Jan Gemeinhardt | Im Dickicht der Nacht

FREITAG, 24. JULI 2020

#Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Jan Gemeinhardt, #Kunst, #Locked in, #Malerei

Locked in | 019 – Jan Gemeinhardt als Romantiker einzusortieren wäre vordergründig recht einfach: Nächtliche Wälder, Wiesen in der Dämmerung, Silhouetten von Nadelbäumen, Szenen wie aus Novellen des 19. Jahrhunderts breiten sich aus, als die Dichter und Schriftsteller noch nachts auf Friedhöfen umherwanderten um das Schaudern zu finden.

Das war voller Einsatz, kann man großen Teilen der heutigen Schreiberfraktion nur zurufen. Aber so einfach ist es eben nicht. Die ausgereifte, in Teilen altmeisterliche Technik verschleiert geradezu das Zeitgenössische mancher Bilder, die Mischung aus Surrealismus und Minimal, durchscheinend beispielsweise in den gesichtslosen Portraits, die unweigerlich an die Rätselbilder eines Magritte denken lassen. Auch die nächtliche Wiese erweist sich beim zweiten Blick nicht nur als romantische Nachtszene, hunderte Libellen bevölkern die Ebene, oder sind es Fabelwesen? Die grobe Malweise lässt eine Zuschreibung nicht zu. Wieder mal länger hängen geblieben bin ich an dem Bild „Exit“, das mir schon vor Längerem in einer Ausstellung in der Bunsen-Götz-Galerie aufgefallen war: Vorrangig sieht man einen dämmrigen Himmel mit Waldsilhouette am unteren Rand – so weit, so überschaubar. Und dann, mitten im Bild, ein rechteckiger Leuchtkörper. Nicht störend, nicht fremd, recht selbstverständlich mit leichter Corona steht er am Himmel. Eben kein UFO, wie ich damals dachte, dafür ist er zu statisch. Ein perspektivisch verzerrter rechteckiger Mond? Ein geradezu platonisches Loch im Himmel? Und plötzlich überfiel mich dann doch noch ein umfassendes, postromantisches Schaudern.

Im Interview erzählt Jan von Melancholie, nächtlichen Streifzügen und der Freude am Modellbau.

Marian Wild: In deinen Bildern tauchen immer wieder dunkle Wälder, obskure Gestalten und manchmal auch Ungeheuer auf, perfekte Umgebungen für den nächtlichen Waldspaziergang während der Quarantäne. Oder anders gesagt, in manchen der Bilder ist schon eine gewisse Einsamkeit angelegt. Wie stark nimmt dich die aktuelle Situation mit, hat sie einen Einfluss auf dein Malen?
Jan Gemeinhardt: Die Beobachtung ist schon richtig. Allerdings war die Malerei schon immer in vielerlei Hinsicht eine Art Flucht oder Ausflug in Momente oder Szenarien, die ich mir ausdenke oder die ich beim Arbeiten betreten kann. Die Einsamkeit ist ein grundlegendes Element meiner Malerei, aber vielmehr im Sinne einer melancholischen Einsamkeit. Also eher ein doppeldeutiger Moment, in dem man das Alleinsein und Sinnieren genießen kann. Insofern ist die Malerei sowieso eine Art und Weise des Arbeitens, in der man auf sich selbst zurückgeworfen und mit sich selbst konfrontiert ist. Allerdings ist die Welt um einen herum, das „Draußen” als Inspirationsquelle und Austauschpunkt ausgerechnet deswegen ein umso wichtigerer und ausgleichender Aspekt.
Das Ganze sollte mich also arbeitstechnisch eigentlich nicht beeinflussen; allerdings empfinde ich tatsächliche eine gewisse Beklemmung aufgrund der aktuellen Situation, welche mich ein wenig in meiner Arbeit hemmt und mich über vieles nachdenken lässt, das von mir noch nicht kreativ verarbeitet werden kann.

