Theater Wegweiser November

MITTWOCH, 31. OKTOBER 2018

#Dieter Stoll, #Gostner Hoftheater, #Kultur, #Opernhaus, #Staatstheater Nürnberg, #Stadttheater Fürth, #Tafelhalle, #Theater, #Theater Erlangen, #Theater Salz und Pfeffer

„Busenwunder“ gibt es Immer wieder – aber bei Finanzproblemen hilft halt nur ein Ba-Ba-Banküberfall oder Wie die Theater in Nürnberg, Erlangen und Fürth auf ihren ersten Saison-Höhepunkt zusteuern.

Beim rasanten Montieren eines eigenen Spielplans mit Premierenwirbel im denkbar engsten Takt holt die neue Nürnberger Staatstheater-Leitung jetzt zum Rundumschlag mit Legenden-Rückkoppelung aus. Von der Rückkehr der Opern-Kultfigur Maria Callas über einen ausdrücklich auf den Humor der Monty Pythons bezogenen Gaunerjux am Ba-Ba-Bankschalter und die philharmonisch gestützte Würdigung einer einstigen (und nun – „Busenwunder“ gibt es immer wieder – sogar singenden) Oberweitenrekordlerin bis zum hausgemachten Nürnberg-Liederabend, der den allzu kühnen Arbeitstitel „Sound of the City“ schnell noch austauschte gegen „Die Musik war schuld“.  Dazwischen implantiert Schauspieldirektor Jan Philipp Gloger, der mit „Die Troerinnen“ den bisherigen künstlerischen Höhepunkt setzte, seine 2012 im Auftrag der Ruhrfestspiele entstandene Hamburger Schauspielhaus-Produktion von „Hausautor“ Philipp Löhles „Das Ding“ nach Franken und mit dem barocken Prachtspektakel „Xerxes“ beginnt eine Welle von Händel-Inszenierungen, die das Opernhaus dem Publikum zuvor seit Jahrzehnten schuldig geblieben ist. In Fürth kreisen Pleitegeier über den fränkischen Wurzeln der Lehman Brothers, in Erlangen schrumpft Borcherts „Draußen vor der Tür“ zur Zwei-Personen-Elegie. Traditionell steuern die Theater im November auf Hochkonjunktur zu – in den Wochen bis Ende Dezember sorgt das Publikum zur angeblich „staden Zeit“ alle Jahre wieder für besonders hohe Quoten.


STAATSTHEATER NÜRNBERG

PREMIERE: Die Fallstudie eines „Busenwunders“ aus Texas als einigermaßen delikates Opernthema. Die ehrwürdige Royal Opera London hatte 2011 die Vertonung der schummerlichtigen Biografie von messbarer Erotik mit unermesslichem Tragödienanteil in Auftrag gegeben, und so wurde aus der für Rundflüge durch Männerfantasien chirurgisch gestylten Kurvenkönigin so etwas wie die Neuzeit-„Traviata“. ANNA NICOLE, die im richtigen Leben das üppige Fotomodell Anna Nicole Smith war, von Reichtum und Selbstbestimmung träumend, tritt hier in Opernpose als selbstzerstörerisches Opfer auf. Komponist Mark-Anthony Turnage (58) gilt als respektabler britischer Vertreter der Neuen Musik, was in seinem Fall eine Vorliebe für stilistische Mixturen aus Jazz- und Klassik-Elementen bedeutet. Mit seinen Opern ist er in Deutschland noch nicht wirklich „angekommen“, doch Nürnbergs neuer Intendant holte das unkonventionelle Musiktheater, das einige mäkelnde Kritiker zur unheimlichen Operette runterstuften, zwei Jahre nach der Uraufführung (für Spartenverhältnisse also blitzschnell) zur Deutschlandpremiere in eigener Regie ans Dortmunder Opernhaus . Weitere fünf Jahre danach wird das hier nicht einfach als „Übernahme“ angekündigt, doch die Titelrolle bleibt in Händen und Stimmbändern von Emily Newton. Die vielseitige Sopranistin aus den USA gehört zum neuen Nürnberger Opernensemble, und sie hat seit 2014 in Dortmund gezeigt, dass sie die damenhafte Strauss-Marschallin vom „Rosenkavalier“ ebenso kann wie Cole Porters Musical-Kratzbürste in „Kiss me, Kate“. In Nürnberg wartet wohl nach dem Busen- schon das Gefühlswunder – sie wird mit Mozarts betrogener und betrügender Fiordiligi in „Cosi fan tutte“ alsbald „wie ein Felsen“ im emotionalen Sturm stehen.
Premiere: 3. November im Opernhaus. Weitere Vorstellungen 6./10./18./26./30. November, letztmals 7. Dezember.

Achtung: curt vergibt 3x2 Tickets für “Anna Nicole” am Sonntag, den 18.11.2018 um 19:00 Uhr. Einfach Mail an Diese E-Mail Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, du musst Javascript aktivieren, damit du sie sehen kannst senden, Betreff "Anna Nicole"!

