Theobald O.J. Fuchs: Wie ich einmal einen Kanal errichtete, beziehungsweise die Autobahn flutete

MONTAG, 3. JUNI 2019

#Gostenhof, #Kolumne, #Kulturhauptstadt, #N2025, #Open Call, #Theobald O.J. Fuchs, #Vortrag

Neulich errichtete ich einen Kanal. Genauer gesagt: Ich errichtete einen Text, der von einer Utopie handelte, in der eine hässliche Autobahn geflutet und durch eine wunderschöne Kanallandschaft ersetzt wird. Und mit diesem Text sowie einer kleinen Zeichnung, wie die Zukunft aussehen wird, bewarb ich mich beim N2025 Open Call der Stadt Nürnberg.

Der Kanal, um den es geht, ist der NÜRNBERG-FÜRTHER Volkskanal (siehe CURT Heft #231 im Februar 2019). Die Autobahn ist die A73 zwischen Fürth-Poppenreuth und Nürnberg-Dianaplatz.
Der NÜRNBERG-FÜRTHER Volkskanal errang bei der Abstimmung stolze 199 Stimmen! Dank sei jedem und jeder Einzelnen, die sich digitaliter für den Volkskanal aussprachen! Ihr seid großartig! Danke! Das hätte man sich im Jahre 1900 nie vorstellen können, als man noch im prächtigen Hafen von Poppenreuth badete. Die erstplatzierten sieben Projekte bekommen nun direkt von der Stadt satte 5000,- Euro. Der Volkskanal ist nicht dabei, aber er erreichte sowieso den besten Platz von allen: den fünfzehnten. Heißt: wir haben einen Auftrag, wir bleiben dran, wir werden weiter für einen neuen Kanal im Herzen der Metropolregion kämpfen – den NÜRNBERG-FÜRTHER Volkskanal!
Es gibt Vögelein, die erzählten mir, laut Umfragen wären über 70% der Nürnberger Bürger für einen Ausbau der Autobahn. Mit Tunnels, Brücken und bequemen Anschlussstellen, auf deren weitschweifigen Rampen – nach der Fertigstellung – sich wieder endlose Autokolonnen stauen können.
Das heißt: Hier gibt es noch 70% Mitbürger, die ich davon überzeugen muss, dass der NÜRNBERG-FÜRTHER Volkskanal besser als die Autobahn wäre. Doch wie?
Als auf nordbayern.de ein Bericht über die Abstimmung erschien, wurde prominent über den Volkskanal berichtet. »Gefluteter Frankenschnellweg? Ideen zur Kulturhauptstadt« lautete die wahrhaft geniale Schlagzeile, aus der sich so einiges über die Rezeption meiner Idee herauslesen lässt. Doch am allerbesten gefiel mir der Kommentar eines Lesers: »Also wenn dann schon ganz Nürnberg fluten. Das würde der Region zumindest mal massenweise dümmliche Vorschläge, und eine riesige Menge an Sozialausgaben sparen.« Dieser Kommentar ist an Menschenfreundlichkeit, intellektueller Durchdringung der Verkehrsproblematik und Vorurteilsfreiheit kaum noch zu überbieten. Danke auch dafür!
Wie es so ist bei freien und geheimen Wahlen: Ich hörte mich um, wer für gestimmt hatte, und fand heraus: Meine Klientel, die in der Lage ist, die Brillanz des Vorschlags zu erfassen, scheitert bisweilen an einem unerwarteten Handicap: Meine Freunde stimmen ungern online ab. Das Verfahren, sich per Mail oder per facebook zu identifizieren, ist entweder zu kompliziert oder nicht anonym genug. Zudem alle permanent in der E-Mail mit Aufforderungen bombardiert werden, für irgendwen und irgendwas zu stimmen, und daher – zu Recht! – genervt jedes zusätzliche Anliegen ignorieren. Beispiele spare ich mir, wir kennen sie alle. Also ein echtes Problem des digitalen Plebiszits.
Nicht jeder kann oder will elektronisch abstimmen, während umgekehrt das Verfahren keine direkte Wahl oder via Brief vorsah. So kamen – wenn ich grob schätze, weil ich zu faul bin, jetzt die Stimmen für alle fünfundneunzig Projekte zu addieren – nicht einmal 10.000 vergebene »Votes« zusammen. Hier müsste das System noch gründlich nachgebessert werden, wenn das Ergebnis wirklich repräsentativ für eine Kulturhauptstadtgesellschaft sein soll.  

