Martin Blättner | Die Kunst umzingeln

FREITAG, 9. OKTOBER 2020

#Dr. Marian Wild, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst, #Locked in, #Martin Blättner

Locked in | 030 – An der „Dürer-Paraphrase“ bin ich bei der Betrachtung der Werke hängengeblieben: Ein Martin-Blättner-Selbstporträt, mit digitalen Mitteln bearbeitet, unscharf gestellt, vereist, mit blonden Haaren übermalt. Dürer-Epigonen gibt es ja nun nicht wenige, man hat seine Signatur kopiert wie Hans Hoffmann eine Generation später, was vermutlich ein lukratives Geschäft war. Die Rektoren der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg erhalten – auch so ein skurriles Detail – mit dem Posten auch das Recht im Dürer-Grab auf dem Johannisfriedhof beerdigt zu werden, mehr Nähe ist schwer vorstellbar.

Dürers Selbstportrait ist eines der bekanntesten Gemälde, eine Grundlage seines Weltruhms. Was bedeutet es, sich so ein Bild als Nürnberger Künstler anzueignen? Ein Zeichen von Bescheidenheit, so viel kann man sagen, ist es erstmal nicht. Aber es ist nicht die Aufgabe von Künstler*innen bescheiden zu sein. Die Welt ist für sie ein unsicherer Ort, in dem man sich gegen vermeintlich sinnvollere Gewerke behaupten muss. Ohne die eigene Überzeugung, relevant zu sein, ist Kunst nicht möglich.
Kunst ist hochrelevant für unsere Gesellschaft, sie stellt Fragen, die andere sich nicht zu fragen trauen, und gibt mitunter Antworten, die Menschen missfallen. Um das zu bemerken, muss man sie, die Werke, durchschauen. Um sie zu durchschauen, benötigt man heutzutage oft Kontexte. Martin Blättner arbeitet auch von dieser Seite aus an verschiedenen Fronten an der Verständlichmachung von Kunst, was sehr wichtig ist, denn ein unverstandenes Kunstwerk ist in der Debatte unsichtbar. Diese Doppelrolle ist von außen betrachtet nicht beneidenswert: Man setzt sich mit den Größen der Kunstgeschichte auseinander, und zwangsläufig vergleicht man sie mit den eigenen Arbeiten. Man durchdringt praktisch die Techniken, und versteht plötzlich die Theorie anders und tiefer. Viele tun sich das nicht an: Ein paar Fotografen, denen ich die „Helle Kammer“, ein Standardwerk zur Fototheorie von Roland Barthes empfahl, sagten mir rundheraus, dass sie als praktische Fotografen nicht mit zu viel Theorie belastet sein wollten, es zerstöre ihre Intuition. Man setzt sich wohl zwei Gefahren aus, dachte ich dann, wenn man so vielseitig um den Kunstbegriff herumwandert, man wird einerseits im theoretischen Urteil absolut, andererseits womöglich im praktischen Prozess zu vergeistigt. Hier scheinen die Klippen zu liegen; wie erfolgreich Martin Blättner sie umschifft kann ich beim besten Willen nicht entscheiden. Die schwierige Route zu segeln wie er es tut, das scheint mir aber für die Kunst wichtig.

Im Interview erzählt Martin von verschiedenen Modi der Kunstnutzung, der Übersättigung an Readymades und den Schwierigkeiten, als Künstler heutzutage man selbst zu sein.

Marian Wild: Du hast in deinem Leben einige Rollen im Kulturbetrieb ausgefüllt und arbeitest bis heute mit vielen Konzepten an vielen Fronten. Da gibt es im Lebenslauf verschiedene Studiengänge in Erlangen, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Pädagogik, da gibt es verschiedene Professoren an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, die Professoren Wendland und Dollhopf, und eine Zulassungsarbeit über die Landschaft bei Paul Klee. Währenddessen und auch danach hast du immer wieder kulturelle Projekte angestoßen und durchgeführt, Konzepte erarbeitet und kunstwissenschaftliche Texte verfasst, alles auch neben einer umfangreichen Tätigkeit als Kunstlehrer. Wie schwer ist es aus deiner Sicht, in der heutigen Zeit nachhaltige kulturelle Projekte umzusetzen?
Martin Blättner: Durch meine verschiedenen Tätigkeiten hatte ich stets verschiedene Perspektiven aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Peter Handke schrieb ja einmal über die verschiedenen Rollen, die auch im Alltagsleben vorkommen. Ein Fahrradfahrer erlebt die Welt anders als ein Autofahrer oder Fußgänger. Entsprechend nahm ich die Welt als Künstler anders als ein Besucher einer Ausstellung oder wiederum anders als ein Kunstvermittler oder Kunstlehrer wahr. Während der Künstler hoffentlich das macht, was ihn wirklich interessiert und er sich viel mit sich selbst beschäftigt, verlangt der Beruf eines Erziehers ein Eingehen auf den Anderen und – was schwieriger ist – ein Umgehen mit der Gruppendynamik. So oder so ist aber die Auseinandersetzung mit der Kunst von zentraler Bedeutung. In kulturellen Projekten können alle Erfahrungen, aber auch alle Sichtweisen und Perspektiven einfließen. Entscheidend ist aber der Impetus, etwas zu initiieren. Man wächst immer an den Widerständen.