PREMIERE: „Spartenübergreifend“ nennt man ein Projekt wie dieses, weil Schauspieler und Sänger zusammen antreten. Freilich dominiert hier die Opernwelt eindeutig, das Stück MEISTERKLASSE lässt Maria Callas auferstehen. Allerdings nicht ihre legendäre Stimme, denn die bleibt im fiktiven Psycho-Boulevard von Terence McNally ausgeblendet. Das Stück, nach der Uraufführung 1995 weltweit ein Renner, zeigt die Primadonna am Ende ihrer Karriere bei einem öffentlichen Auftritt als gestrenge Pädagogin, wie sie in ihrer „Meisterklasse“ mehreren jungen Sängerinnen und Sängern die Magie der Musiktragödie lehrt. Nicht ohne subtilen Psychoterror und den erkennbaren Melancholiereflex zum eigenen Absturz aus himmlischen Höhen. Klatsch-Andeutungen über Dauerkonkurrentin Renata Tebaldi oder Senior-Lover Aristoteles Onassis verkneift sich der Autor, so wie er die Callas von Gesangsproben auf der Basis vokaler Restbestände befreit. Einmal setzt sie an und bricht sofort wieder ab. Sie redet geschraubt von hoher Kunst, zeigt dabei mehr Seele als Stimme, aber auch die Koketterie eingefrorener Selbstverklärung. Ein großer schauspielerischer Sololauf, der von eifrigen Arien-Aktivitäten (Bellini, Puccini, Verdi) junger Künstler flankiert ist. Jutta Richter-Haaser spielte das bereits in Nürnberg und bekam dafür den Darstellerpreis der Bayerischen Theatertage 2001. Jetzt macht die als Hekabe in „Die Troerinnen“ gefeierte Annette Büschelberger die Unnahbare mit dem Diva-Gen und bringt ihre Interpretation aus Karlsruhe ins neue Nürnberger Engagement mit.
Premiere: 14. November im Schauspielhaus. Weitere Vorstellungen ab 5. Dezember.

PREMIERE: Noch ein Duplikat aus dem reichen Fundus des fleißigen
Schauspieldirektors. Als Globalisierungsparabel inszenierte der damals 29-jährige Jan Philipp Gloger fürs Schauspielhaus Hamburg zunächst im Zelt der Ruhrfestspiele den Text des damals 33-jährigen Philipp Löhle mit dem Titel DAS DING. Er beginnt vor 500 Jahren am Hof des portugiesischen Königs mit dem Scheitern von Magellans Weltumseglungsplänen und führt, weil ja alles mit allem zusammenhängt, über einen brasilianischen Soja-Baron bis zur Fleischtheke für unseren Sonntagsbraten. Beim „Ding“ handelt es sich um Baumwollsaat mit Pflanzung in Afrika, Bearbeitung in China, Fußballtrikot in Europa. Löhle arrangiert die Zusammenhänge zur komischen „Weltmetapher“ und schon damals erkannten Kritiker, dass sich der Autor und sein Regisseur gesucht und gefunden haben. Stimmt, denn der Nürnberger Schauspieldirektor Gloger engagierte den Dramatiker Löhle sofort als „Hausautor“ und bereitet die nächste Uraufführung für März 2019 mit ihm vor. Jetzt aber erst das Comeback für „Das Ding“.
Premiere: 15. November in den Kammerspielen. Weitere Vorstellungen 23. November, dann wieder ab 7. Dezember.

PREMIERE: Warum auch immer, die große Welle der modernen Inszenierungen des einstigen Fließband-Komponisten Georg Friedrich Händel, die von Peter Konwitschnys radikal kargen Dramendeutungen in der Händel-Stadt Halle/Saale bis zu den süffigen Pop-Spektakeln der Bayerischen Staatsoper reichten, ging an Nürnberg nahezu spurlos vorbei. Jetzt hat Intendant Jens-Daniel Herzog das vernachlässigte Genie zu einem Schwerpunkt der nächsten Jahre erklärt – und mit der Platzierung von XERXES ein Stück von ihm angesetzt, das zuletzt in Berlin an der Komischen Oper mit viel Muppet-Drive stürmische Heiterkeit auslöste. Das Liebesverwirrspiel, das auf verschnörkelten Wohlklang, Knalleffekt und absurden Humor setzt, lässt einen König durch seltsame Affären taumeln. Regie führt die 2009 in Bordeaux gegründete Performance-Gruppe Clarac-Deloeuil>Le Lab, die (in Brüssel, Paris, Barcelona) bevorzugt mit Video- und Lichtdesignern arbeitet. Der Lautenspieler und Dirigent Wolfgang Katschner, ein Spezialist der Alten Musik und am Opernhaus zuletzt mit Monteverdis „Rückkehr des Odysseus“ befasst, studiert mit der Staatsphilharmonie den dort eher ungewohnten Händel-„Originalklang“ ein. In der Titel-Hosenrolle ist die neu engagierte Mezzosopranistin Almerija Delic zu erleben.
Premiere: 24. November im Opernhaus. Weitere Vorstellungen ab 1. Dezember.

