Alles erfolgreich - Was glaubst du denn?

MITTWOCH, 1. JUNI 2016

#Oper, #Opernhaus, #Staatstheater Nürnberg, #Stadttheater Fürth, #Theater, #Theater Erlangen

Wie die Bühnen in Nürnberg/Fürth/Erlangen ihre Grußworte und Quoten-Bilanzen als Sprungbrett für die nächste Saison aufbauen. Ein Kulturkommentar von Dieter Stoll.

Dieses frühsommerliche Ritual der großen Theater in Nürnberg, Fürth und Erlangen wird unabhängig voneinander aufgerufen und ist jedes Jahr sozusagen drei-einfältig gleich. Wer Lust dazu hat, kann es also Tradition nennen, wenn in den regionalen Hauptstädten die Leitungs-teams der Bühnenbetriebe, gerne auch dekoriert von wohlwollend dreinblickenden Kulturpolitiker*innen, vor einbestellten Pressevertretern mit „Gell, da schaugst“-Vibrato in der Stimme die Planungen der nächsten Saison enthüllen. Nicht ohne zuvor absichernd die Bilanz, pardon: „Erfolgsbilanz“ einer noch längst nicht beendeten laufenden Spielzeit verkündet zu haben. Wieder mal alles prima: Zahl der Abonnenten, Stimmungsbild der sonstigen Besucher, sorgsam aus dem Zusammenhang geschälte Jubelzitate durchreisender Kritiker, und überhaupt. Jedes Jahr immer noch erfolgreicher, von nun an bis in Ewigkeit. Die Deutungshoheit über die Verquickung von Kunst und Quote steht dabei nie zur Disposition – wer mag schon erörtern, was beispielsweise 70 bis 80 Prozent durchschnittliche Platzausnutzung in einem Haus im Detail für die Akzeptanz anspruchsvoller Aufführungen daselbst bedeuten, da nach blanken Zahlen die fast hundertprozentig ausgebuchten und etwa dreimal so oft angesetzten Jux-Produktionen (hier „Kiss me, Kate“, dort „Der nackte Wahnsinn“) unterm Strich das Rechnungsmodell bestimmen. Immerhin, ein Quotenkiller-Kunstwerk wie Janaceks düstere Oper „Aus einem Totenhaus“ in knallharter Bieito-Regie wird so möglich. Und die unberechenbare Textflächennutzung von Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“, unter der Leitung von Bettina Brunier zur funkenschlagenden Gedankenrevue erblüht, eben auch. So pragmatisch muss man es wohl sehen. Egal; neues Spiel, neues Glück!

UTOPIEN – HEIMLICH UND UNHEIMLICH

Zunächst wollen die Theater bei der jährlichen Selbstbespiegelungsandacht am Scheideweg zeigen, dass sie es sehr ernst meinen. In Nürnberg besorgt das der Staatsintendant Peter Theiler mit einem leitkulturell ausholenden „Grußwort“ (demnach ist die Kulturfabrik vom Richard-Wagner-Platz mit „breitem Zuspruch“ der Öffentlichkeit und „breiter Verankerung“ in der Gesellschaft gesegnet, also auf alle Fälle breit), welches dem Publikum für die kommende Saison die Verhandlung seiner „heimlichen Utopien“ verspricht, nämlich „Themen, die uns, die Polis, angehen“. Polis? Ein Begriff, der unter eingeborenen Franken nicht unbedingt an antike Bürgergemeinde erinnert, eher  an zeitgenössische Polizei. Es geht ausnahmsweise trotzdem nicht um den Franken-„Tatort“, sondern ums große Ganze. Schauspieldirektor Klaus Kusenberg wirft als Zugabe für seine Sparte das Wort „Umbrüche“ in den Ring. Ja, passd scho!
In Erlangen war Intendantin Katja Ott der Stadt mit Anlauf auf den Schoß gesprungen, als sie die jetzige Saison mit Varianten von „Heimat“ beflaggte (in unwiderstehlicher Konsequenz hieß eine Premiere dann „Heimat Erlangen“, die andere „heimat.com“) und nun mit dem mindestens so dehnbaren, im Gegensatz zur zitierten Nürnberger Einstufung un-heimlichen Begriff „Utopie“ nachlegt. Utopie wie Fassbinders Emotions-, Migrations- und Generationsprobleme umarmendes Melodram ANGST ESSEN SEELE AUF von 1974.

