Heike Raap | In der Waffenschmiede der Gestaltung

FREITAG, 19. JUNI 2020

#Design, #Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst

Locked in | 014 – Der gefleckte Fisch vor rotem Hintergrund wirkt etwas vom Leben betrogen. Die Augen stehen in verschiedene Richtungen ab, der Mund ist geöffnet als wolle er einen letzten Seufzer über die Absurdität des Daseins von sich geben. Heike Raap hat unter Verwendung verschiedener Arbeitsschritte die Radierung einer Flunder hergestellt. Im Ergebnis der Abtönung der roten Farbe scheint er lachsfarben, das ist genau ihr Humor.

Aber das Bild ist noch deutlich lustiger als man denken könnte: Die Radierung ist eine recht alte Drucktechnik, mit einer Stahlnadel wird das Bild in eine glatte Metallplatte gekratzt, mitunter noch mit Säure abgeätzt, danach wird die Platte mit Farbe eingerieben und unter hohem Druck auf ein Blatt Papier übertragen. Rembrandt gilt als einer der Meister des Fachs, seine gedruckten Portraits und Innenräume sind bis heute vielgeliebte Kompositionen. Heike hat, soviel kann man sagen, neu über die Technik nachgedacht. Die Produktdesignerin und Designtheoretikerin liebt die Grenzgänge zur bildenden Kunst, die Arbeiten haben einen ganz besonderen Humor, der oft erst beim wiederholten Sehen einschlägt. Drei Keramikdosen hat sie nicht explizit für den Küchenbetrieb entworfen, sie dienen für Ausflüchte, Dementis und Floskeln. Man kann sich die Objekte aber sofort in der Teeküche eine DAX-Vorstands oder im ungeliebten Staatsministerium der eigenen Wahl vorstellen. Die Designerschneeflocke aus Acrylglas („Schnee von gestern?“) ist, basierend auf einem Designklassiker, nicht nur deutlich plumper als ein echter Kristall, sie mag die letzte Erinnerung der heutigen Kinder an weiße Weihnachten sein, wenn man den Klimawandel weiterdenkt. Die Freude am glitzernden Objekt bleibt einem im Hals stecken. Es ist diese ständige Reflexion der eigenen Tätigkeit, die das oft sehr reduzierte Werk auszeichnet: Die Silhouette eines telefonierenden Touristen auf einer Osterinselstatue, Mensch auf Steinkopf. Der Zwerg auf der Schulter des Riesen blickt weiter als der Riese selbst. Aber was kann er da Neues entdecken, auf dieser verlassenen Insel, deren Steinköpfe man ja schon nicht vollends versteht? Zurück zur Flunder. Was könnte dieses anmutige Tier denn nun so nachhaltig verstört haben? Die Ironie des Schicksals vermutlich. Da kommt nun so eine Designerin daher, und was sucht sie sich als Motiv für ihre Druckarbeit aus? Den plattesten Fisch im Ozean, schon vor dem Einsatz der Druckwalze. Es wirkt wie die einzig logische Wahl.

Im Interview erzählt Heike von schmutzigen Händen, gestalterischer Haltung und dem Wert unkonventioneller Gedanken.

Marian Wild: Für „Locked in“ lässt du uns tief in die verschiedenen Winkel deines künstlerischen Schaffens blicken, dein Fundament ist aber die Designtheorie sowie die praktische Arbeit als Produkt- und Industriedesignerin. Wie beeinflusst die Designerin in dir die Kunstschaffende und umgekehrt? Was treibt dich an?
Heike Raap: Meine Tätigkeit als Produktdesignerin ist eine sehr kooperative Angelegenheit, die ein hohes Maß an Kommunikation mit Nutzern, Ökonomen, Technikern und anderen Projektbeteiligten erfordert. Es geht darum, gemeinsame Zielvorstellungen zu entwickeln und zu konkreten, tragfähigen Lösungen zu gelangen. Im künstlerischen Bereich hingegen arbeite ich autark, was eine schrankenlose Vorgehensweise erlaubt. Dem Lustprinzip folgend, greife ich auf, was meine Synapsen kitzelt. Dies kann ein Zitat aus einem Buch sein oder eine Naturbeobachtung. Die künstlerische Arbeitsweise trainiert mich im „abwegigen“  Denken und bereichert so mein methodisches Entwerfen in der Designpraxis. Der Einfluss meiner designerischen Tätigkeit auf meine künstlerischen Arbeiten zeigt sich wiederum in der Bildung von Varianten. Die meisten Ideen sind zwar flott skizziert, doch dann beginnt die eigentliche Arbeit: das Fokussieren und Schärfen der Idee und ihrer Umsetzung. Was mich antreibt? Lass mich salopp antworten: Für mich ist das geistige und körperliche Schaffen der Normalzustand. Ich bräuchte vielmehr einen Antrieb, um davon abzulassen.

