Christoph Klein | Dilettantische Historismen

FREITAG, 2. APRIL 2021

#Architektur, #Christoph Klein, #Dr. Marian Wild, #Goethe, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst, #Locked in, #Malerei

Locked in | 055 – Christoph, das bemerkt man schnell, wenn man mit ihm redet, hat seinen Frieden mit der Welt gefunden, und deshalb wohl auch mit der Kunst. Wenige Leute können so herzlich über Kunst lachen wie er, und das ist kein abfälliges Lachen, sondern eine diebische Freude an klugen Werken, die hier und da wieder ein bisschen Streusalz von der eisglatten Straße des Kunstbegriffs abkratzen.

Auf Glatteis zu laufen, das muss man als zeitgenössischer Kunstsachverständiger können, denn nirgends anders arbeiten die Vertreter so leidenschaftlich und fröhlich an der Abschaffung ihrer eigenen Definition. Diese Freude sieht man den Arbeiten von Christoph an: Altmeisterliche Portraits werden da zitiert und in den privaten Kontext transformiert. Historistische Kirchen werden erdacht und modelliert, inklusive Deckenstuck, Säulenordnung und Figurenprogramm. Millimeterarbeit, tagelange Feinjustierungen, Versenkung; am Ende steht eine hochpräzise Laune wider die Kunst, etwas, das Kunsthistoriker*innen in hundert Jahren finden und danach zutiefst verunsichert sein werden.

Im Interview erzählt Christoph vom Vergessen der Zeit, Aschaffenburger Korkmodellen und dem Zurechtbiegen des Geschehenen.

Marian Wild: Du hast den Lockdown damit verbracht, wochenlang an kleinen historistischen Figurinen zu arbeiten, mitunter waren das Zehntelmillimeterarbeiten. Das schien mir fast wie das romantische Idealbild des freien Kunstschaffenden. Wie hält man diese Versenkung in eine Tätigkeit aus? Wann ist man fertig?
Christoph Klein: Das romantische Idealbild des freien Kunstschaffenden erfüllt eigentlich nur der Dilettant, denn nur wer kein Geld mit seiner Produktion verdienen muss, hat – um es altväterlich auszudrücken – die Muße, einfach Sinnloses, bzw. erst mal Sinnfreies zu tun. Um bei der Romantik zu bleiben: schon Philipp Otto Runge musste sich überlegen, wie er sich trotz (!) seiner Malerei wirtschaftlich über Wasser halten könnte, indem er etwa bei der Ausgestaltung von Räumen etwas verdienen könnte, um so in der „eigentlichen“ Kunst finanziell unabhängig zu sein. Der Dilettant hingegen braucht sich nicht ums Finanzielle zu kümmern, er kann sich jede Zeit der Welt nehmen, um Unverkäufliches zu machen und kann deshalb auch jeder seiner Launen nachgehen. Und so „arbeite“ ich, bzw. „versenke“ mich. Für mich ist es eine besondere Lebensqualität, Stunde für Stunde dazusitzen, zu basteln, zu malen, was auch immer. Das Machen wird zum Selbstzweck – und die Tage gleiten dann recht einförmig dahin. Die Zeit vergeht unmerklich und ist seltsam ungefüllt. Das ist kein Leben eines Künstlers, sondern die Erfahrung eines „Liebhabers“, eines Dilettanten im wörtlichen Sinne. Jeder, der an seiner Modelleisenbahn werkelt, wird dies verstehen. Kurzum, es kann gar nicht lange genug dauern. Und sollten die Dinge fertig werden, so allein dann, weil mir nichts mehr dazu einfällt, bzw. weil ich´s nicht besser kann, sich meine Fähigkeiten erschöpft haben. Das gilt für alle Arbeiten, mit Ausnahme des Comics, aber da war die Motivation auch eine andere… Der Dilettant – und dies wäre der letzte, aber ein nicht unwichtiger Punkt – muss sich die Frage nach der Relevanz seiner Tätigkeit und deren Ergebnissen nicht stellen. Das befreit durchaus!

