der Menschenrechte“ das erste ist, worauf Besucher*innen und Besucher auf dem Weg ins GNM treffen. Wir sind verpflichtet, uns mit den Schattenseiten der eigenen Kultur auseinanderzusetzen, das ist heute vielleicht wichtiger als je zuvor. In unserer moralisierenden Zeit können wir nicht einfach alles wegschieben, was uns nicht gefällt, wir müssen den Blick in die Abgründe auszuhalten lernen.

Gerade dieser neue, postmoderne Eingang an der „Straße der Menschenrechte“ war damals ein Schritt ins Unbekannte: Was würde dieser Umbau aus dem Haus machen? Viele solche Schritte sind jetzt auch geplant: Der britische Architekt David Chipperfield, dessen Neues Museum in Berlin ich sehr schätze, wird im GNM für die Sanierung von Gebäudeteilen zuständig sein. Wo sehen Sie das Museum in zehn oder 20 Jahren?
In Zeiträumen von zehn oder 20 Jahren denke ich nicht; Dienstzeiten sollten keine Rolle spielen. Es geht um das Museum, da denken wir in Dimensionen von 50 oder 100 Jahren. Und für diese Zukunft wollen wir in der Tat zusammen mit David Chipperfield planen: Einerseits geht es  darum, den gesamten Südflügel des Museums zu sanieren und ihn für die nächsten Jahrzehnte zu einem modernen Ausstellungsraum zu machen, der möglichst flexibel für jeweils zehn bis 20 Jahre eine Dauerausstellung aufnimmt. Dafür muss die Architektur einen Rahmen schaffen, der trägt und alle Aspekte berücksichtigt, die heute gefragt sind: Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, konservatorische Rahmenbedingungen für die Objekte, eine hohe Aufenthaltsqualität für Besuchende und so weiter. Aber Chipperfield leistet noch mehr: Momentan entwickeln wir im Rahmen von Vorgesprächen eine Strukturplanung, wie sich das GNM in Zukunft für Besuche präsentiert. Wird es einen chronologischen Rundgang geben von steinzeitlichen Faustkeilen bis zur Kunst und Designobjekten des 21. Jahrhunderts? Oder sollen wir unsere Sammlung thematisch gliedern? Wie wird das Museum künftig erschlossen: Wird man über den großen Klosterhof in verschiedene Gebäude gehen, und sollen die miteinander verbunden sein? Wir stellen derzeit die Weichen für die nächsten 50 Jahre. Es geht nicht um eine „Salamischeibe“ der Sanierung, sondern um die ganze Sache, um das Gesamtkonzept GNM, um die Nachhaltigkeit der Kultur. Dafür brauchen wir auch das neue Tiefdepot: als Kulturspeicher für Objekte nicht nur für eine Generation, sondern für die nächsten 50, 100 oder 150 Jahre. Das ist unsere Verpflichtung als Kulturträger.

Wenn man in das Depot geht sind da 100% an Gegenständen, die gerade nicht gezeigt werden. Ist das manchmal eine Belastung für so ein Handeln, wenn man diese Wucht der Geschichte und dieses Gewicht der Objekte immer im Hinterkopf hat?
Nein, wir müssen uns von der Vorstellung befreien, alles zeigen zu müssen. Das geht bei einem Bestand von mehr als 1,4 Millionen Objekten gar nicht. Und es wäre auch nicht sinnvoll, wer soll und will das bei einem Museumsbesuch alles anschauen? Durch die Digitalisierung können wir aber viele dieser Objekte auf anderen Wegen zugänglich machen. Nicht alle Objekte, die wir im Depot verwahren, müssen dauerhaft ausgestellt werden. Wir verstecken dort keine Meisterwerke von Dürer oder unbekannte Rembrandt-Gemälde vor der Öffentlichkeit. (lacht) Das stellt sich mancher gerne vor, dass im Depot spektakuläre Schätze lagern. Vielmehr bewahren wir dort viele Dinge, die uns die kulturgeschichtlichen Überlieferungen in ihrer gesamten Breite deutlich machen. Sie können digital in unseren Datenbanken eingesehen werden und sind damit künftig auch für die Forschung weltweit zugänglich. Die Kunst besteht vielmehr darin, für Museumspräsentationen aus der unendlichen Fülle des Materials – und da denke ich vor allem an die neu zu konzipierende Sammlung zum 19. Jahrhundert mit viel mehr Überlieferungen als im frühen oder hohen Mittelalter – sinnvoll Objekte auszuwählen, die eine Epoche charakterisieren und sowohl für interessierte, aber auch weniger vorgebildete Besucher so spannend zusammengestellt sind, dass sie sich darauf einlassen. Die Herausforderung besteht in der Selektion und Reduktion. Es ist viel schwieriger, einen Fünfzeiler zu schreiben, als einen zweiseitigen Aufsatz.

