Kunstverein-Leiter Brauneis: Nürnbergs vergiftetes Erbe prägt die Stadt bist heute

MONTAG, 1. MAI 2023, KUNSTVEREIN NüRNBERG

#Dr. Marian Wild, #Interview, #Kunstverein Nürnberg, #Wolfgang Brauneis

Interview von Marian Wild.
Eigentlich klingt es absurd, wenn man sich den Gedanken zu eigen macht, dass fast 80 Jahre nach der fatalen Zeit des Nationalsozialismus und nach ebenso langer Staatsdoktrin der schonungslosen Aufarbeitung und Erinnerung immer noch größere, unkartierte Stellen auf der historischen Karte zu finden sind. Und dann stößt man unter anderem auf die Forschungen des Kunsthistorikers und Kurators Wolfgang Brauneis, der im Wochen- und Monatstakt, gleichsam mit einem gewaltigen wissenschaftlichen Scheinwerfer, unentdeckte Areale dieser Zeit ans Licht zerrt. Sei es nun der Kosmos der sogenannten „Gottbegnadeten“, der damals so gefeierten Staatskünstler der NS-Zeit, oder nun die Geschichte des Kunstvereins Nürnberg – Albrecht-Dürer Gesellschaft, die er auf Initiative des Vorstands, immerhin des ersten Kunstvereins hierzulande, vorantreibt. Ich konnte mich mit Wolfgang Brauneis über seine Vorhaben im Kunstverein Nürnberg austauschen:

MARIAN WILD: Lieber Wolfgang, du leitest seit 2022 den Kunstverein. Davor hast du eine vielbeachtete und prämierte Ausstellung zu den „Gottbegnadeten“, den vom NS-Staat als herausragend ausgezeichneten StaatskünstlerInnen, im Deutschen Historischen Museum in Berlin kuratiert. Welche historischen Aspekte möchtest du nun hier im Kunstverein Nürnberg bearbeiten?
WOLFGANG BRAUNEIS: Wie bei der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum drehen sich die Forschungen auch hier in Nürnberg gleichermaßen um kunst- und zeithistorische Aspekte. Konkret beschäftigen wir uns mit der Geschichte des Kunstvereins – damals noch Albrecht-Dürer-Verein – im Nationalsozialismus. Antisemitismus spielt dabei in beiderlei Hinsicht eine zentrale Rolle. Zum einen kunstgeschichtlich: Die Kunstideologie der Nazis basierte auf der Trennung zwischen „artreiner“ und „entarteter“ Kunst, und an der Hetze gegen die als „jüdisch“ diffamierte moderne Kunst beteiligte sich auch der Albrecht-Dürer-Verein, allen voran mit den Femeausstellungen „Entartete Kunst“ und „Judenspiegel“ während des Reichsparteitags 1935. Und zum anderen zeitgeschichtlich – wurden doch zeitgleich die jüdischen Mitglieder aus dem Kunstverein ausgeschlossen. Der starke Rückgang der Mitgliederzahlen in den Jahren 1934 und 1935 rührt daher. Zudem beschäftigt uns auch die Rolle des vom damaligen OB Willy Liebel geleiteten Albrecht-Dürer-Vereins als Akteur innerhalb des, wie man heute sagen würde, Kunstbetriebs der Stadt Nürnberg. Die Verzahnung beispielsweise mit den Ausstellungshäusern, der Kunstakademie oder dem im Nationalsozialismus eminent wichtigen Bereich Kunst-am-Bau sind enorm. De facto waren sämtliche Architekten und Künstler*innen, die für den Bau und die Ausgestaltung der Zeppelintribüne und der Kongresshalle verantwortlich zeichneten und zeichnen sollten, Mitglieder des Kunstvereins.
Nürnbergs auf vielen Ebenen vergiftetes NS-Erbe prägt die Stadt bis heute. Bei starfruit publications erschien unter dem Titel „Mit den Wölfen heulen“ jüngst ein Buch von Bernd Siegler, das sich mit dem Ausschluss jüdischer Mitglieder beim 1. FCN befasst. Man findet also immer noch an vielen Stellen bisher unbearbeitete Aspekte dieser Zeit.

Warum ist es aus deiner Perspektive so wichtig, fast 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg diese Lücken weiter zu schließen?
Den Zeitraum, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen ist, finde ich eher zweitrangig, allerdings ist es bedauerlich, dass die Kunstgeschichte das Thema Nationalsozialismus erst ausgeblendet und dann oft holzschnittartig und separiert betrachtet hat. Die Forschungen und Ausstellungen der vergangenen Jahre, zum Beispiel zu Emil Nolde oder Werner Haftmann, haben gezeigt, dass die Übergänge zwischen dem Nationalsozialismus und der Nachkriegsmoderne fließender sind als lange Zeit gedacht. Die dafür verantwortlichen Kuratorinnen Aya Soika und Julia Voss waren auch im Kunstverein Nürnberg zu Gast, um über Noldes Neubewertung und das Ausklammern jüdischer Künstler*innen sowie des Themas Holocaust auf den ersten documentas zu sprechen. Natürlich kommen für uns auch ethische Aspekte ins Spiel, denn die Forschungsergebnisse führen zu Fragen der Neubewertung und letztlich des eigenen Handelns. Gerade auf Vereine trifft das im doppelten Sinne zu. Beim 1. FC Nürnberg hat man sich – wie Bernd Siegler letztens im Kunstverein erläuterte – sowohl die eigene Schuld als auch die Verantwortung im Kampf gegen den Antisemitismus thematisiert. Dass dies Hand in Hand gehen sollte, gilt auch für Kunstvereine; und dass gerade im Kunstbetrieb Antisemitismus nach wie vor virulent ist, konnten wir ja alle im Zuge der letzten documenta mitverfolgen.