Deine Arbeiten sind ausgesprochen divers: Da gibt es nahezu altmeisterliche Portraits neben Comicbüchern, Hörspielen und Modellen barocker Idealkirchen mit einigen unanständigen Details. Teufelsritte durch die Kunstgeschichte. Ist dir eigentlich klar, was du uns klassischen Kunsthistorikern und unserer liebgewonnenen Vorstellung von konsistenten Strömungen mit diesen Gemeinheiten antust?
Wenn es noch Kunsthistoriker gibt, die von konsistenten Strömungen träumen, dann würde ich sagen, diese haben die Jahre ab 1964 noch nicht aufgearbeitet, nämlich die Postmoderne. Die Fragen, die die Postmoderne stellte, bewegen mich bis heute, bzw. haben mich in vielerlei Hinsicht geprägt. Und daher kommt auch die Lust am Zitat, am „Unoriginellen“, an der Wiederholung von schon Gesagtem, Gemachtem, wobei die Wiederholung auch schon etwas anderes ist, denn sie passiert zeitversetzt und aus der Sicht des „Nichtzeitgenossen“. Dann kommt es eben zu diesen „Idealarchitekturmodellen“, die weniger „ideal“ als „museal“ erscheinen. Übrigens ein Tipp für Kunstinteressierte: In Aschaffenburg gibt es Korkmodelle antiker Bauten, bzw. antiker Ruinen zu besichtigen. Himmlisch! In der Literatur wurde der Tod des Romans ausgerufen, Bilder standen unter Generalverdacht, die Bedeutung von Kunst wurde eifrig diskutiert, das Wort der 1980er war, wie mir als Student schien, „Beliebigkeit“. Ist Kunst eigentlich noch möglich und wenn, was ist eigentlich Kunst? Und doch feiert alles wieder seine Auferstehung. Amerikaner schreiben Romane im Stil, im Umfang und sogar mit vergleichbaren Themen, wie es seinerzeit in der Hochphase des Romans im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts üblich war. Das „Kunstwerk“ ist ebenfalls wieder zurückgekehrt, bzw. hat erfolgreich überwintert. Die Möglichkeiten künstlerischer Praxis sind zudem um ein Vielfaches erweitert worden.

Dir hat es jedenfalls offensichtlich der Historismus und die Romantik angetan. Manches von dort ist unserer aktuellen Zeit womöglich gar nicht so fremd, gleichwohl wird der Historismus immer noch von manchen Forschern nicht ganz ernst genommen. Was fasziniert dich so an dieser Zeit? Können wir daraus etwas für heute lernen?
Wenn ich über die Romantik nachdenke, dann empfinde ich die Zeit bis ca. 1848 in Deutschland als zerrissen, zum Teil rückwärtsgewandt, voller idealistischer Ideen, Empfindsamkeit, der Sehnsucht nach einer Erfüllung, die es nur im oder nach dem Tod geben kann, die Frage nach dem Wahren, dem Essentiellen, der Urharmonie. Es ist auch die Kluft zwischen Idee, Idealvorstellungen und der politischen Wirklichkeit, Repression und Zensur. Das Leben schien nie zusammenzupassen. Hier das Freundschaftsideal, da die Suche nach einer idealisierten und arg zurechtgebogenen Vergangenheit (Dürer als nationaler Künstler), hier die Sehnsucht nach der verlorengegangenen Unschuld, da ein immer wieder aufkommender Antisemitismus und die unsinnige Konzeption, genannt Nationalismus… das Scheitern des ersten deutschen Parlaments. Ich habe mich bei der Beschäftigung mit der Romantik gefragt, warum ein Deutschsein denn so wichtig sein konnte. In den 1980er, 1990er Jahren betrachtete ich das als ein vergangenes Problem, aber derzeit scheint es unbegreiflicherweise wieder für Teile der Gesellschaft essentiell zu sein. Derzeit, wo über Rassismus diskutiert wird, hilft es vielleicht, sich über die eigene Geschichte und deren trübe Strömungen klar zu werden. Vielleicht nicht zufällig stammt die bekannteste der Verschwörungstheorien aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert.