LUTHER SINGT MUSICAL, ABER DER PAPST KANN ES AUCH.

Am Fürther Theater, wo Intendant Werner Müller seine zu 90 Prozent ausgebuchten Spielzeiten gelegentlich mit dem Esprit von Aufsatzthemen überschrieb, ist diesmal, was Witz und Vieldeutigkeit und hohen Anspruch zugleich betrifft, ein Golden Goal gelungen. Da steht für die kommende Saison, die sich mit dem Wanken scheinbar ewiger religiöser Werte befasst, der im Volksmund wie eine heiße Kartoffel gewendete Spruch „was glaubst denn du?“ bereit. Das ist neben der konfessionell geordneten Kirchensteuer-Einstufung die empörte Zurückweisung von Zweifel ebenso wie die erheiterte Kommentierung vorgeblicher Gewissheiten, die besorgte Frage nach dem Standpunkt oder auch der letzte Hauch von drohender Inquisition. Ein Spruch, der so faszinierend schillert, dass man den Aufführungen nur wünschen kann, annähernd durchschlagende Wirkung zu erzielen. Die Fürther Planung 2016/17 nimmt sich diesbezüglich jedenfalls einiges vor. Von der Feuchtwanger-Dramatisierung DIE JÜDIN VON TOLEDO über das Solo JUDAS von Lot Vekemans (bei den Bayerischen Theatertagen in Nürnberg schon in der genialen Umsetzung der Münchner Kammerspiele vorgeführt) bis zur Vereinnahmung des Beckett-Sinnsuchspiels  WARTEN AUF GODOT durchs freie „Bagaasch“-Ensemble von Ute und Uwe Weiherer, die sich sonst auch um den alternativen Fasching jenseits von Veitshöchheim kümmern. Als Höhepunkt in der dramaturgischen Glaubensbeschwörung ist der Auftrag zur Musical-Uraufführung LUTHER gedacht, vermutlich mit Pauke für den Thesenanschlag. Aufs ökumenische Gegengastspiel von „Karol“ aus Krakau, dem dort eben entstehenden Musical über Papst Johannes Paul II., wird vorerst verzichtet.
Ob aus hehren Begriffen und abgestaubten Schlagworten für 2016/17 ein roter Faden gesponnen wird oder etwa doch ein Würgestrick, muss sich in der Summe aller in diesen Konzeptzwangsjacken strampelnden Produktionen ergeben. Bis es soweit ist, mag der einordnende Blick helfen – bevor die Schubladen klemmen. Also: Was fällt denn noch auf?

VIEL „GEGENWART“ IM SCHAUSPIELANGEBOT

Von 14 Neuinszenierungen sind kommende Saison am Nürnberger Schauspielhaus sieben Uraufführungen oder Deutschlandpremieren und zwei weitere Stücke werden erstmals vor Ort gespielt. Ein sehr respektabler Anteil „Gegenwart“. Von Mark Hayhurst in London gefeiertem PROZESS DES HANS LITTEN über die Lebenstragödie eines jungen Anwalts, der 1931 in Berlin Hitler anklagte (seine Nichte Patricia Litten spielt in Nürnberg eine der Hauptrollen) bis zum Recherche-Projekt ATATÜRKS ERBEN von Tugsal Mogul, dessen Ärzte-Satire „Halbstarke Halbgötter“ vor Jahren am Gostner Hoftheater Erfolg hatte. Zwei deutsche Autoren, mit künstlerischem Stammsitz in Berlin, sind mit attraktiven Texten doppelt vertreten. Von den Wortspiel-Offensiven der Sibylle Berg fürs Berliner Gorki-Theater übernimmt Nürnberg UND DANN KAM MIRNA, Erlangen holt das ältere VIEL GUT ESSEN auf die Garagen-Bühne. Marius von Mayenbergs bissige Künstlerkokolores-Komödie STÜCK PLASTIK, die frischeste Lachnummer von der Berliner Schaubühne, wird in Erlangen auf Markgrafentheater-Format und kleiner auch am Gostner Hoftheater ausprobiert.