Mit deinem figürlichen Ansatz schwimmst du in der zeitgenössischen Malerei trotz neuer Tendenzen in den letzten Jahren immer noch ein Stück weit gegen den Strom. Was treibt dich zu deinen Motiven und was suchst du in deinem Malstil?
Hmm, naja ich meine, ich bin auch ein Kind meiner Zeit und werde so mit allem, was mich umgibt, und den rasant einprasselnden Bilderfluten und Informationsströmen beeinflusst. Somit ist meine Inspirationsquelle oder die Welt, in der ich mich bewege, die gleiche, nur mein Umgang damit ist vielleicht ein anderer. Ich denke Kunst und Malerei sollte nicht unbedingt eine Trendfrage aufwerfen. Denn Kultur profitiert von einer facettenreichen Vielfalt und alles, was entsteht, beeinflusst und inspiriert wieder weitere Menschen. Und als kreativer Mensch freut man sich vielleicht umso mehr über Ausdrucksweisen, die keine Wiederholungs- sondern eher einen Alleinstellungscharakter haben. Die figürlichen Ansätze meiner Malerei bieten mir und meiner Arbeitsweise momentan die sinnvollsten Bausteine zur Gestaltung meiner Bildwelten. Allerdings habe ich auch Spaß oft abstrakte Elemente einzuarbeiten. Der Zufall als Werkzeug war und ist für mich auch immer noch eine interessante Komponente beim Malen. Also quasi Stellen in Bildern stehen zu lassen oder als Bildelement einzuarbeiten, die nicht konkret angelegt wurden oder durch das Abtragen von Farbschichten entstanden sind. Und insbesondere das Landschaftsthema ist für mich wichtig, um Gemütszustände und Atmosphäre auszudrücken, die ich eigentlich mit jedem meiner Bilder transportieren möchte. Ich denke, es fasziniert mich, mich durch und während meiner Malerei oft selbst zu überraschen. Und mit eben diesen Beschaffenheiten meiner Bilder ziehe ich wiederum ihre Betrachter in den Bann. Generell sehe ich den Menschen als ein neugieriges, Rätsel suchendes und ergründendes Wesen und genau das ist wahrscheinlich auch ein wesentlicher Ausgangspunkt meiner Bilder.

Deine Bilder wirken oft in ihrer Stimmung vertraut, mich erinnern sie an die Werke der schwarzen Romantiker und Symbolisten des 19. Jahrhunderts, oder an den "Sandmann" von E.T.A. Hoffmann. Das waren ja alles Leute, die damals ein ganz neues Gefühl für die Natur eingefangen haben. Sind es reale Orte, die in deinen Bildern versteckt sind, bist du viel nachts im Sebalder Reichswald unterwegs?
Ja, der Vergleich taucht öfter auf und ich fühle mich tatsächlich in vielen Punkten den Romantikern zugeneigt, allerdings wollte ich nie „die alte Suppe aufwärmen", sondern es soll eine eigene Auseinandersetzung mit möglicherweise ähnlichen Grundsätzen und Fragestellungen sein und eine Würdigung auf Bildsprache, Techniken und Errungenschaften früherer Maler. Und die aktuellen Geschehnisse bestärken mich darin. Zum einen haben wir eine verschärfte Sicht auf die Umweltproblematik und zum anderen bekommt das Draußen, das In-der-Natur-Sein eine viel wichtigere Bedeutung in Momenten des „Gefangenseins" in den eigenen vier Wänden. Ich bin tatsächlich, wenn es möglich ist, viel draußen unter freiem Himmel unterwegs, auch gerne mal bei Dämmerung oder nachts. Manchmal mit Kamera ausgerüstet, manchmal versuche ich die Eindrücke einfach so aufzusaugen und zu speichern. Im Atelier arbeite ich dann daran viele der Eindrücke und Bilder vor dem inneren Auge und auf dem Papier zu rekonstruieren oder kombiniere einzelne Ideen und Situationen, um alles in ein erdachtes Bild einzuweben. Für manche Bildelemente nehme ich natürlich auch mal eine Fotovorlage her, wenn die Vorstellung davon nicht ausreicht.

Diese spezielle Atmosphäre deiner Bilder hast du in letzter Zeit auch erfolgreich auf Objektarbeiten übertragen. Wie kam es zu dem neuen Medium? Was kann es leisten, was das Bild nicht kann?
Die Objekte waren für mich tatsächlich ein „befreites Arbeiten“, da das „Basteln“ immer mal ein Nebenprodukt zum Malen für mich darstellte und von mir quasi von vornherein losgesprochen wurde, „etwas werden zu müssen“. Wohingegen die Malerei von mir vielleicht mit weitaus kritischerem Auge betrachtet wird. Nun empfand ich die Ergebnisse allerdings als etwas Ernstzunehmendes und da sie in ihrer Wirkung und Sprache den Bildern verwandt sind und durch einige Betrachter Zuspruch erhielten, entschloss ich mich, diese Dioramen mit in meine Ausdrucksformen aufzunehmen und auszustellen. Was bereichernd ist, aber das leichtfüßige „Basteln“ einen ernsthafteren Beigeschmack bekommt. Nichtsdestotrotz macht es Spaß einen plastischen Bezug zu meinen Ideen zu schaffen.

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