AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer
Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen. >>
NüRNBERG, ERLANGEN. Eckdahl, hauptberuflich lautstarker Spaßmacher, zwei uneheliche Kinder in verschiedenen Bundesländern, topflappengroßer Haarausfall am vierundfünfzigjährigen Hinterkopf, Restkonvolut der Frisur schwarz gefärbt mit metallischem Glanz, in verschiedene Richtungen verwachsene rotblonde Augenbrauen, rotadrig vernetzte Mausnase, Knopfaugen, Zahnlücke nach einem zu langen Blick in ein anderes Gesicht auf Gleis 9 des Mannheimer Hauptbahnhofes, blauwangig, Hohlkreuz, Spitzbauch, Pferdeschenkel, Spreizfüße, war der Einladung der schmalohrigen Schwägerin via handgeschriebener Postkarte, mit dem umseitigen Motiv einer Hausschlachtung im Burgenland aus dem 19. Jahrhundert, zum jährlichen Jour fixe in den Bungalow am Stadtrand von B. gefolgt. >>
HAUPTBAHNHOF NüRNBERG. Vor über einem Jahr hat sich der Egersdörfer in sein altes Auto gesetzt und ist nach Tennenlohe gefahren, zum „Walderlebniszentrum“. Dort nahm er sein Notizbüchlein und den Kugelschreiber und ist losgegangen, um zu sehen, was es mit diesem Wort auf sich haben könnte. Der Künstler Michael Jordan aus Erlangen ist Zeichner und Druckgrafiker. Die beiden können sehr gut gemeinsam im Biergarten ohne Eile sitzen, trinken und gelegentlich sprechen. Und so fuhr auch der Jordan einmal in das „Walderlebniszentrum“ nach Tennenlohe und zeichnete dort, was er sah. Der Beitrag erschien in unserer letzten Ausgabe. Das war so gut, das machen sie jetzt öfter: Jordan zeichnet, der Egers macht sich Notizen, und im curt kann man dann erfahren, was hierbei herausgekommen ist.
Durch die Postleitzahl kann man die Orte finden, vielleicht, an die es die beiden Herrn verschlagen hat. Gut, den HBF findet man auch so. >>