Man kann unendlich viele Geschichten erzählen mit diesen Objekten, wie wählt man aus welche es wert sind?
Wenn ich ein Objekt im Museum zeige, kann ich das immer nur in einem Kontext tun. Man muss eine Entscheidung treffen. Über digitale Medienvermittlung haben wir die Möglichkeit, Dinge in unterschiedlichste Zusammenhänge zu stellen. In einer analogen Ausstellung geht das nicht, ich kann ein Objekt ja nicht an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig präsentieren. Darin besteht die Herausforderung, die das Konzipieren von neuen Ausstellungen zu einem unglaublich kreativen Akt macht. Es ist wie bei einem Musikstück: Ich kann nicht an einer Stelle gleichzeitig piano [leise, Anm. der Red.] und fortissimo [sehr laut, Anm. der Red.] spielen, man muss sich entscheiden.

Sie wollten mal Bergführer in den Schweizer Alpen werden. Ich habe mir die Aufgabe so vorgestellt: Man geht mit einer Gruppe Menschen in unbekanntes Gelände, die sich einem dort anvertraut; man hat eine grobe Vorstellung von dem Weg und den möglichen Gefahren, man hat die Verantwortung für die Leute, die man da mitnimmt. Ist das Leiten eines Hauses wie des GNM vergleichbar mit der Tätigkeit eines Bergführers?
Ich finde es interessant, dass Sie auf die Metapher eines Bergführers kommen. Vor zweieinhalb Jahren, als ich mich vorgestellt habe, hatte ich das Bild eines Dirigenten vor Augen. Es gibt ein großes Orchester, das angeleitet vom Dirigenten gemeinsam aus einer Partitur spielt. Aber auch die einzelnen Orchestermitglieder müssen bereit sein, zusammen zu musizieren. Sie müssen gegebenenfalls Kompromisse eingehen und beispielsweise zu zweit vom gleichen Notenpult spielen, auch wenn sie das lieber mit einem anderen Instrumentalisten täten. Es geht nicht um den Dirigenten oder einzelne Musiker, sondern um alle zusammen, um die Sache an sich. Aber auch der Vergleich mit dem Bergführer ist eine schöne Metapher; im Moment habe ich das Gefühl, dass wir viel diskutieren und planen. Wir sind im Mt. Everest Basecamp und besprechen, wie es oben im Hillary Step aussehen könnte. Ob wir über den Eisfall hinaus kommen, wissen wir nicht. Wir reden und wägen ab und mancher hat vielleicht Bedenken, dass dies und das noch fehlt. Und dann braucht es einen, der den ersten Schritt zu gehen wagt. Das ist der Bergführer. Insofern trifft die Metapher, die gefällt mir (lacht). Man braucht Mut, vielleicht auch manchmal den Mut der Verzweiflung. Aber das darf Ihnen die Gruppe nicht anmerken. Man muss Zuversicht und Sicherheit ausstrahlen, das ist beim Bergsteigen ganz entscheidend. Es gibt Situationen, die man nicht vorhersehen kann. Damit professionell umzugehen, ist eine Voraussetzung für jede Verantwortungstätigkeit. Die anderen dürfen nicht spüren, wenn Sie unsicher sind, sie müssen Vertrauen in Sie haben, immer eine Lösung zu finden, die den nächsten Schritt ermöglicht. Diese Erfahrung habe ich auf einer Trekkingtour in Nepal gemacht. Irgendwann haben wir abends nicht mehr die Karte studiert, sondern gesagt: Was auch immer kommen mag, wir werden schon einen Weg finden. Man weiß nie, was einen am nächsten Tag erwartet. Was das GNM betrifft, bin ich mir sicher, dass wir angesichts der hier geballten Sach- und Fachkompetenz auf jede neue Herausforderung eine Lösung finden werden.