KLASSIK-RECHNUNG: 3X SHAKESPEARE = 1 URAUFFÜHRUNG

So kann man von Shakespeare auch heutzutage eine Uraufführung kriegen – indem drei Raritäten aus dem unerschöpflichen Fundus des Dichters zur abendfüllenden RÖMISCHEN TRILOGIE gestaucht werden. John von Düffel, der fleißigste Digest-Spezialist unter den Weiterverwertungspoeten (aus der Dramaturgenstube des Deutschen Theaters Berlin), plündert – nachdem Klaus Kusenberg mit seiner abgemagerten Antiken-Adaption „Ödipus Stadt“ offenbar zufrieden war – als Vereinigungsbeauftragter die Stücke „Coriolanus“, „Julius Cäsar“ und „Antonius und Cleopatra“ im Auftrag des Nürnberger Schauspieldirektors. Ende der Saison legt der einstige Burgtheater-Regisseur Peter Wittenberg mit Schillers JUNGFRAU VON ORLEANS in immerhin vergleichbarer Größenordnung nach. Erlangen grüßt verschämt nach Nürnberg, reicht den Jelinek-„Schutzbefohlenen“ von dort und einem eigenen Versuch mit dem Sprachoratorium WUT aus der Wortschwall-Produktion der Nobelpreisträgerin das knapp 2500 Jahre ältere Aischylos-Vorbild DIE SCHUTZFLEHENDEN nach und lässt die soeben in Nürnberg abgesetzte Shakespeare-Lovestory ROMEO UND JULIA hier gleich wieder neu inszenieren – und zwar vom permanent kultverdächtigen „Winnetou“- & „Werther“-Regisseur Eike Hannemann. Den Goethe-Trip für Bildungsbürger oder Deutungshuber gibt es nur an zwei Tagen in Fürth, mit FAUST, DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL vom biografisch geadelten Nationaltheater Weimar, dem Haus mit den institutionalisierten Geheimratsecken.

DIE MODERNE VON GESTERN FEIERT COMEBACK

An Max Frischs BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER kommt zu Pegida-Zeiten nur vorbei, wer das Stück erst kürzlich spielte. Fürth hat schon abgehakt, in Erlangen (dort inszeniert Elina Finkel, die mit Tschechows „Drei Schwestern“ respektabel war) und Nürnberg (da geht mit Christoph Mehler der Radikalste unter den Dauergästen ran) sind neue Versuche fällig. Zu den amerikanischen Bestsellerautoren, die für Deutschland nochmal zu entdecken sind, gehört trotz „Tod eines Handlungsreisenden“ auch Arthur Miller (in Fürth wird Petra Wüllenweber EIN BLICK VON DER BRÜCKE inszenieren), aber viel größer ist der derzeitige Abstand zu Tennessee Williams. Seine KATZE AUF DEM HEISSEN BLECHDACH, für Cineasten immer noch eine Erinnerung an die junge Liz Taylor, bringt in Nürnberg die zeitweilige Wiederkehr von Georg Schmiedleitner aus vierteiliger Nibelungen-Gefangenschaft am Opernhaus nebenan zurück ans Schauspielhaus. Viel Freiheit hat er allerdings nicht, denn die Williams-Erben wachen dicht an den Buchstaben über die „Werktreue“.

