Dem Egers sei Welt #49: Notizen eines Kleinkünstlers

SAMSTAG, 25. JUNI 2016

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Kultur ist nicht mehr als das, was der Notar den in seiner Kanzlei Erschienenen erzählt, nachdem er jeden einzeln begrüßt hat und bevor sich alle an den Tisch gesetzt haben. An diesem beginnt er dann, den Kaufvertrag über die Eigentumswohnung laut vorzulesen.

In einem Restaurant auf einer kanarischen Insel lässt sich die deutsche Frau vom deutschen Mann die Speisekarte übersetzen. Entweder ist sie des Spanischen nicht mächtig oder überdrüssig, selbstständig die aufgelisteten Gerichte in ihre Sprache zu übertragen. Während er sich sprachlich müht, klickt sie auf dem Display des Fotoapparates herum und betrachtet die gespeicherten Aufnahmen. Den Ausführungen des Mannes ist zu entnehmen, dass die Dame im Besitz einer immateriellen, langen roten Liste ist, auf der Lebensmittel und Zubereitungsarten in nicht geringer Zahl verzeichnet sind, die sie mit der größter Leidenschaft verabscheut. Möglicherweise wegen des Umstands, dass der Mann nur sehr wenig Speisen finden kann, die den kulinarischen Vorstellungen seiner Frau entsprechen, oder wegen eines bevorstehenden Wetterwechsels, einer schwer ergründbaren Launenhaftigkeit oder aus reinem Zufall platzt der Frau plötzlich die Hutschnur. Auf allen Bildern sei immer nur allein der Mann abgelichtet, beschwert sich die Frau. Niemals käme der Mann einmal auf den Gedanken, die Frau zu fotografieren. Wenn sie sterben würde, gäbe es keinerlei Hinweis darauf, dass sie in diesem Urlaub überhaupt anwesend gewesen sei. Seit Jahren ginge das so. Sie befände sich auf keinem einzigen Bild. Wenn sie stürbe und er dann noch weitere Frauen nach ihr habe, würde es ihm schwer fallen, sich mit Bestimmtheit daran zu erinnern, dass sie es war, die nicht auf den Bildern zu sehen sei.

Jemand vertraute mir unter dem Siegel der äußersten Verschwiegenheit eine zugegebener Maßen sehr pikante Geschichte über eine dritte Person an. Kurze Zeit darauf traf ich auf eben diese dritte Person und die Umstände erlaubten es, dass wir uns sogleich in ein Gespräch vertiefen konnten. Im Verlauf der Plauderei kam jene Person mir gegenüber nun selbst auf diese wirklich außerordentlich schlüpfrige Episode zu sprechen. Es kostete mich viel Anstrengung und einige theatralische Bemühungen, um den Eindruck des Überraschtseins glaubhaft zu vermitteln. Nebenbei bemerkt, bat mich der Erzähler nach der Beendigung seines Berichts, absolutes Stillschweigen über die Angelegenheit zu bewahren. Ich willigte gerne ein und hoffe inständig, dass ich in dieser Angelegenheit nicht noch einmal behelligt werde.

Der Feriengast befand, dass die verschiedenartigen Wellendarstellungen auf den Bildern in der Ferienwohnung auf der Insel allesamt mangelhaft zu nennen sind. Auf dem einen Gemälde wirkten die Wellen wie zuckerwattige Schlieren auf reglosem Elefantengrau, was wohl hohe See bei Sturmwind meinen wollte. Ein anderes Bild zeigte märchenblaue Wellenberge mit schaumbadartig geperlten Gischtkronen und einer seltsamen Mittelbrechung der Welle, an deren Seite schier der halbe Wellenkragen absurd stehen blieb. Auf allen Seiten der Insel schaute er zu den verschiedensten Tages- und Nachtzeiten, Windrichtungen und Witterungsverhältnissen auf die offene See und das weite Ufer hinaus. Kein einziges Mal, auch nicht mit größtmöglicher Toleranz, konnte er die Farbigkeit oder die Art der Wellenbrechung dieser Bilder in der Natur wiederfinden.

Die Bedienung stellte mit wenig Freude einen Tisch und zwei Stühle vor die Eisdiele. Mit einem Freund saß ich dort unter einem frisch ergrünten Baum. Wir tranken Kaffee. Ich wollte dem Gefährten eine Frage stellen, die ich seit einigen Tagen schon gedanklich vorformuliert hatte. Eine ältere Frau trat in dem Moment mit einem Stuhl in der Hand zu uns und fragte, ob sie sich mit an unseren Tisch setzen dürfe. Wir gestatteten es gerne. Ich habe die Frage nicht gestellt. Die Frau fing an, Episoden aus ihrer beruflichen Vergangenheit und ihrer Kindheit zu erzählen. Dann hielt ein Auto unter dem Baum. Zwei Männer stiegen aus. Ein Mann öffnete sogleich die Kofferraumtür. Der andere Mann zog ein paar rote Ohrenschützer über seine Ohren und begann mit einer laut scheppernden Glocke über seinem Kopf sehr stark zu läuten. Dann rief, nein, vielmehr brüllte er ohne Unterbrechung hintereinander: „Frische Erdbeeren. Frriiiiiischeeee Eeeeerdbeeeren!“ Er verschwand in einer Seitenstraße. Das Gebrüll und Gebimmel wurde leiser. Ich wollte noch einmal versuchen, die Frage zu stellen, weil sich gerade im Gespräch am Tisch eine Pause ergeben hatte. Es ist eine Frage gewesen, die man nicht mir nichts dir nichts stellt. Aber die fremde Frau erzählte mit einer kleinen sprachlichen Variante noch einmal die Geschichte aus ihrer Kindheit. Jetzt kamen aus sämtlichen Straßen Menschen mit Töpfen und ließen sich selbige vom anderen Mann mit Erdbeeren aus grauen Kartons füllen. Ich überlegte, ob ich im Beisein der Frau überhaupt meine Frage stellen sollte. Der Mann mit der Bimmel kam wieder zurück. Er bimmelte so gewaltig, dass ich keinen Gedanken mehr fassen konnte. Der Mann mit der Bimmel verschwand lautstark in einer anderen Straßenschlucht. Als das Bimmeln leicht abnahm, erzählte die Frau wieder die selbe Episode, die sie schon vorher drei oder viermal erzählt hatte. Mir kam es gänzlich unpassend vor, dem Freund meine Frage zu stellen. Immer mehr Menschen kamen und ließen sich Berge von Erdbeeren in ihre mitgebrachten Schüsseln schütten. Ich glaube, sie kauften so zahlreich, weil sie das unangenehme Bimmeln gemeinsam ein für alle mal beenden wollten.


UND WAS MACHT EGERS SONST NOCH IM JULI UND AUGUST?
Sommerpause und damit erstmal keine öffentlichen Auftritte mehr. Bis September. Auch ein Meister braucht mal Ruhe.
Wichtigeres, Genaueres und Weiteres unter www.egers.de.




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#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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