Andreas Oehlert - Auf die Papierkante gestellt

DIENSTAG, 15. SEPTEMBER 2020

#Andreas Oehlert, #Aquarell, #Ausstellung, #Dr. Marian Wild, #Finisage, #Kunst, #lichten, #Oechsner Galerie, #Review

Review – Ausgeschwemmte Pigmente, geometrische Haufenbildungen und sich wie Eisblöcke überlagernde Farbfilter: Andreas Oehlert findet in seiner Zeichnungsserie „lichten“ einen bildnerischen Ausdruck der aktuellen Zeit. Zur baldigen Finisage hat es sich für den curt gelohnt nochmal genauer über die Ausstellung in der oechsner galerie nachzudenken.
 

Die Pigmente aus dem Papier geschrubbt
Im Dialog mit den neuen Zeichnungen stoßen den Besuchern eigentümliche Erfahrungen zu: Man wandelt im Galerieraum auf buntem Konfetti und passiert viele kleinformatige Zeichnungen des Künstlers. Es sind ornamenthafte Muster mit individuellen Oberflächen, formal ist der Duktus seltsam schwer zu datieren. Sie vermitteln keine serielle Kühle wie viele konkreten und abstrakten Formspiele von Künstlern der 1960er und 1970er Jahre, durch die mal einzeln aquarellierten, mal Fläche für Fläche ausgefüllten Elemente geht die menschliche, handwerkliche Komponente beim Ansehen nie verloren. Gleichzeitig strahlen die Arbeiten eine sanfte Nostalgie aus, erinnern mal an die Farbigkeit der 1960er mal an den postmodernen Brutalismus der 1980er Jahre. Diese subtilen Dynamiken haben eine Entsprechung im Entstehungsprozess: Andreas malt nicht statisch, die Werke entstehen vielmehr intuitiv im Verlauf einer regelrechten Performance im privaten Atelier, im Tanz vor dem Bildträger, im Schritt nach vorne und zurück, im ständigen Abwägen des einzelnen Bilddetails und der Gesamtfläche. Das ist ein gänzlich anderer Ansatz als bei jenen vormodernen Künstlern, die mitunter meterlangen Pinsel zur Hilfe nahmen, um während des Malens das Bild aus der gewünschten Fernperspektive sehen zu können. In der neuen Werkserie werden einige von Andreas‘ bereits erprobten Bildfindungsstrategien weitergetrieben und präzisiert: Er tupft nun die feuchte Aquarellfarbe nicht mehr lediglich ab oder lässt die Formen als Negativ frei wie noch in früheren Arbeiten, vielmehr nimmt er aktiv Farbflächen wieder vom getrockneten Papier ab, er lichtet die Farbareale, schwemmt und bürstet die Pigmente mit Wasser wieder aus und lässt damit eine höchst eigenständige, helle Raumebene in den kleinformatigen Bildern entstehen. Bildräume und Farbperspektiven entstehen dadurch in subtilen Schattierungen; die Bilder wirken gleichzeitig im Ganzen geschlossener, da die Pigmente sich nie vollständig aus dem Papier lösen lassen und als Farbschleier erhalten bleiben. Die Herstellung bleibt dabei trotz des kleinen Formats ein dynamischer Prozess, vor und zurück, Malen und Prüfen. Die neue Werkreihe lichten, bisher 16 Blätter, hat sich seit dem ersten Bild stark entwickelt und diversifiziert.

