Johannes Kersting | Auf der Lauer

FREITAG, 22. MAI 2020

#Dr. Marian Wild, #Fotografie, #Im Gespräch mit, #Johannes Kersting, #Kunst, #Locked in, #Malerei

Locked in | 010 – Als im 19. Jahrhundert die Fotografie damit anfing nicht unwesentliche Teile des zuvor von Malereien besetzten Portraitmarkts an sich zu reißen, da schätzte man die neuartigen Lichtbilder wegen ihres nahezu unanständigen Realismus. Jede Falte, jede Wimper, die kleinste Regung des Portraitierten wurde zunehmend müheloser und genauer auf die belichtete Bildplatte gebannt, die realistische Portraitmalerei kam im Vergleich von Effektivität, Aufwand und irgendwann auch Kosten in existentielle Bedrängnis.

Das ist einer der vielen Erklärungsstränge, mit denen man elegant überleiten kann zur modernen Malerei, die sich nun auf diejenigen Bilder konzentrierte, die der Fotoapparat nicht greifen konnte. Abstrakte Geometrien, erdachte Szenerien, überbordende Farbräume wurden zum Gegengift gegen die hochpräzise, monochrome Fotografie. Dieses Spannungsfeld prägt beide Gattungen bis heute, und man kann vorab sagen: Johannes Kersting tut nicht das Geringste um diesen Konflikt zu entschärfen. Der Künstler, der aus der Malerei kommt, nimmt sich in seinem fotografischem Werk immer wieder genau diese Trennlinie zwischen Malerei und Fotografie, oder zwischen Figürlichkeit und Abstraktion, vor und hat sichtlich Freude daran, mal diesseits, mal jenseits der Grenze aufzutreten. So entstehen abstrakte Malereien, die ihren Bildträger verlassen und zu materiellen Linien werden, die gefühlt VOR der Leinwand im Raum schweben. So entstehen Fotografien von Architektur, die dermaßen akzentuiert sind, dass nur kleinere oder größere Details den realen Ort erkennen lassen. Und so entstehen plastische Arbeiten wie der kleine Lastwagen, dessen Scheinwerfer massive geometrische Lichtkegel in die Nacht werfen. Für LOCKED OUT entwickelt Johannes eine Serie von „Risikogruppen“-Skizzen, kleine, etwas tapsige Menschlein, die sich zusammenstellen um dem aufziehenden Sturm zu trotzen, die Gesichter verborgen hinter dem bunten Rettungsschirm. Hier auch noch ein Portrait zu malen wäre ungehörig gewesen.

Im Interview erzählt Johannes vom perfekten Bild, dem Wandern zwischen den Kunstgattungen und dem Gefühl, Risikogruppe zu sein.

Marian Wild: Du entwirfst für unsere geplante Ausstellung LOCKED OUT gerade eine Reihe von Zeichnungen kleiner Figuren, die in „Risikogruppen“ auftreten. Was hat dich zu der Serie bewogen und hast du schon ein Gefühl, was der bleibende Eindruck dieser Pandemie wird?
Johannes Kersting: Schon seit vielen Jahren beschäftige ich mich in meinen Zeichnungen mit den Bedeutungsverschiebungen zwischen Wort und Bild, die ich immer wieder auch humorvoll aufgreife. Mir geht es oftmals darum geflügelte Begriffe, die durch die Medien-Landschaft geistern, quasi beim Wort zu nehmen und ein imaginiertes Bild, das sich mir dabei aufdrängt, zu Papier zu bringen. Die „Risikogruppen“ werden in jüngster Zeit ja häufig zitiert und als Begründung aufgeführt warum wir die aktuellen Corona-Beschränkungen zu deren Schutz auf uns nehmen sollten. Ich selbst gehöre einer solchen Risikogruppe an, was sich manchmal etwas seltsam anfühlt, gerade als relativ junger Mensch. Dabei bleibt das Wort eigenartig abstrakt, obwohl es ja Individuen, Menschen, also Einzelschicksale sind, die sich hinter diesem „Label“ verbergen. Meine „Risikogruppen“ sind im Kreis angeordnet und wirken vielleicht etwas passiv oder gar hilflos aber für mich bedeutet diese Gruppierung auch Gemeinschaft und Zugehörigkeit und hat damit etwas Schützendes. Natürlich ist das Ganze vor allem humorvoll gemeint, denn ich finde es wichtig, dass wir auch in der Krise unseren Humor nicht verlieren.

Deine Arbeiten changieren zwischen Fotografie, abstrakter Malerei, OP-Art und Skulptur, und immer wieder mischen sich auch Zeichnungen in das Werk. Ich vermute, dass du dich selbst vorrangig als Fotografen bezeichnen würdest, gleichzeitig suchst du nach den Grenzen der Gattung. Welche Rolle wird den „klassischen“ Kunstgattungen aus deiner Sicht heutzutage in der Fotografie zugewiesen?
Ich habe ja klassische Malerei studiert und mich eigentlich nie als reinen Fotografen betrachtet. Für mich war die Fotografie immer ein Tool um eine Bildsprache umzusetzen die ich in diesem Medium offenbar am besten manifestieren konnte. Ich glaube aber, dass man als zeitgenössischer Künstler sowieso immer offen bleiben sollte und ein medialer Schwerpunkt nur Anlass ist um den Tellerrand des eigenen Tuns ständig neu auszuloten. Mittlerweile bewege ich mich wieder „back to the roots“ mehr in Richtung Malerei, wobei ich wahrscheinlich immer ein faszinierter Wanderer zwischen den Kategorien bleiben werde.

In deiner Fotoserie „Sonderfarben“ wirkt es, als hättest du ein Auge für originelle, abstrakte Farbflächen in deiner Umwelt entwickelt. Wie lange „lauert“ man bei einem solchen Bild auf den perfekten Moment und wie beeinflussen einen diese Orte, wenn man gerade nicht auf der Suche nach Motiven ist?
Es ist tatsächlich ein bisschen wie auf der Lauer liegen oder zumindest eine intensive Suche. Ich habe in den letzten Jahren viele Projektreisen rund um den Globus unternommen, die mir immer wieder große Überraschungen offenbart haben, aber auch ein zähes Ringen um wenige gute Ansichten bedeuteten. Ich bin selbst verblüfft, wie wenige Bilder übrig bleiben von den tausenden von Fotografien die ich auf Reisen mache, auf der Suche nach einer bestimmten dezidierten Ästhetik. Es ist ein bisschen wie im Ballett: Was als Bild am Ende so klar und simpel aussieht ist über weite Strecken harte Arbeit und eine knifflige Sache. Das Ganze ist natürlich keine Einbahnstraße: Ich habe eine bestimmte Vorstellung von den Dingen und ihrer Wesenhaftigkeit, die ich mit der Realität abgleiche, aber auch das (kunstgeschichtliche) Zitat war mir immer schon wichtig, denn wir arbeiten ja nicht im luftleeren Raum, sondern stehen mit den künstlerischen Füßen auf einer langen Tradition von Ideen.

Weitere Informationen zum Künstler: Homepage (KLICK!) und Instagram (KLICK!)




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