Udo Kloos und das Design #6: Städtlein ...

FREITAG, 4. DEZEMBER 2015

#Design, #Hauptmarkt, #Kolumne, #Udo Kloos

Gratulation zur 200. curt-Ausgabe kurz vor Weihnachten! Auf Wunsch der Redaktion: diesmal ein Beitrag mit gscheit-starkem Lokalbezug verbunden mit der Frage „Warum die Dinge so gestaltet sind, wie sie sind“.

STÄDTLEIN AUS HOLZ & TUCH 2016

Nun, kaum ein Erfahrungsfeld eignet sich dafür besser als der Nürnberger Christkindlesmarkt. Diese Großveranstaltung, die jährlich zementiert, was Nürnberg in der breiten Wahrnehmung international ausmacht. Lebkuchen und Bratwürstchen auf dem Hauptmarkt in herrlicher Melange auf vier Vorweihnachtswochen destilliert. Zwetschgenmännla und -weibla gesellen sich in großer Anzahl dazu. Welchen Trumpf neben Dürer hätte Nürnberg noch zu bieten?

„Christkindlesmarkt“, beim Tippen weicht mein Auge nicht von der Tastatur, zumal die Autokorrektur beharrlich den Christkindlmarkt vorschlägt, die Parallelveranstaltung am Marienplatz in der katholischen Landeshauptstadt. Dann wären da noch der entfernte Christkindelmarkt in Görlitz sowie der Christkindlesmarkt in Augsburg. Letzterer, wie auch der in München, wird neben 18 weiteren Städten von der Bahn mit dem Slogan beworben: „Weihnachtsmärkte, die Augen zum Leuchten bringen“. Nürnberg gehört nicht dazu. Sollte das den stolzen Nürnberger in seinen Grundfesten erschüttern? Oder lohnt die Überlegung, ob sich Festgefahreneres attraktiver gestalten ließe?
Im Kleinen wäre das die Pfandtasse, die zum Sammelbecher avancierte. Tradition kann nur gelebt werden, wenn Wandel Wirkung entfalten kann. Das gilt rückblickend besonders für die jährlich neuen Trinkbecher. Anfang der 90er waren die Becher braun. Braun wie keramische Erzeugnisse auf Töpfermärkten. Braun wie die Wiederbelebung des Marktes 1933. Braun wie der Lebkuchen. Viele Jahre war die Tasse braun mit schwarz-weißen Grafiken, die offensichtlich nicht aus Dürerhand stammten. Das Jahr 1992 zierte z.B. Dürer, klare Ansage. Dazwischen Behaim, Burg, Frauenkirche usw. Die Formen blieben bis 2002 ähnlich, mal schlanker mal korpulenter, nur die Farbe wurde dann über Jahre blau (Ausnahme Millennium: gelb), die Motive wechselten. Doch dann bewiesen die Entscheider an der Tassenfront Humor (oder Restalkohol?). Gehen wir mal davon aus, dass das Auge mittrinkt, demnach sollte der Glühweingenuss aus einem Stiefel als Trinkbecher von 2003 bis 2006 reichlich geschmacksverzerrend den Zweck erfüllen. Die dazugehörige Farb- und Motivwahl immerhin konsequent: ein jauchzender Hochgenuss, wenn dem Humor mit Glühwein nachgeholfen wurde. Man sollte bei dieser geschmacklosen Materialschlacht getrost beide Augen zudrücken.
Ein Stiefel. Der jenes Weihnachtsmannes, der bekanntlich aus den USA von Cola Cola importiert wurde. 2003 gelandet bei den Nürnberger Protestanten, die sich eigentlich auf das Christkind freuten? Alkohol aus Schuhen zu trinken, meine Assoziationen wurden von anderen Bildern bedient, die weder gedanklich umkreist noch umschrieben werden wollen. Diese Stiefeltassen musste man sich damals gscheit schöntrinken. Den bedauernswerten Tassensammlern wurde reichlich Geduld abverlangt. Vier Jahre gestalterische Durststrecke (war der Klub wohl zeitgleich wieder in der 2. Liga?). Wer, so frage ich mich, darf jährlich die Gestaltung der Tassen auswählen? Das Christkind?
 
Verlassen wir den Tassenfokus und schauen über den Becherrand – von oben aufs große Ganze dieser Besuchermesse am Hauptmarkt. Es ergäbe sich nämlich damit eine zweite Überlegung darüber, ob sich Festgefahreneres umgestalten und damit verbessern ließe? Schon immer die Aufstellung der Stände in Längsachsen. Ähnlich dem Ostermarkt mag sich diese Budenaufstellung als praktikabel erwiesen haben. Das Flächenlayout des Christkindlesmarktes aber grundsätzlich zu hinterfragen, würde mir gefallen: ob mit der homogenen Aneinanderreihung dieser Budenbatterie nur der Herausforderung an die Logistik Rechnung getragen wird? Werden die schnurgeraden Gassen dem kleinteiligen Angebot der Buden wirklich gerecht? Das süß gestaltete Leitsystem soll der Orientierung in den Reihen dienen - tut es das? In welcher Gasse befinde ich mich? Wie viele folgen noch? Die Lust zum Flanieren verliert sich meist nach dem Durchmarschieren der zweiten Straße. Ich meine: Mut zur Veränderung! Wie wäre es mit einem Platz, und damit also Platz am Platz? Ein kleines Fleckchen zum Verweilen? Eine freie Fläche z.B. in der Mitte. Ein Ort, der Aussicht schafft. Meinetwegen mit Trink- und Essbarem drumherum konzentriert. Von dort - passend zu Weihnachten -  sternförmig abführende Gassen gesäumt mit Buden zum Schönen Brunnen, zur Frauenkirche, zum Rathaus ... Die Partnerstadt Venedig lebt vom Charme dieses Zusammenspiels von Verdichtung und Öffnung. Mir gefällt das. Und überhaupt, warum nicht die drei Weihnachtsmärkte stärker miteinander verbinden. Gerade der Markt der Partnerstädte hinter dem Rathaus bietet sich an. Sogar die Kinderweihnacht wäre mit einigen Buden mehr zu verbinden. Integration als Schlüssel für ein großes Ganzes. Den Dornröschenschlaf des Plobenhofes könnte man damit auferwecken. Nur, der alkoholgetränkte Feuerzangenbowlenplatz an der Pegnitz hat sich als Adresse für trinkfeste Besucher etabliert. Der dürfte eigenständig bleiben. Ich bin mir sicher, wenn der Christkindlmarkt sich 2016 wandelt, haben wir vier Wochen lang Schnee. Und Buden wie mit Puderzucker bestäubt.

Nun hoffe ich, der Redaktion mit reichlich evoziertem Lokalkolorit zur Vorweihnachtszeit Zeilensprünge sprühender Funken geliefert zu haben.

Alles Gute, CURT!


UDO KLOOS UND CURT.
Udo betreibt den neoos Schauraum. Mit seinem NEOOS PLANUNGSBÜRO gestaltete und konzipierte er u.a. die Räumlichkeiten der Mischbar, der BLOK Bar, des glore Stores, die EBL Stores, der Rösttrommel ...
Mehr dazu: www.neoos-design.com
 




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