Tobias Rauch | Als hätte jemand Säure übers Titelblatt gegossen

FREITAG, 22. JANUAR 2021

#Design, #Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Interview, #Locked in, #Locked out, #Tobias Rauch

Locked in | 045 – Man stockt auch als geübter Bildbeschreiber, wenn man Worte für die procedural bodies von Tobias sucht. Verrostete Raucherstarrungen? Monochrome Skelettskulpturen? Quecksilberexplosionen? Verflüssigte Silberseifenblasen?

Stark bewegt sind die Gebilde allemal, man glaubt fast sie würden weiterfließen, wenn man nicht hinsieht. Sie sind geronnene Elektromusik, Technoclubatmosphäre und Nebelmaschine um halb vier Uhr morgens. Tobias‘ Vermischung von Grafikdesign und Clubstyle schlägt auch in den Plakaten durch: es sind knallige Farben, flache Geometrien, fast anarchische Collagen, die zusammen eine unerhört sinnliche Bilderzählung evozieren. Die Konsumierbarkeit und „gute Lesbarkeit“ stellt dabei nicht den Schwerpunkt der Gestaltung dar, und man kennt diesen Gedanken, die Entkoppelung von Gestaltung und Konsum, aus den 1960er Jahren. Die Hippie-Plakate von Victor Moscoso kann bis heute fast niemand lesen, ob mit psychedelischen Drogen oder ohne. Dahinter stand damals wie heute eine Einstellung zur Gesellschaft, ein Plädoyer für weniger Homogenität und Angepasstheit, für mehr Ecken und Kanten. Das gestalterische Niveau wird durch diese Einstellung nicht im Geringsten verringert.

Im Interview erzählt Tobias von erfundenen Oberflächen, Acid Graphics und geschlossenen Clubs.

Marian Wild: Du lässt dich als Grafikdesigner stark von neuen Medien als auch von der Clubkultur beeinflussen. Wie wirkt sich das auf die Ästhetik deiner Arbeit aus und wie stark trifft dich aktuell die Schließung der Clubs in der Pandemie?
Tobias Rauch: Elektronische Musik ist stets ein fundamentaler Bestandteil meiner Arbeit – sei es als Inspirationsquelle oder Teil meines visuellen Outputs, indem ich mit Musikern und Produzenten zusammenarbeite. In Bezug auf die Ästhetikfrage kann man sich meinen visuellen Output stets als bewegtes Bild vorstellen, der geprägt ist von der Dynamik, die elektronische Musik in sich trägt. Von der Clubschließung bin ich derzeit insofern betroffen, dass ich sehr eng mit Künstlern und Veranstaltern zusammenarbeite und diesen seit einigen Monaten und auf unbestimmte Zeit ihre Lebensgrundlage entzogen wird. Auch wenn in der Szene sehr kreativ mit der aktuellen Situation umgegangen wird, lassen die negativen Nachrichten und fehlenden Bemühungen seitens der Regierung für Kultur im Allgemeinen und für Subkulturen im Besonderen nichts Gutes für die Zukunft erhoffen – Stichwort „systemrelevant“.

Deine digitalen Studien arbeiten stark mit der Haptik, der „Greifbarkeit“ von Oberflächen und der Simulation zum Beispiel von Flüssigkeiten. Die entsprechende Software kann da, verglichen mit einem Zeitpunkt vor 10 Jahren, inzwischen erstaunliche Dinge leisten. Was ist deine Motivation, diese Studien durchzuführen?
In der vermeintlichen Greifbarkeit, die dem Betrachter durch Fotorealismus und Verwandtschaft zu naturverbundenen Oberflächen vorgespielt wird, liegt ein Sehnsuchtsmoment, der mich gewissermaßen antreibt. Man kann Objekte und Oberflächen entwerfen, von denen man zuvor nicht wusste, dass sie in dieser Ausführung tatsächlich möglich wären. So entsteht eine Art fantastische Bildwelt, die sich an eine organische Ästhetik anlehnt und naturverwandte Oberflächen und Formen in einem neuen Kontext zeigt. Ich denke, aufgrund dieser Verwandtschaft zur Natur wirken die Materialien und Formen vertraut und deshalb greifbarer.