Wenn Sie sich eine historische Persönlichkeit aussuchen können, um ein paar Tage mit dieser Person zu reden, wen würden Sie auswählen?
Das zu beantworten fällt mir ganz schwer. Ich wurde kürzlich gefragt, welche Arbeit beim Global Art Festival für mich die schönste war. Auch das konnte ich eigentlich nicht sagen, denn ich fand vieles toll und beeindruckend – diese Begegnungen mit jungen Künstlerinnen und Künstlern. Wenn es ums Mittelalter und die Neuzeit geht, arbeite ich gewöhnlich mit Menschen, die schon tot sind. Jetzt plötzlich Kunstschaffende kennenzulernen und mit ihnen diskutieren zu können, war eine großartige und unglaublich bereichernde Erfahrung. Und nun soll ich mich für ein Werk oder für eine historische Persönlichkeit entscheiden? Das ist schwierig bis unmöglich, ich bin ein neugieriger Mensch. Aber wenn es sein muss, würde ich mich vielleicht für Mozart entscheiden. Er hat am selben Tag wie ich Geburtstag und begleitet mich schon mein ganzes Leben. Sich mit Mozart am Billardtisch zu treffen und sich länger auszutauschen… Wobei es vielleicht gar nicht so erstrebenswert ist, in die Vergangenheit zurückzureisen, womöglich ist das eher ernüchternd. Dieses Ungewisse, diese Spannung ist doch eigentlich reizvoll. Für mich ist die Vergangenheit wie eine ferne Insel. Wir haben eine Vorstellung von ihr und meinen zu wissen, was es dort gibt, aber viele Situationen und Dinge sind dann doch völlig überraschend. Die Vergangenheit verbindet Fremdes mit Vertrautem. Es sind ja unsere eigene Geschichte und Kultur, die uns zu denen gemacht haben, die wir heute sind. Trotzdem blicken wir bisweilen mit großem Erstaunen und Distanz zurück. Deshalb weiß ich gar nicht, welche historische Persönlichkeit ich am Ende treffen wollen würde. Aber vermutlich wäre es doch am ehesten Mozart.

Mozart ist vermutlich als Revoluzzer unterschätzt. Falco hat das wunderbar auf den Punkt gebracht mit „Rock me Amadeus“…
Eine Persönlichkeit wie Mozart ist schwer fassbar. Wir beide, die wir jetzt hier sitzen, sind schon älter als Mozart, der nur 35 Jahre alt wurde. Was er in diesen wenigen Jahren geschaffen hat, ist unvorstellbar. Es gibt eine schöne Aussage des Schweizer Theologen Karl Barth: „Wenn die Engel im Himmel zur Messe spielen, dann spielen sie Bach, und wenn sie unter sich sind und feiern, dann spielen sie Mozart“. Diese Lust, Grenzen zu überschreiten und nicht konventionell zu sein, aber trotzdem eine ernsthafte künstlerisch kreative Arbeit zu formulieren, finde ich bewundernswert. Vielleicht gelang das Mozart von allen Künstlern mit am besten: wie ein Surfer in der Brandung in einer schönen Mischung von Lockerheit und Spannung am Ende einfach einen tollen Ritt auf dem Brett und auf die Wellen zu zaubern.

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PROF. DR. DANIEL HESS (*1963 in Richterswil, Kanton Zürich) ist promovierter Kunsthistoriker, seit 2019 Generaldirektor des GNM und seit dem gleichen Jahr Inhaber des Lehrstuhls Museumsforschung und Kulturgeschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg




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