Einige deiner Beschäftigungsfelder scheint man in deinen Werken wiederzufinden: die typische, auf den ersten Blick naive Formensprache und Farbigkeit eines Paul Klee, die historischen Bezüge zu Portrait und Material, und immer wieder der politische Subtext in Bild und Text. Was lernt man als Kunstschaffender von der Vergangenheit, und welche dieser historischen Konstellationen lässt du für dich als Vorbilder gelten?
Paul Klee gab mir Einblicke in den modernen Bildentstehungsprozess, bei dem alles kybernetisch zusammenhängt und sich zu Bildzeichen verdichtet. Nichts kann isoliert betrachtet werden, selbst Politik spielt etwa im „Aufstand der Viadukte“ hinein. Gleichwohl ist die klassische Moderne weit entfernt, die ganzen Ismen und Epochen habe ich längst verinnerlicht, so auch die surrealen Frottagen von Max Ernst oder die Unmittelbarkeit eines K.R.H Sonderborg, bei der es im Malprozess sozusagen um „Leben und Tod“ bis zum fertigen Bildwerk geht. Ich bevorzuge eher einen Malprozess, der immer wieder die Distanz, den Abstand, das Ruhen lassen in einem Werk-als-Prozess sucht. Das Existentielle ist mir wichtig geworden, gleichwohl gibt es weder eine Festlegung auf die äußerste Reduktion, noch auf die Verpflichtung, immer neue Malschichten aufzutragen. Farbe, Struktur und Licht sind gleichbleibende Konstanten. Die Druckstöcke früherer Holzschnitte werden als Frottagen weiterverarbeitet. Mich interessiert immer wieder das Fragmentarische als Statement gegen den Totalitarismus, aber auch schwebende Elemente als Teil der Auflösung des Realen und Monumentalen, letztlich geht es um das Sein und Werden und um die Existenz – auch im flüchtigen Sein – auch um Wege in und aus der Versteinerung. Oft habe ich für bestimmte Werkgruppen immer wieder andere Perspektiven eingenommen. Bei der digitalen Bildbearbeitung von Fotos habe ich mich andererseits neben Porträt-Paraphrasen (die sich ironisch mit Identität und Identifikation befassen) auch mit schwebenden Elementen in einer absurden Welt beschäftigt. Gelegentlich sind mir Texte wichtiger oder zumindest so wichtig wie das Bild.

Als Textproduzent reflektierst du ständig die künstlerische Entwicklung, als Projektierer bringst du solche Äußerungen in die Öffentlichkeit, als Lehrer ordnest du sie pädagogisch ein. Wie schwer ist es in dieser Konstellation, sich als Künstler noch die nötige geistige Freiheit zu bewahren um selbst Kunstwerke zu realisieren?
Die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen, klassischen oder historischen Kunst ist sehr hilfreich. Wenn ich mich mit verschiedenen Positionen ernsthaft und vorurteilsfrei auseinandersetze, kann ich meinen Horizont erweitern, habe aber kein Problem damit, diese Einflüsse zu filtern oder abzulehnen. Aufgefallen ist mir, dass im heutigen Kunstbetrieb oft die Intelligenz die Begabung schlägt. Es wird nach dem Konzept oder der Strategie eines Künstlers gefragt, nach der Begabung eher nicht. Aber es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen Intelligenz und Begabung: Während die Begabung richtungsbezogen ist, ein Mathegenie also nicht auf allen Gebieten genial sein muss, ist die Intelligenz allumfassend. Als Dozent an der Fachakademie für Sozialpädagogik ist mir das klar geworden: Eigentlich in allen Berufen ist die Intelligenz zusehends gefragt, weniger die Begabung. Doch einen Künstler mit einem Konzept kann man bei der Einschätzung seines Werks zumindest auf dieses Konzept festnageln und sehen, ob es stimmig ist. Ein Werk muss Überzeugungskraft haben und daran zu arbeiten ist das Wichtige. Die geistige Freiheit ist nur bei denen in Gefahr, die sich vereinnahmen lassen. Ich bin für ehrliche Kunst und das habe ich immer zu vermitteln versucht.

Die aktuelle Krise wird offensichtlich einige Spielregeln ändern, und ich bin überzeugt, dass du darüber schon lange für dich selbst nachdenkst. Gibt es da bereits eine Intuition bei dir, wohin die Reise gehen wird?
Während und nach Corona ist sicher alles schwieriger geworden, aber vielleicht gibt es tatsächlich auch eine Chance zum Umdenken in einem Kulturbetrieb, der in der postmodernen Zeit oft zu beliebig geworden ist. Ich denke, der Künstler der nächste Jahre spielt nicht mehr zum wiederholten Mal mit einem Ready-made, also mit Objekten, die er zur Kunst erklärt hat und in einem neuen Kontext ansiedelt (übrigens geht die Idee vom Ready-made offenbar gar nicht auf Marcel Duchamp zurück, sondern nach neueren Erkenntnissen auf die seiner Freundin: Elsa von Freytag-Loringhoven). Ich denke, dass die postmoderne Karnevalisierung der Kultur nicht mehr von Dauer sein wird, sondern sich ein Neo-Existentialismus durchsetzt. Das autonome Kunstwerk wird wieder an Bedeutung gewinnen und der unmittelbare Ausdruck des Künstlers in Erscheinung treten: ungeschönt, unverfälscht und ohne Täuschung. Wir werden wieder mit dem gescheiterten Werk eines Künstlers rechnen müssen.

Weitere Informationen zum Künstler (KLICK!)




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