Kleine Ausflüge von Egersdörfer und Jordan 4: Unter der Burg wachsen die Trauben

1. AUGUST 2022 - 30. SEPTEMBER 2022, HAUPTBAHNHOF NüRNBERG

#Hauptbahnhof, #Kleine Ausflüge, #Kolumne, #Matthias Egersdörfer, #Michael Jordan

90403 Nürnberg.   Durch das Tiergärtnertor, am „Wanderer“ vorbei, rechts vom Pilatushaus führen einige Treppen zum mit Kopfstein gepflasterten Sträßchen „Am Ölberg“ hinauf. Dort wo die Stufen enden, steht eine Kastanie, schüchtern blühend. „Der Baum kränkelt schon länger“, sagt Herr Fritz. „Von einem Bakterium ist er befallen und blutet an der Seite. Mag auch sein, dass er im Sommer zu wenig Wasser bekommt. Im Juli verliert er auf einen Schlag alle Blätter. Aber gerade geht’s ihm gut.“

Während der direkte Nachbar des Laubbaumes spricht, wird er von einem Gartenrotschwänzchen zärtlich umflogen. „Die Dame hat mich einige Male draußen beim Händewaschen begleitet und dabei recht neidisch geschaut. Sie wollte freilich nichts anderes, als dass ich ihr eine Vogeltränke bereitstelle. Dem Wunsch bin ich zeitnah nachgekommen.“ Mit einem Blick auf das hüpfende Tier ergänzt der studierte Soziologe und Philosoph mit einem Lächeln: „Freilich handelt es sich hier um eine typische anthropozentrische Überformung der Natur.“ Seit einigen Jahren wohnt Herr Fritz jetzt schon an der südlichen Seite unterhalb vom Pallas der Nürnberger Burg. Oft und gern habe er dort aus seinem Küchenfenster geschaut auf den kleinen Garten unterhalb der Sandsteinmauer. Weil der Mann als Weinfachberater arbeitet und sich schon seit der frühen Jugend intensiv mit der Veredelung der Traube an sich auseinandersetzt, blieb es nicht beim sprachlosen Beobachten. Der Fachmann wusste, dass es beim Weinbau eben nicht ausschließlich auf die direkte Bestrahlung durch die Sonne ankommt, sondern vielmehr auf die Abstrahlwärme, die hier von der Sandsteinmauer und auf der anderen Seite von der Hauswand ausgeht, und die einen regelrechten Kachelofeneffekt bewirkt. Deshalb fand er dort vor seinem Entree geradezu ideale Bedingungen für einen eigenen kleinen Weinberg. Der Mann handelte entschlossen. Seit einigen Jahren stehen an 45 Moselpfählen dicht die Reben, im vertikalem Kordonschnitt angebunden, auf welchen die Trauben heranwachsen, für Fritzens eigenem Naturwein „Clos Noris“. 2019 wurde der erste Jahrgang ausgiebig gefeiert. Zwischen 25 bis 45 Litern des Nürnberger „Orange Wine“ sind der Ertrag im Jahr. Gelegentlich sitzt der einzige Winzer innerhalb der Nürnberger Burgmauern dort und schaut den Trauben beim Wachsen zu, trinkt einen Schluck und gibt den suchenden Spaziergängern freundlich Auskunft, wie man zum Rosengarten oder hinauf auf den Wehrgang kommt. Als Dank sagen diese im Weitergehen, dass sie an der Stelle auch gern verweilen und mit ihm trinken möchten und amüsieren sich ein wenig über die übersichtlichen Weinreben. Der leidenschaftliche Kleinwinzer lächelt milde, trinkt ein kleines Schlückchen und denkt sich seinen Teil. In seinem Keller reift inzwischen der Rebensaft.

Heute heißt die Gegend, wo der Fritz wohnt und Wein anbaut, wie schon erwähnt, „Am Ölberg“, aber noch um 1800 war sie unter dem Flurnamen „beim Weinberg“ bekannt.

(Quelle: „Nürnberger Weinlesesbuch, Spätlese“, Verlag Erna Hofmann Seite 12, 2002)

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Matthias Egersdörfer / www.egers.de
Michael Jordan / www.ansichten-des-jordan.de




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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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MAGAZIN  23.02.2024
AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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BERLIN. #3 Fortsetzung der Kolumne aus Ausgabe August/September. Teil zwei HIER

Es kann sein, dass sich in meiner Erinnerung diverse Aufenthalte in dieser Stadt vermischen, aber ich bin mir sicher, dass es immer Berlin war. In den 1980er Jahren hatten uns die The-Who-Filme »Tommy« und »Quadrophenia« ganz krass mit der Rockmusik der späten 1960er infiziert. Als 1979 Pink Floyd »The Wall« herausbrachten, mussten wir nicht lange überlegen, ob uns das gefiel. Obwohl wir uns für Dorfpunks hielten, ließ sich die Pink-Floyd-Mucke hervorragend zum Rauch aus gewissen Spaßzigaretten in die Gehörgänge dübeln. Aus heutiger Sicht natürlich kompletter Mainstream und Totalkommerz, aber tscha! War geil.  >>
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