Gloria Sogl | Räucherschinken, der im Sonnenlicht glitzert

FREITAG, 25. DEZEMBER 2020

#Dr. Marian Wild, #Gloria Sogl, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst, #Locked in

Locked in | 041 – Welche Dinge eignen sich am besten zur Herstellung von ordentlicher Kunst? Noch im vorletzten Jahrhundert fiel die Antwort auf diese Frage recht eindeutig aus: Öl und Tempera für die Malerei; Graphit, Tusche, Kohle oder Aquarellfarben für die Zeichnung; Marmor oder Granit für die Skulptur; Bronze oder Porzellan für die Plastik; Gips für die Modelle. Die Zeiten haben sich im 20. Jahrhundert geändert.

Seit der legendären Einreichung eines Pissoirs durch Marcel Duchamp bei einer öffentlichen Kunstausstellung in New York, das von der Jury, in der er selbst saß, gegen die Regeln abgelehnt wurde, sind die Tore zur freien Verwendung der weltlichen Dinge für Kunst weit offen. Salvador Dalí gestaltete Objekte mit alten Telefonen und Plastikhummern als Hörer. Joseph Beuys machte Fett und Honig galerie- und museumstauglich. Richard Serra adelte den Stahl als plastisches Material, Anselm Kiefer die Erde und die Asche als Malsubstanz. Marina Abramovic malte mit ihren eigenen Verletzungen auf ihrem Körper oder schrubbte auf der documenta Rinderknochen sauber, das Repertoire hat sich also deutlich vergrößert. Hier kommt Gloria Sogl ins Spiel: Selbst spricht sie von ihren Arbeiten als Malerei, was schlüssig ist, denn der Wert der jeweiligen Oberflächen ist klar herausgearbeitet. Im Malgrund hört die klassische Vorstellung aber schnell auf: mal projiziert sie Bilder (Videos?) auf den Boden eines Architekturmodells, mal entsteht der Farb-und Lichteffekt durch an die Fensterscheibe gehaltene, durchscheinende Schinkenscheiben, oder durch an der Bretterwand hängende tote Füchse. Die andere Ebene der Arbeiten, wie Geruch oder Haptik, drängen sich mitunter auch schon durch die Abbildungen förmlich auf. Das ist die werkspezifische Komponente, die andere ist Gloria selbst: Ihr Körper, ihre Handlung und Geste, ihre Verfasstheit kristallisieren im fertigen Objekt. Es ist ein sozialer Austausch, der zur Ästhetik wird.

Im Interview erzählt Gloria von ungewöhnlichen Materialien, erweiterter Malerei und dem Kontakt mit dem eigenen Körper.

Marian Wild: Die Materialwahl bei einigen deiner Arbeiten ist – vorsichtig formuliert – ungewöhnlich. Da finden sich Vaselineklekse, Wassermelonen, Fleisch und auch mal tote Füchse. Was erreichen Schinkenscheiben in einer Installation, was sonst kein Material leisten kann?
Gloria Sogl: Der Übergang zwischen Alltagsgegenständen und „Kunstgegenständen“ ist für mich sehr liminal [ein uneindeutiger Schwellenzustand, jenseits der konventionellen Ordnung, Anm. des Interviewers]. Jeder Gegenstand ist mit einer bestimmten Handlung verknüpft, die in einem spezifischen Kontext stattfindet. Meine Materialien sammeln Inhalt und Bedeutung durch die Handlungen, die mit diesen Gegenständen vollzogen werden. Grenzen zwischen Kunstwerken und Gebrauchswerken verschwimmen und werden brüchig. Die Handlung ist wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit, sie vermischt die unterschiedlichen Medien – Film, Performance, Sound, Malerei, Skulptur und Schrift. Mit der Frage was alltägliche Handlungen von künstlerischen Handlungen unterscheidet setzte ich mich in den Wochen, in denen Ateliers und Ausstellungsräume geschlossen waren, intensiv auseinander. Meine künstlerischen Handlungen wurden ohne direkten Kontakt zu den Adressat*innen zu alltäglichen Handlungen. Über die letzte Zeit versuche ich mein Atmen sehr bewusst wahrzunehmen. Ich habe mein Atmen zu einem Forschungsgegenstand erklärt. Die Grenze zwischen künstlerischer Herangehensweise und Selfcare Praxis ist schwer auszumachen.

Durch deine Arbeiten transformierst du den umgebenden Raum auf vielfältige Weise, manchmal sind es sehr subtile Veränderungen, die aber eine starke Wirkung entfalten. Wonach suchst du, wenn solche Arbeiten entstehen?
Meine künstlerische Praxis bewegt sich zwischen Malerei, Raum und Körper – meinem Körper als handelndes, reflektierendes und vermittelndes Subjekt in einer Welt von Kunstproduktion und Künstlerin-Sein. Malerei basiert nicht nur auf Intentionalität [Absicht, Anm. d. Interviewers], da auch alltägliche Szenen an sich malerisch sind. Die alltägliche Interaktion der Menschen in bestimmten Räumlichkeiten bietet Potential für Malerei. Wie viel Absicht und Gestaltung ist nötig oder reicht vorgefunden? Malerei bewegt sich in meiner Arbeit zwischen der zweidimensionalen Fläche, dem dreidimensionalen Denken in einer bestimmten Anordnung von Farbe und Materialräumen bis zu dem Interagieren im Raum: Raum als dreidimensionales Aktionsfeld für Malerei. Malerei endet nicht auf der zweidimensionalen Fläche, sondern bewegt sich über die Materialität in den Raum. Es ist ein denken im Bild, in Bildräumen, und in Handlung.

Viele deiner Arbeiten sind nicht nur optisch angelegt, sondern man kann sie auch riechen oder fühlen. Welche Rolle spielt diese Ansprache der verschiedensten Sinne für dich, und wie stark hat sich diese Erfahrung durch die Quarantäne aus deiner Sicht eingeschränkt?
In der Quarantäne nahm ich mich als Körper und den mich umgebenden Alltag sehr bewusst wahr. Der Raum, als wechselnde und spezifische Gegebenheit, auf die es zu reagieren gilt rückte in den Hintergrund. Die Frage welche Rolle dem Instrument Körper in der aktuellen Situation der Covid-19 Pandemie und der damit einhergehenden sozialen Isolation zukommt beschäftigte mich. Wie kann der Körper in seiner räumlichen Begrenztheit in Interaktion treten und soziale Handlungen und Beziehungen herstellen? Welche Rolle spielt mein Körper als Arbeits-, Ausdrucks- und Interaktionsinstrument einer Künstlerin in Zeiten, in denen Ateliers und Ausstellungsräume geschlossen haben? Die künstlerische Praxis wird zu einer Form des sozialen Handelns, die Grenzen zwischen Kunstwerken und Gebrauchswerken verschwimmen und werden brüchig. Die Grenzen zwischen Kunst und Leben lösen sich auf.

Weitere Informationen zur Künstlerin: (KLICK!)




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