Aktuell hast du dich viel mit der Drucktechnik der Radierung auseinandergesetzt, deine Flunder ist –wie auch sonst? – im Tiefdruck entstanden. Was magst du an dieser Technik?
Die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten der Radierung sind unglaublich vielfältig, von kontrolliert bis experimentell, von zart bis kraftvoll. Mir gefällt zudem, dass es ein iteratives Vorgehen [ein sich wiederholender Arbeitsprozess, Anm. des Interviewers] ist, bei dem man die einzelnen Zwischenstände durch ein Original, sprich: den Druck, dokumentieren kann. Vor allem aber ist es der Hauch von Waffenschmiede, der Herkunft der Radierung, der mich in den Bann zieht. Die Kunst der Radierung ist etwas sehr Handfestes, gleichzeitig aber auch etwas sehr Sinnliches. In einer Druckwerkstatt riecht es nach Öl und Metall, man braucht Kraft und man muss sich die Hände schmutzig machen wollen. Ohne dies geht es nicht. Und genauso will ich es.

Du bist eine ausgesprochen kritische Designerin, die immer wieder auch in ihren Arbeiten Dinge wie Konsum und Nachhaltigkeit hinterfragt. Wie schwer ist es, etwas zu designen, wenn man gleichzeitig im Kopf das eigene Fach kritisch diskutiert?
Ich sehe hier keine Diskrepanz. Das eigene Fach kritisch zu diskutieren, heißt, es weiterzuentwickeln. Wenn eine Vorgehensweise im Design beispielsweise nicht mit meinen ethischen Werten vereinbar ist, begebe ich mich auf die Suche nach Alternativen und stelle diese zur Disposition. Es gibt kreative Phasen des Arbeitens und Phasen der Reflektion. Beide sollte man nicht vermischen, da sie sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Charakteristik gegenseitig behindern würden. Sowohl für die einzelnen Designprojekte als auch für die Entwicklung der Disziplin des Design gilt: Es ist mein Bestreben, Klarheit zu gewinnen, um Position zu beziehen und mich konstruktiv in Diskussionen einzubringen.

Auf deinem Profilbild stehst du an einem weiten, leeren Strand. Wie gut kann man während der aktuellen Krise noch sozial und visuell kommunizieren?
Natürlich haben sich die Kommunikationswege durch die Pandemie verändert. Ich vermisse die sinnanregenden Kaffeehaus- und Kneipengespräche, die viel mehr Raum für Unerwartetes bieten, als es ein Telefonat je könnte. Aber die aktuelle Situation fordert einen auch heraus Neues auszuprobieren, dem man sich sonst nicht zuwenden würde. Ich denke hier an virtuelle Stammtischtreffen oder Online-Seminare. Vieles funktioniert besser, als man es erwartet hätte. Als Gestalterin finde ich es sinnvoller, Möglichkeiten auszuloten und positive Impulse aufzugreifen, als sich mental gegen unausweichliche Veränderungen zu sträuben.

Weitere Informationen zu Heikes Gesamtwerk (KLICK!), hier geht es zu ihrem Blog (KLICK!)
Eine Auswahl der Grafiken findet sich als Postkarten in der Buchhandlung Walther König im Neuen Museum.




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