Beobachtungen
Die Werkserie entstand mit dem Corona-Lockdown seit März 2020, der ja zweifellos einen nachhaltigen Einfluss auf das Kunst- und Kulturgeschehen hatte und haben wird, man kann vermuten nicht nur in Form äußerer Umstände sondern auch in der sich wandelnden Weltsicht und Kunstproduktion der Kulturschaffenden. Beinahe konstruktivistisch mutet hier das Eingangswerk lichten (1) an, wie eine rötliche Farb- und Raumstudie aus relativ flachen, transparenten Rechtecken. Die Arbeit scheint sowohl ein Austesten der technischen Möglichkeiten des neuen Verfahrens zu sein als auch eine seelische Überflutung zu dokumentieren: harmonisch, fast still überlagern sich die geometrischen Formen, die körnigen Lichtareale sind aber zugleich in ihrer Unüberschaubarkeit beunruhigend und verbildlichen womöglich ein Gefühl, das uns im Lockdown alle gemeinsam ergriffen hat, jene Flut von Daten und Erklärungen, alle sinnhaft und komplex für sich, aber hilflos überfordernd im Gesamtbild. lichten (5) verändert die Perspektive grundlegend: Die transparente Ebene wird zum durchscheinenden Fenster, die recht fahlen, blauen, gelben und rosa Kreisstrukturen manifestieren sich als Scheinwerfer im Dunkel. Herannahende Autos, die den Betrachter überfahren und Suchscheinwerfer gleichermaßen. Der Eindruck der Werke ändert sich interessanterweise in der neuen Serie nur minimal, wenn man als Betrachter die Entfernung verringert oder vergrößert, die Motive bleiben erstaunlich stabil in ihrem bildnerischen Eindruck, stabil wie die Einschränkungen. Das scheint die Folge aus Andreas‘ dynamischem Arbeitsprozess zu sein: Er bewegt sich in seinem Arbeitsprozess stetig um die scharfe Papierkante, auf der die Bilder zum Stehen gekommen sind. lichten (7) erobert sich die dritte Dimension nochmals energischer, als vielschichtiges Diorama aus orangefarbenen Eisblöcken. Durch die transparenten Blöcke blickt man auf ferne, bunte Geometrien, wie eine gläserne Mauer ist man von dem fröhlichen Treiben und schillernden Gewusel getrennt, und diese Erinnerung verblasst langsam. Eine der konkretesten Erzählungen liefert im Kontrast lichten (12) als mehrfarbige Strichliste, die sich irgendwo in der Dunkelheit der Unendlichkeit verliert, genau wie die konstant gemeldeten Todesopfer der Krankheit. Wie eine Klammer zum ersten Bild der Reihe wirkt lichten (15): Es zeigt sich auch konstruktiv, eher flach, aber weitaus differenzierter in den Strukturen: In den Ebenen entfaltet sich ein Gespinst aus hellen Gittern, das sich hinter die organischen, transparent-blauen Kreiskörperketten legt. Hier scheint auch der Virus im Bild angekommen zu sein, ein geometrisches Gitter, wie ein Gewebe, wird von den organischen Kugeln förmlich übersiedelt, nur kleine Räume lassen die Offenheit des Gitters weiter zu.

Die Party ist vorbei
Andreas nimmt durch verschiedene Strategien Farbpigmente von dem getrockneten Bild ab, er zeichnet also subtraktiv. Doch er reinigt und wäscht die Areale auch, immer und immer wieder, fast manisch, er desinfiziert Teile seines Bildes, wie wir alle momentan ständig unsere Hände desinfizieren. Es gelingt nie vollständig, ein Pigmentschleier bleibt stets im Bild stehen. Das Restrisiko existiert weiter. Buntes Konfetti umspült die Werke in der Ausstellung als Bodenbelag, es ist ein vielschichtiges Detail: Kleingelocht liegen die geliebten Kreismuster als Sediment vor den Bildern, Kunsttrümmer einer ornamentalen Dekonstruktion. Bunt und fröhlich wirkt die Fläche zugleich und funktioniert als dynamische Plastik, die jeder Besucher neu prägt und verändert. Wie die Relikte einer vergangenen Eröffnungsfeier erinnern die Papierschnipsel an die aktuelle Unmöglichkeit des unbeschwerten Überschwangs.

OECHSNER GALERIE IM ATELIER- UND GALERIEHAUS DEFET
Gustav-Adolf-Str. 33, Nbg.
oechsner-galerie.de
Tel: 0911 – 961 69 66
Mi-Fr 13-18 Uhr, Sa 11-15 Uhr und nach Vereinbarung

Finisage am 19. September, um 13:30 und 14:30 Uhr mit Harfenmusik von Lilo Kraus, the artist is present.
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