Das mit der Verschwörungstheorie musst du erklären!
Die bekannteste und folgenreichste Verschwörungstheorie hängt mit dem gefälschten Machwerk „Die Protokolle der Weisen von Zion“ zusammen, der Geschichte der angeblichen jüdischen Weltverschwörung. In vielerlei Masken taucht sie in der Historie immer wieder auf, mal als jüdisch-bolschewistische Verschwörung, mal als der geheime Plan des jüdischen Finanzkapitals… Vermutlich sind auch Figuren wie Bill Gates für die Anhänger Teil dieser Verschwörung. Die Motive bleiben gleich – und oftmals auch die Opfer, wenn man von der „Merkeldiktatur“ absieht (,aber selbst die könnte von den bekannten Elementen gesteuert sein – oder Merkels eigentlicher Vorname ist so was wie Sarah!). Das lässt einen vor der Bösartigkeit der Dummheit und Ignoranz fürchten.
Diese Verschwörungstheorien, die ich vor vielleicht zehn Jahren als unerheblich und gottlob nur noch zum Lachen gefunden hätte, sind plötzlich als Phänomen leider wieder ernst zu nehmen, die Verbreiter dieser Geschichten gerade wegen ihrer Dummheit gefährlich. Und der Antisemitismus ist anscheinend ein nicht wirksam zu bekämpfendes Übel. All dies hat auch viel mit dem 19. Jahrhundert in Deutschland zu tun, nicht erst mit dem „3. Reich“. Man fragt sich als Deutscher, der ich bin, warum der bürgerliche Freiheitsgedanke hier so wenig im Bewusstsein ist und als Wert nicht wirklich geschätzt oder als etwas Unveräußerliches begriffen wird. Und wenn er in letzter Zeit proklamiert wurde, dann von sogenannten Querdenkern, die von Solidarität mit Alten und Schwachen offensichtlich nicht viel halten.
Der Liberalismus ist in Deutschland nicht so ganz angekommen – oder ist er uns abhandengekommen? Damit meine ich auch die Meinungsfreiheit derer, die ich herzlich ablehne, wobei ich mir ausbedinge, dass meine Meinung ebenso als eine akzeptiert wird. Aber momentan, so scheint es mir gefühlsmäßig, erleben wir, dass man Recht haben muss. Als Beispiel könnte man den Artikel von Wolfgang Thierse nehmen. Man kann ja sagen, schreiben, meinetwegen brüllen, dass man seine Meinung für Quatsch hält – das wäre gerechtfertigt! –, aber die moralische Keule zu schwingen wie seine Vorsitzende, das ist schon arg hart. Warum nicht streiten und uneins auseinander gehen? Warum müssen wir uns ständig solidarisieren – überall und zu jeder Zeit?

Ich weiß von gemeinsamen Seminaren, dass du ein gewaltiges Filmarchiv hast und immer wieder Streifen rausziehst, die man im Nachhinein wirklich kennen sollte. Hier ist deine Gelegenheit: Welcher Film wird aus deiner Sicht momentan viel zu wenig beachtet, und warum ist er wichtig?
Oje, das ist schwer. Es gibt so viele Filme, die ich gerne mag – und wenn ich einen empfehlen müsste, dann tue ich doch den anderen Filmen unrecht. Aber gut, zwei Tipps für den Lockdown, bzw. zwei optimistische Filme: „Blaubarts achte Frau“ von Ernst Lubitsch und „Le Havre“ von Aki Kaurismäki. „Blaubarts achte Frau“ ist eine der Screwball Comedies, die mich jedes Mal zum Lachen bringen, ein unglaublich schnell geschnittener Film, bei dem die Pointen so schnell aufeinanderfolgen und zum Teil so nebenher platziert sind, dass sie kaum auffallen – oder erst nach zehn Minuten Weswegen der Film dann mindestens zwanzigmal gesehen werden muss, um eventuell alle sprachlichen und filmischen Witze mitzukriegen (am Drehbuch schrieb Billy Wilder mit). Für ältere Leser,die bei der Besetzungsliste vielleicht genauso aufseufzen wie ich, ist schon die Auswahl der Hauptrollen himmlisch: Gary Cooper als reicher amerikanischer Millionär, der therapiert werden muss und trotz seiner körperlichen Größe eher eine jämmerliche Rolle hat, Claudette Colbert als seine Ehefrau, die ihn liebt, aber seine früheren Ehefrauen nicht vergessen mag – und wenn, dann nur mit einer stattlichen Abfindung! – und David Niven als schüchterner und unerhörter Liebhaber. Zwei der Rollen sind also mit Männern besetzt, die ansonsten strahlend, tapfer, oder zumindest überlegen arrogant sind. Leider ist der Film alles andere als antikapitalistisch (dies zur Warnung).
Le Havre erzählt eine Geschichte, die voller Klischees ist. Ein Schuhputzer mit einer sterbenskranken Frau nimmt einen illegalen Flüchtling auf und hilft ihm, nach England zu kommen. Ein Kommissar, der den jungen Flüchtling finden soll, entdeckt sein Herz und unterstützt den Schuhputzer. Die Frau wird ins Krankenhaus eingeliefert, ihre Diagnose lautet auf Krebs und sie wird für unheilbar erklärt. Der Flüchtling entkommt, der Kommissar und der Schuhputzer gehen eine Freundschaft ein, die an die zwischen Rick und dem Polizeichef von Casablanca erinnert, die Frau wird wie durch ein Wunder geheilt – und der Obstbaum blüht, als Mann und Frau am Schluss nach Hause kommen. So etwas bietet nicht mal eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung… Aber Kaurismäki ist Finne… Und wer einen unsentimental gemachten und gleichfalls höchst sentimentalen Film sehen will, mit Schauspielern, deren Gesichter so viel erzählen, der hat hier Freude. Und über allem liegt die sehr typisch finnische distanzierte Höflichkeit.

Weitere Informationen zum Künstler: (KLICK!)




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