Übrigens befanden sich nicht wenige Projekte unter den eingereichten Vorschlägen, die mir selbst ausgezeichnet gefielen – auch unter den Gewinnern, denen ich allen bei dieser Gelegenheit herzlich gratulieren möchte. Klar, dass am Ende ein Schulprojekt, für das sich quasi im Handumdrehen Hunderte Schüler, Eltern, Geschwister und Großeltern aktivieren ließen, gewonnen hat. Da konnte ich einfach nicht mitstinken.
Auf der Demo zum 1. Mai verteilte ich kleine Flyer, die ich selbst ausgedruckt und mit dem Küchenmesser zurecht geschnipselt hatte. Zwischen sturzhackedichten APPDler*innen, steinzeitlichen Stalinist*innen und kurdischen Aktivist*innen belästigte ich vor allem Schüler*innen mit meinem Anliegen. (Nein, es war an keinem Freitag, die Schüler*innen waren in ihrer Freizeit dabei, falls hier gleich das mümmelgreisenhaft würdelose Geschimpfe über angeblich »faule Schulschwänzer« und »Friday for Future«-Amateure anheben sollte.) Einer der Schüler sah etwas anders aus als die anderen, ein Christian-Linder-Typ, der in Hemd und Sakko bei einer ultra-linken Demo mitrannte. Ich erklärte ihm den NÜRNBERG-FÜRTHER Volkskanal, und was antwortete der sicherlich nicht auf den Kopf gefallene junge Mann? »Aber wo sollen denn dann die Autos fahren?« erwiderte er. Ein cleverer Bursche, dachte ich mir, aber ich bin natürlich cleverer.
Denn, und mit diesem Gedanken will ich mein Resümee schließen, wenn es wirklich soweit kommt, dass Stadt, Land und Bund weit über 600(!) Millionen Euro in Form von Beton mitten in der Stadt versenken sollten, dann dürfte konservativ geschätzt der Verkehr sowieso für vier Jahre oder mehr komplett gestoppt sein. Kein einziges Auto wird auf der A73 fahren zwischen Doos und Gibitzenhof. Die Fahrer werden sich etwas einfallen lassen müssen. Viele werden hoffentlich das Auto einfach stehen lassen und öffentlich oder mit dem Rad fahren. Oder einfach dahin ziehen, wo ihr Arbeitsplatz ist, so dass sie zu Fuß gehen können. Die Anwohner werden sich an saubere Luft und nächtliche Stille gewöhnen.

Wozu, so lautet meine Frage, nachdem die unermesslichen Anstrengungen des Hoch- und Tiefbaus geendigt haben werden, die Autobahn überhaupt wieder öffnen? Wäre es nicht vernünftiger, den ganzen Irrsinn gleich zu lassen? Na also.
Der Posten des Sprechpressers ist übrigens bereits besetzt! Momentan sucht die in der Gründung befindliche NÜRNBERG-FÜRTHER Volkskanal-Genossenschaft noch ein*e Chefingenieur*in.
Bewerbungen an die Redaktion des CURT oder per PN an mich.


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UND WAS MACHT THEO WIRKLICH UND SONST SO? 
Naja, immer nicht so viel. Ein bisschen Forschung und so, hier und da mal irgendwas lehren. Wissen wir nicht so genau, ist auch egal. Ansonsten wälzt er sich im Ruhm und lässt sich bewundern, denn seine Sucht ist die nach Aufmerksamkeit.

THEOS TERMINE IM JUNI
Kryptisch wird es offensichtlich am 27. Juni. Titel: „Der General und das Bärtierchen: Die Dunkle Seite der Mondlandungen“, zusammen mit Keno Halilovic im Salon der unerfüllten Wünsche (Ort N.N.).
 




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Es kann sein, dass sich in meiner Erinnerung diverse Aufenthalte in dieser Stadt vermischen, aber ich bin mir sicher, dass es immer Berlin war. In den 1980er Jahren hatten uns die The-Who-Filme »Tommy« und »Quadrophenia« ganz krass mit der Rockmusik der späten 1960er infiziert. Als 1979 Pink Floyd »The Wall« herausbrachten, mussten wir nicht lange überlegen, ob uns das gefiel. Obwohl wir uns für Dorfpunks hielten, ließ sich die Pink-Floyd-Mucke hervorragend zum Rauch aus gewissen Spaßzigaretten in die Gehörgänge dübeln. Aus heutiger Sicht natürlich kompletter Mainstream und Totalkommerz, aber tscha! War geil.  >>
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