Dem Egers sei Welt #48: Das Spiel der Schwestern

DIENSTAG, 31. MAI 2016

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne, #Natalie de Ligt

Es müssen bestimmt zwei sonnige Sonntage gewesen sein, als meine beiden liebreizenden Schwestern das Licht der Welt erblickt haben. Nützliche Erfindungen wurden an diesen Tagen gemacht, Friede zwischen verfeindeten Völkern geschlossen und ein schöner Wohlklang lag weit über der Landschaft. Davon gehe ich mit der ganzen Kraft meiner Überzeugung aus.

Es dauerte dann doch einige Jahre, bis ich in der Rolle des kleinen Bruders auf der Bühne des Affentheaters erschien. Am Anfang lag ich hauptsächlich am Rand des Spektakels und gab Laute von mir oder roch aufdringlich. Aber bald wurde aus den Geräuschen, die ich von mir gab, ein Lallen, kurz darauf kam das eine oder andere Wort aus meinem Mund und dann sprach ich auch schon kurze Sätze. Nicht viel hat sich seitdem verändert.

Mein großes Glück war fast am Überlaufen, wenn sich der goldene Augenblick einstellte, in dem sich meine holden, hübschen, klugen, älteren Schwestern ihrem kleinen runden und tapsigen Bruder widmeten. Da konnte ich bereits sitzen, stehen, laufen, kritzeln, Wörter hören und aus meinem kleinen Mund hinaussprechen und Kuchenteig aus dem Topf schlecken.

Und wie ich mich freute, wenn meine Madonnengeschwister, meine Engelsschwestern die Güte besaßen, mit dem rundlichen Wasserköpflein meiner unmündigen Person ein Brettspiel am Wohnzimmertisch passieren zu lassen. Wir spielten oft das „Gänsespiel“. Die dazugehörigen Figuren waren Gänse aus Blech. Jeder würfelte und schob dann das Blechtier über das Spielfeld.

Jedem Feld waren Ereignisse zugeordnet, die jeder Spieler aus einem dichtbedruckten Heftchen, das dem wunderbaren Spaß beigelegt war, entnehmen konnte. Ich glühte hell vor Freude wie der Draht einer altmodischen Glühlampe. Ich konnte schon würfeln und sogar meine Gans selbstständig nach der Augenzahl über die Spielfläche bewegen. Nur die Fähigkeit des Lesens war mir damals gänzlich abhold. Da musste ich meine beiden hochgebildeten, edlen Schwestern um gütige und zahlreiche Hilfeleistungen bitten. Am Anfang klappte das gut und ich dankte die Gnadenakte mit der ganzen Kraft meines kleinen Herzens.

Aber je länger das Spiel ging und je öfter die Schwestern für mich die Ereignisse auf den Feldern, wo ich meine Gans hingewürfelt hatte, vorlasen, desto größer wuchs meine Vermutung, dass meine Schwestern den Text aus der Spielanleitung nur teilweise wortgetreu wiedergaben. Vielmehr gewann ich den Eindruck, dass sie den Text vor dem Aussprechen verformten und veränderten und in einen Sinn brachten, der mit den gedruckten Buchstaben auf dem Papier nur noch wenig gemein hatte.

Des Lesens nicht mächtig, konnte ich meinen Verdacht in keinster Weise bestätigen oder aus der Welt räumen. Die Freude am Spiel verflog für mich wie ein Furz am Gipfelkreuz, und graue Wolken des Unwohls zogen herauf. Meine Schwestern indessen begannen im gleichen Maße das Spiel immer mehr zu genießen und sich über die Abwechslung leidenschaftlich zu freuen. Wenn sie jetzt aus der Anleitung lasen, lachten sie oft lauthals dazwischen und bekamen rote Backen der Freude. Meine Gans kam dem Ziel immer näher. Ich war der Erste und kurz vor dem Sieg las die Schwester unter Prusten und Schenkelklopfen, dass ich wieder auf den Anfang zurück müsse.

Jetzt schlug der Blitz ein. Mir wurde klar, dass ich den beiden Hexen vollkommen ausgeliefert war. Diese spielten ein böses Spiel mit mir. Ich durfte ihren Worten nicht trauen. Sie hatten mir schon die ganze Zeit Sätze vorgelesen, die so bestimmt nicht auf dem Papier standen. Was blieb mir anderes übrig, als meinen Schmerz laut heraus zu brüllen und mit meinen kurzen Armen zu fuchteln. Ich schrie schrill und lang. Das Bemühen von Worten schien mir in dieser Situation vergeblich.

Durch mein nicht enden wollendes Geschrei und das Geschnatter meiner bestens amüsierten Schwestern angelockt, donnerte dann zu guter Letzt die Mutter ins Zimmer und wollte wissen, was hier in aller Welt vor sich gehe und Anlass für einen derartigen Tumult gäbe. Ich plärrte unter Tränen, von den eignen Geschwistern hinters Licht geführt worden zu sein. Die Schwestern wiesen alle Schuld von sich und deuteten an, dass der kleine Bruder nicht verlieren könne. Die Mutter fackelte nicht lange. Beide Schwestern erhielten jeweils eine Kopfnuss und mussten das Feld räumen. Als die Teufelinnen die Tür hinter sich geschlossen hatten, drückte meine Mutter mich an ihren Busen und ich durfte meine letzten Tränen heulen, während sie mir sanft über mein Haar streichelte.


UND WAS MACHT EGERS SONST NOCH IM JUNI?
Am 3. Juni zeigt sich unser liebster Matthias im Erlanger FiftyFifty ein letztes Mal in der Region, in dem er unter dem Titel Mündlich wieder den Zusammenschluss von Wort und Musik sucht, für Letzteres zeichnet sich Freund und Kupferstecher Heinrich Filsner an der Tuba verantwortlich. Danach ist Schluss, Ende, Basta. Also Sommerpause und damit erstmal keine öffentlichen Auftritte mehr. Bis September. Auch ein Meister braucht mal Ruhe.

Wichtigeres, Genaueres und Weiteres unter www.egers.de.


 




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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