Sich wissenschaftlich intensiv mit der NS-Zeit zu befassen ist unerlässlich und ehrenhaft, aber sicher würde niemand behaupten, dass es ein angenehmes Forschungsgebiet ist. Man stößt ständig auf gewaltiges Leid, Ungerechtigkeit, Kulturlosigkeit, Ignoranz, schreckliche Menschen, toxische Ideologien und unmenschliche Taten. Flapsig gefragt, warum tust du dir das an?
Es gibt zugegebenermaßen gerade, wenn man sich mit den Kontinuitäten der Karrieren von Künstler*innen des Nationalsozialismus nach 1945 beschäftigt, immer wieder Momente, an denen man fassungslos ist – letztlich vor allem wegen der Ignoranz der Kunstgeschichtsschreibung und der Kunstkritik der Nachkriegsjahrzehnte. Umso mehr freue ich mich dann, wenn ich beispielsweise auf die Münchner Kunstzeitschrift tendenzen stoße, die sich regelmäßig um das Thema gekümmert hat, oder auf kritische Fernsehbeiträge aus den 1970er-Jahren. Das in Erinnerung zu rufen, scheint mir doch sehr wichtig zu sein. Ich tue mir das aus mehreren Gründen an: Erstens aus kunsthistorischen Gründen, um auf Leerstellen hinzuweisen; zweitens aus methodischen Gründen, um für eine sozial- und zeithistorisch ausgerichtete Kunstgeschichtsschreibung zu plädieren; und drittens aus zeitgenössischen Gründen, um in Erinnerung zu rufen, dass die Definition dessen, was Kunst ist, keinem Naturgesetz gleichkommt, sondern immer wieder aufs Neue ausagiert werden muss. Die Frage, ob ein Forschungsgebiet angenehm ist, stellt sich dann eigentlich nicht mehr, wenn man es als relevant erachtet und mit Leidenschaft dabei ist. Und im Vergleich zur Arbeit von Zeithistoriker*innen, die sich mit dem NS und den Kontinuitäten nach 1945 beschäftigen und dabei beispielsweise mit Personen, die Gräueltaten begangen haben, kommen die Aspekte, die du ansprichst, in der kunsthistorischen Forschung doch in vergleichsweise homöopathischen Dosen vor.

Die aktuelle Zeit trifft Kultureinrichtungen hart, gestiegene Energiepreise treffen auf in Frage gestellte Budgets und eine hohe Inflation, der Ukrainekrieg verschiebt außerdem nachvollziehbarerweise die Prioritäten und die Aufmerksamkeit vieler Menschen. Wie schafft man es in solchen Zeiten, einen Kunstverein am Laufen zu halten? Was hat sich verändert?
Kurzfristig schafft man es, indem man zum Beispiel Fördergelder von Neustart Kultur erhält, um das Forschungs- und Ausstellungsprojekt umsetzen zu können – gleichzeitig stießen unsere Förderanträge an einigen anderen Stellen aber auch auf Desinteresse und Ablehnung. Gleichzeitig ist es eine große Herausforderung, Aufmerksamkeit für Veranstaltungen vor Ort zu generieren. Hier machen sich die Nachwirkungen der Pandemie ebenso bemerkbar wie die Tatsache, dass – so mein Eindruck nach knapp einem Jahr – die Durchlässigkeit zwischen den kunstbetrieblichen Einrichtungen in Nürnberg nicht besonders groß ist. Das finde ich äußerst bedauerlich.
Wenn wir über Veränderungen für Kunstvereine sprechen, müssen wir wahrscheinlich nicht nur die jüngste Vergangenheit, sondern eher die letzten 15 Jahre in den Blick nehmen. Das Vereinsmodell scheint mir für jüngere Menschen eine geringere Rolle zu spielen, es ist zudem schwerer geworden, Unternehmen für Sponsoring zu gewinnen, und die Plattformen, auf denen man sich über zeitgenössische Kunst informieren kann, sind auch im Zuge der Digitalisierung exponentiell gestiegen. Noch mehr als über das, was sich verändert hat, müssten wir uns eigentlich über das, was sich verändern muss, unterhalten – und zwar dringend.

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WOLFGANG BRAUNEIS
ist seit Mai 2022 Direktor des Kunstvereins Nürnberg – Albrecht-Dürer Gesellschaft. In einem einjährigen Forschungs- und Ausstellungsprojekt untersucht er exemplarisch die Rolle des Kunstvereins in der NS- und Nachkriegszeit. 2021 hat er die vielbeachtete Ausstellung „Die Liste der Gottbegnadeten. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin kuratiert.
2021 hat er die vielbeachtete Ausstellung „Die Liste der Gottbegnadeten. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin kuratiert.




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