Barbara Engelhard | Auf einer Bank in luftiger Höh‘

MONTAG, 6. APRIL 2020

#Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst, #Locked in

Locked in | 002 Die Künstlerin ist anwesend, sie sitzt auf einer Holzbank, rund drei Meter über der Erde. Befestigt ist die Bank an einer Straßenlaterne, die Künstlerin winkt fröhlich, die Passanten winken zurück. Für Interventionen im öffentlichen Raum wie diese ist Barbara Engelhard bekannt: Mal sammelt sie 400 Stühle auf dem Würzburger Marktplatz zusammen und schafft damit öffentliche, kostenlose Sitzgelegenheit für die Passanten. Der Platz wird dadurch wieder zu dem was jahrhundertelang sein Zweck war, einem gesellschaftlichen Versammlungsort, aber hier ganz friedlich und gemütlich, ohne Notwendigkeit für Demonstrationen.

Bei anderer Gelegenheit hängt sie zum Classic Open Air bunte Bänder an große Ballons im Fürther Stadtpark, die sich im Wind bewegen und wie futuristische Quallen über den Besuchern schweben. Ebenfalls mit bunten Streifen präsentiert sich die Arbeit „in the colour flow“, nur fließen die hier aus breiten Malerpinseln wie Farbe, die Einheit der Einzelteile ist perfekt, und die Geschichte eines mit Farbe getränkten Pinsels wurde wohl nie aufgeräumter und idealistischer erzählt. Die Arbeiten verändern subtil die vorgefundene Umwelt, die öffentlichen Räume erhalten eine neue poetische Dimension, die verwendeten Materialien verändern im Prozess dieser neuen Formfindung ihre Anmutung und Bedeutung. Man könnte fast denken, Barbara Engelhard sieht die ganze Gesellschaft als Element ihrer Skulpturen.
 
Im Interview erzählt sie uns vom Wert des Zusammenseins, von silbernen Glitzerbändern und schwebenden Wartebänken.
 
Marian Wild: Deine Kunstprojekte haben oft eine stark soziale Komponente, es geht um die Begegnung, das Schaffen von neuen gemeinschaftlichen Räumen. Was macht diese landesweite Ausgangssperre mit dir? Wie empfindest du diese neue physische Distanz zwischen den Menschen?

Barbara Engelhard: Ich finde die Stimmung zum einen beklemmend und total skurril und aber zum anderen ist es wie ein zur Ruhe kommen. Die Menschen merken erst jetzt wie wichtig der Austausch mit anderen Mitmenschen ist. Besonders diejenigen die alleinstehend oder nur für sich wohnen. Hat man nicht einmal einen Austausch über die alltäglichen Arbeiten und Situation wird das Leben schnell sehr einsam. Aber nicht nur für ältere Menschen sondern gerade auch für Jüngere ist der Austausch enorm wichtig. Schüler fangen an ihre Schule zu vermissen, Senioren ihre Enkel, Erwachsene ihre Freunde, ihre Arbeit…. Natürlich können wir uns jetzt über Online, Skype, Facetime auch von Bildschirm zu Bildschirm unterhalten. Aber er ist nicht dasselbe. Hier fehlt die Berührung, das Spüren der Körpersprache oder der Stimmung, einfach die komplette Haptik.
 
Du greifst mit deinen Projekten oft bestehende bauliche Situationen auf und fügst ihnen Komponenten hinzu. Wie kommt es dazu, dass du dich letztlich für ein Eingreifen entscheidest?

Der Ort ist ein wesentlicher Ausgangspunkt meiner Arbeiten. Der Raum ob innen oder außen ist der Inspirationengeber für mich, seine Geschichte, die Architektur und die Menschen die den Ort genutzt und ihre Spuren hinterlassen haben. Dieses verbinde ich mit meiner gegenwärtigen Sicht und meinen künstlerischen Materialien die ich verwende.
 
Du arbeitest mit Versatzstücken, Medienprojektionen und oft sehr „kräftigen“, dominanten Materialien. Nach welchen Kriterien entscheidest du, wann du welche Konstruktionen einsetzt?

Das ist immer abhängig von den Örtlichkeiten, den vielen Geboten und Verboten im Innen- und Außenbereich und ob es eine Installation oder Aktion ist. Jeder Ort und auch jedes Material hat seine individuellen Eigenschaften, diese nehme ich und arbeite damit. Entwickle dazu Aktionen und lasse dem Betrachter Raum für individuelle Interpretationen.
 
Hast du ein Lieblingsprojekt und/oder eine Arbeit, die dich in ihrer Wirkung in besonderem Maße überrascht hat, als sie fertig war?

Ja mehrere, meine erste Wartebank am Fürther Bahnhof 2008 und mein erstes Stuhlprojekt 2016 am Rathausplatz in Würzburg mit rund 400 gesammelten Stühlen als konsumfreie Sitzskulptur mit dem Titel „Komm und setz dich!***. Die Installationen wurde sofort genutzt, Medien riefen mich an, Süddeutsche Zeitung, Bayerischer Rundfunk, Radio Gong hat zur Finisage die Reise nach Jerusalem damit gespielt und einen Preis für den Sieger gesponsert.
Mit einem einfachen Stuhl oder einer Bank als künstlerisches Material ist es möglich raumgreifende Installationen zu schaffen, aber auch kleine Aktionen, die die Menschen ansprechen berühren und inspirieren, da der Stuhl so ein vertrauter und doch überraschender Gegenstand sein kann.
Ebenso 2018 die „Flying Curtains“ im Stadtpark Fürth. Die Besucher holten die glitzernden Metallicbänder aus der Luft herunter und hatten sie an ihre Kleidung gebunden, in den Haaren, an den Kinderwägen. Diese ganze Wiese glitzerte. Mein Kunstwerk hatte sich buchstäblich aufgelöst und auf alle Besucher verteilt. Das gab mir die Inspiration zu meiner letzten Ausstellung in der Kreis Galerie mit dem Titel #glittering#coloursandlines.
 
Eine Frage beschäftigt mich als Menschen mit Höhenangst schon länger: Wie fühlt es sich an, auf einer Holzbank zu sitzen, die in vier Meter Höhe an eine Straßenlaterne geschraubt ist?

Etwas wackelig, gegebenenfalls sehr windig, aber dafür mit sehr guter Aussicht. Mit dieser kleinen Verschiebung, von privat und öffentlich als auch vom unten nach oben, habe ich sowohl meinen Blickwinkel als auch dem vom Betrachter neu gesetzt. Es war für mich als auch für die Vorüberziehenden eine neue Situation. Manche blieben stehen, manche gingen weiter und tun so als ob nichts wäre, andere fangen an zu agieren und platzieren die zweite Bank neu.
 
Weitere Informationen zur Künstlerin (KLICK!)
 




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