Lisa Wölfel | Das Bild als Garnelenpfad

FREITAG, 5. FEBRUAR 2021

#Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst, #Lisa Wölfel, #Locked in, #Malerei

Locked in | 047 – Tauben, Fledermäuse, eine Garnele, große und kleine Mitmenschen in mal kubistischen, mal expressionistischen Sujets: Aus Lisa Wölfels Bildern sehen einen viele verschiedene Lebewesen an. Die „Geisterkatzen meines Lebens“ geben den Silhouetten der Fellkugeln ein ganz neues Eigenleben, fast eine unheilvolle Heimsuchungsästhetik aus einem Horrorfilm.

Genau genommen sieht die Garnele einen nicht an, vielmehr scheint sie aus dem Bild heraus nach oben krabbeln zu wollen, ohne dabei sonderlich unglücklich zu wirken. Aus dem Rahmen herauskommen, das ist auch Lisas Intention. Mit ihrem mobilen, kunstbehängten Ausstellungsfahrrad ist sie im Sommer durch Sachsen gefahren um die Kunstwerke näher an die Bevölkerung heranzubringen. Das ist ein großes Problem des Kunstbetriebs, seine Abgeschlossenheit. Wie überführt man die Kunst in die Öffentlichkeit, ohne dass sie qualitativ weniger wird? In Zeiten abnehmender Sichtbarkeit durch Corona ist diese Frage wichtiger denn je.

Im Interview erzählt Lisa vom Speichern von Gesehenem, unbeachteten Tieren und dem Kunstschaffen außerhalb der Blase.

Marian Wild: Deine Bilder zeigen immer wieder vereinzelte Lebewesen, von der Krabbe bis zum Großvater, aber auch die Tauben im Gruppenbild wirken etwas sozial distanziert. Wie haben der Lockdown und seine Folgen deinen Alltag und deine Motivwahl verändert?
Lisa Wölfel: Durch die Isolation von einzelnen Bildgegenständen habe ich in der Vergangenheit oft versucht eine Konzentration im Bild zu erreichen. Meine neueren Arbeiten sind aber wieder deutlich „voller“, es ist mehr los. Der Lockdown hat mich in meinem Alltag als Direktreaktion vom Atelier nach Hause wechseln lassen. Wir hatten in Leipzig ein tolles neues Gruppenatelier bezogen, so richtig starten konnte zu diesem Zeitpunkt allerdings niemand von uns. Ich habe mich also stattdessen jeden Tag ans geöffnete Fenster gehockt, um von ziemlich weit oben zu studieren, was unten sozial ablief oder eben nicht. Die vorbeihastenden Passanten hielt ich in Einzel- und Gruppenzeichnungen fest. Plötzlich war kleinformatiges Arbeiten auf Papier das Einzige was mir noch sinnig und möglich erschien. Es war deprimierend für mich als zugleich vier Projekte auf unbestimmt verschoben wurden. Dagegen zeichnete ich, fast verbissen, an: mit den Passanten-Portraits und vielen Arbeiten, die sich mit dem Verhältnis Mensch/Natur befassten, zum Beispiel den „Flederbildern“. Das hat recht gut funktioniert und ich durfte mich am Ende sogar über eines der Denkzeit-Stipendien des Freistaates Sachsens für diese Arbeit freuen. Diese Zeichnungen nenne ich übrigens „Krisenpapiere“ und sie laufen auch seit Ende des Lockdowns weiter. Mittlerweile haben Sie sich auch auf Leinwände ausgedehnt. Seit meiner Residency-Zeit in Aschersleben, wo ich kurzfristig den Sommer verbringen durfte, gehe ich draußen umher, speichere Gesehenes und füge meine Studien dann im Atelier zu Bildern zusammen.

In deiner Malerei experimentierst du mit vielen verschiedenen Techniken und Formaten, manche Bilder erinnern an Aquarelle, das Vogelnest fast an eine Frottage. Welche Rolle spielen die verschiedenen Maltechniken und Materialien für die Aussage deiner Bilder?
Für mich steht als Ziel an erster Stelle eine bestimmte Bildwirkung, die ich sehen will. Welche Techniken ich einsetze entscheidet sich im Entstehungsprozess der jeweiligen Arbeit. Ein Bild ist für mich dann interessant, wenn ich es selbst beim Wiederansehen neu betrachten kann, wenn es mich selbst überraschen kann. Im Laufe der Zeit habe ich mir verschiedene Techniken angeeignet, zwischen denen ich mittlerweile ohne Anstrengung hin und herspringen oder diese kombinieren kann. Dabei interessiert es mich zwischen intuitiven Malhandlungen und kontrolliertem/kühlen Arbeiten zu wechseln.

Für das Projekt „180 Ideen für Sachsen“ bist du mit einem Fahrrad durch die Gegend gefahren und hast eine Art mobile Ausstellung in die Öffentlichkeit gebracht, du erzählst auch im Video von deiner Abneigung gegen elitäre Kunst. Wie ist deine Einschätzung und Erfahrung, wie können wir Kunst und Kultur in diesen eingeengten Zeiten stärker in die breite Öffentlichkeit bringen?
Ich würde mir nicht anmaßen zu sagen, dass Kunst für bestimmte kleine oder elitäre Gruppen nicht relevant ist oder keine Daseinsberechtigung hat. Was ich mit meinem Projekt vorantreiben wollte ist vielmehr ein Aufweichen der Grenzen zwischen Kunstmilieu und kunstferneren Gruppen der Gesellschaft. Eine Patentlösung habe ich nicht. Aber ich glaube, es ist wichtig, dass wir als Kulturschaffende nicht zu exklusiv agieren und zum Beispiel auch Meinungen, die von weniger kultureller Vorbildung, als man selbst sie genießen durfte, geprägt sind, zulassen sollten. Ich denke, dass gerade unerwartete Meinungen von außen oft Überraschendes zutage fördern und einen voran bringen können. Wir brauchen uns als Kunstschaffende nicht wundern, dass oft wenige Besucher, die nicht der „Blase“ angehören unsere Ausstellungen besuchen, wenn wir Ihnen zeigen, dass wir ihre Meinung nicht ernst nehmen. Outdoor-Ausstellungen sind 2020, wie auch generell, sicherlich eine gute Lösung, da sie meist niedrigschwellig für jeden erreichbar sind.

Die kletternde Garnele hat mich länger beschäftigt. Sie wirkt wie im Bildträger eingesperrt. Wie kam es zu dem Motiv?
Ich hatte als Kind ein Aquarium, die Stars darin waren für mich die durchsichtigen Garnelen, die ich gerne lange beobachtet habe. Weil ich sie heute immer noch spannend finde, kommen sie manchmal in meinen Bildern vor. Die „Garnele“ ist übrigens schon weit gereist, ich habe sie 2016 noch zu meinen Nürnberger AEG-Zeiten gemalt, mittlerweile hat sie auch schon an einer Unterwasser-Ausstellung in Sachsen teilgenommen. Mich interessieren generell eher die „Outsider-Tiere“ ein wenig mehr als die Allstars. 2020 bekamen meine Flederbilder eine konzentriertere Neuauflage und auch die Nacktschnecke hat wieder Einzug in meine Bilder gefunden.

Weitere Informationen zur Künstlerin: (KLICK!)
www.lisa-woelfel.de




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