IN DER OPER IST MAN MIT 92 DER JÜNGSTE

Von den fünf echten Opernproduktionen, die das Staatstheater für die neue Saison als Nürnberger Premieren plant, sind drei bereits in Umlauf, die vierte wird mit zwei Partnern gemeinsam gestemmt. Opernchef Peter Theiler baut in seiner vorletzten Spielzeit auf künstlerische Ambition bei gleichzeitiger Risikominimierung. Koproduktionen mit anderen Bühnen ermöglichen nicht nur kostengünstige Auswertungen der Arbeit namhafter Regisseure (Peter Konwitschny, Stéphane Braunschweig), sie geben im Idealfall auch die Sicherheit bereits ausprobierter Deutungen. Anders wäre es derzeit wohl gar nicht machbar, in Nürnberg nach 50 Jahren endlich wieder Mussorgskis BORIS GODUNOW (mit Lübeck, Göteborg) und Verdis ATTILA (Wien, Lübeck) zu zeigen, dazu zur Wiederherstellung des hausgemachten Belcanto-Übergewichts Bellinis NORMA (Paris, Saint-Etienne) und im Gag-Geknatter der allzeit lustigen Laura Scozzi auch Rossinis „Italienerin in Algier“ (Toulouse). Nur Alban Bergs WOZZECK ist reine Nürnberger Sache (bei Entstehungsjahr 1925 zudem mit 92 das jüngste Stück im kompletten Opernspielplan), inszeniert von Georg Schmiedleitner, der seinen vorher geschmiedeten „Ring des Nibelungen“ nun auch durch die ersten Zyklen geleitet. Dass aus der MATTHÄUS-PASSION eine Art Oper wird, wenn man Regisseur David Mouchtar-Samorai für die Orgelwoche zum Bachchor nach St. Lorenz schickt, gehört vorerst zu den offenen Glaubensfragen. Die leichtgewichtigere Johannes-Passion war schon vor Jahrzehnten mit achtbarem Erfolg ins Opernhaus gelockt worden.

UND VOR ALLEM: EIN BISSCHEN SPAß MUSS SEIN

Volles Verständnis fürs Amüsierbedürfnis, da lässt sich das Staatstheater nicht lumpen. Neben der Wiederkehr von „My Fair Lady“ in fränkischer Mundart und „Im weißen Rössl“ frei nach Peter Alexander gibt es als Nürnberger Erstaufführung das 1972 entstandene Musical SUGAR nach Billy Wilders Filmdrehbuch von „Manche mögen‘s heiß“. Der „Funny Girl“-Komponist Jule Styne vertonte die blitzenden Dialoge mittelprächtig inspiriert und der etwas mühsame Weg nach Deutschland führte dazumal übers Metropol-Theater in Berlin/DDR an diverse Provinzadressen. Der große Durchbruch steht noch aus. Alle drei Entertainmentprodukte kommen aus der Hand des selben österreichischen Regisseurs – es gibt also beiläufig Nürnberger Thomas-Enzinger-Festspiele. Die Fürther Musical-Uraufführung LUTHER birgt deutlich mehr Risiko. Komponist Christian Auer hat schon Tina Turner und den Brandner Kasper musiktheatralisch verarbeitet, Autorin Nina Schneider kann auf ihrer Referenzliste zwei Dinnershows für Alfons Schuhbeck ausweisen. Was also nicht nur die überfällige Swing-Fassung von „Ein feste Burg ist unser Gott“ erhoffen lässt, sondern womöglich sogar den theologisch unterfütterten Verdauungs-Song „Hat es euch nicht geschmecket?“. Und dann wäre da noch die Ankündigung von PENSION SCHÖLLER am Schauspielhaus. Die Verwechslungsklamotte mit Sprachfehlerspäßchen kam nach grimassenreichen Verfilmungen spät durch Frank Castorfs Zwangsverbindung mit Heiner Müller und viel Kartoffelsalat für Rutschpartien am Bühnenboden zu unerwartetem Provokationsruhm. Jungregisseurin Bernadette Sonnenbichler soll einen eigenen Weg durchs Kalauergeflecht finden – damit die Nachfolge von „Der nackte Wahnsinn“ gesichert sei.

Ob die neuen Spielpläne geeignet sind, den vor langer Zeit verschlafenen Traum vom gemeinsamen Theaterbewusstsein im Städtedreieck mal wieder anzuregen, also den prüfenden Blick eines interessierten Kulturpublikums dauerhaft über die zu Stadtgrenzen erklärten Gartenzäune hinaus schwingen zu lassen, ist noch nicht abgemacht. Auf dem Weg zur Qualitätsmarke „Kulturstadt Europas“ wäre das durchaus ein Projekt mit aktuell abrufbarer Ansage: Werte, Umbrüche, Utopie, breite Verankerung? Was glaubst denn du?




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