Mir kommt es schon seit Längerem so vor, dass gerade im Plakatdesign eine neue Neunzigerwelle angerollt ist, Neonfarben, knallige Verläufe, „flache“, zweidimensionale Grafik. Wie würdest du, als ausgewählter Teilnehmer an den „100 Besten Plakaten 2018“, den aktuellen Trend beschreiben? Denkt man in der Szene über solche Dinge wie Designgeschichte nach?
Damit sind wohl die sogenannten Acid Graphics gemeint, worüber Eye on Design 2019 einen sehr interessanten Artikel veröffentlich hat (KLICK!) [https://eyeondesign.aiga.org/acid-graphics-are-the-new-psychedelia-with-a-heady-dose-of-cynicism]. Ich verstehe die aktuelle ästhetische Entwicklung als eine Protesthaltung gegenüber einer zunehmenden Harmonisierung von Ästhetik in der Gesellschaft, die dem stets zunehmendem Überangebot von Information geschuldet ist. Wiedergabegeräte werden immer vielseitiger (Apple Watch, Virtual Reality), Inhalte sind omnipräsent (Werbeflächen on- und offline) und müssen immer schneller (Werbevolumen) kommuniziert werden. Im Grunde umgibt uns immer mehr mediales Chaos, wodurch die Wirtschaft in erster Linie nach einer grundsätzlichen Ästhetik strebt, die Informationen schnellstmöglich konsumieren lässt. Dadurch wird dem Design von Kommunikation immer mehr Ausdrucksstärke und Charakter in der Gestaltung abgesprochen und gipfelt beispielsweise in einer neuen Welle von verwechselbaren Sans Serif Logo-Redesigns (KLICK und KLICK!) [https://www.artsy.net/article/artsy-editorial-one-trend-dominates-logos-big-tech] [https://www.bloomberg.com/news/articles/2018-11-20/why-fashion-brands-all-use-the-same-style-font-in-their-logos] ähnlich der Bewegung aus den 1960ern, als die Helvetica der neue heiße Scheiß war. Acid Graphics beschreiben auf der anderen Seite einen radikalen stilistischen Wandel, um alle bisher gelernten Regeln zu brechen – und diesen Ansatz kennen wir aus der vergangenen Rave-Kultur der 1980er und 1990er Jahre oder dem Anti-Design-Begriff aus dem Punk-Bereich – mit dem Unterschied, dass sich die verwendeten Werkzeuge stets weiterentwickeln. Macht man sich also Gedanken über Designgeschichte? Ja, aber im Fokus steht zunächst das Ausleben einer persönlichen Ausdrucksstärke.

Für unser Projekt suchst du eine Methode, Aspekte der Coronakrise zu Parametern für eine daran angepasste Ästhetik zu machen. Das ist eine sehr mächtige und konzeptionelle Herangehensweise um zu Formen zu gelangen. Was fasziniert dich an dieser Arbeitsweise, die man in der Architektur zum Beispiel von Zaha Hadid kennt?
Durch den konzeptionellen Ansatz steht weniger das Resultat im Vordergrund, sondern vielmehr der Prozess – der Fokus liegt so auf dem Experimentieren verschiedener Parameter, bis man auf ein zufriedenstellendes Ergebnis stößt. Durch analytische Herangehensweisen mit visuellem Feedback kann man sich dann sofort für oder gegen die gewählten Einstellungen entscheiden. Darüber hinaus wirkt das Ergebnis für mich weniger willkürlich, weil es auf logischen Schlussfolgerungen von Programmen basiert und nicht „nur“ einer persönlichen Empfindung entspricht. Gewissermaßen suggeriert diese Art von Gestaltung mehr Sicherheit, weil man nie komplett zurückfällt aber andererseits auch nur schrittweise vorwärts kommt.

Weitere Informationen zum Künstler: (KLICK und KLICK!)




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