PREMIERE: Die Produktion SOUND OF THE CITY heißt jetzt DIE MUSIK WAR SCHULD und ist „ein Nürnberger Liederabend“. Von der klingenden Historie bis zur Straßenmusik der Gegenwart schweift der Blick. Selen Kara führt erstmals in Nürnberg Regie, die Sängerin und Songwriterin Vera Mohrs debütiert mit der musikalischen Leitung. Sechs Personen suchen den passenden Ton, Adeline Schebesch und Pius Maria Cüppers sind dabei.
Premiere: 30. November in den Kammerspielen. Weitere Vorstellungen ab 6. Dezember.

PREMIERENFRISCHES MUSICAL: Kino-Großmeister Steven Spielberg hat die Verfilmung dieser Hochstapler-Story mit dem jungen Leonardo DiCaprio 2002 wie eine Entspannungsübung nach drei „Indiana Jones“-Produktionen hingefetzt. CATCH ME IF YOU CAN gehört seither zu den ewig kreisenden Hollywood-Titeln in der TV-Wiederholungsschleife. Die zehn Jahre später entstandene Musical-Fassung  von „Hairspray“-Filmkomponist Marc Shaiman gab dem sympathischen Fluchthelden, der absturzgefährdete Pseudokarrieren als unrechtmäßig praktizierender Pilot, Arzt und Anwalt gegenüber jedem geordneten Leben bevorzugt, noch mal anderen Schwung. Jetzt wird zum Betrug gesungen und getanzt. David Jakobs in der Hauptrolle gehört in der aktuellen Ensembleliste zur Sonderkategorie „Musical-Darsteller“ – er hat schon den Judas in „Jesus Christ Superstar“ gestemmt, aber auch die Titelrolle in der Disney-Produktion „Der Glöckner von Notre Dame“. Für Nürnberg ist das neue Stück nach den Jahren der Broadway-Oldie-Fixierung ein entschlossener Schritt in Richtung Gegenwart. Gil Mehmert, der als Hochschulprofessor „Musical“ lehrt und in seiner Künstlerbiografie die Show zum Film „Das Wunder von Bern“ auflistet, ist eine sichere Nummer. Er führte Regie mit dem extra engagierten, ziemlich teuren Spezialteam für gelenkigen Frohsinn. Es wirbelt gekonnt, auch wenn die Musik nicht wirklich explodiert.
Termine: 23. November im Opernhaus, dann wieder 17./31. Dezember  (Doppelvorstellung).

SPIELPLAN-HÖHEPUNKT: Nach zehn Jahren Krieg ist Troja ein Trümmerfeld, das die Sieger in ihrem Gewaltwahn aber nicht ruhen lässt. Überlebende Frauen werden verschleppt, das Ungeheuerliche produziert ständig neue Ängste über „das Fremde“. Mit DIE TROERINNEN von Euripides schließt Jan Philipp Gloger eine Nürnberger Spielplanlücke, die „zeitlose“ griechische Antike gehört hier zu den Raritäten. Die überwältigend stimmige Thriller-Inszenierung mit dem Hauch von Hitchcock-Witz ist ein Duplikat samt Upgrade, sie entstand in erster Fassung am Staatstheater Karlsruhe und die Übernahme wird mit der Uraufführung eines Textes von Euripides-Übersetzer Konstantin Küspert neu positioniert. Der POSEIDON-MONOLOG ist die programmatische Enttäuschungsrede des Meeresgottes über das Versagen der Menschheit. Michael Hochstrasser wirft Giftpfeile in offene Wunden. Dann kommt die Königin auf Abruf, die grandiose Annette Büschelberger in der Rolle der zerfallenden Majestät Hekabe – mit Handtaschenbewaffnung wie Frau Thatcher, verzweifelt aufgebäumter Restwürde und dem Zusammenbruch am Abgrund, der alle verschluckt. Mit Pauline Kästner (Kassandra), Julia Bartolome (Andromache), Thomas Nunner (Menelaos) und Sascha Tuxhorn (der Unglücksbote Talthybios als Volkes schwankende Stimme) ein neu gemischtes Ensemble in Bestform. Das muss man sehen!
Termine: 9./17./23. November im Schauspielhaus

PREMIERENFRISCH IM SCHAUSPIELHAUS: Wenn ein Theater die eigene Lustspielproduktion als „turbulenten Unfug“ ankündigt, muss man sich auf dröhnendes Gelächter gefasst machen. Es geht um Diamanten, ein Geldinstitut in der Provinz und viel tollpatschiges Slapstick-Personal. Die Deutschlandpremiere von KOMÖDIE MIT BANKÜBERFALL aus der Feder von drei britischen Autoren und zwei deutschen Übersetzern beruft sich auf den ebenfalls überwiegend kollektiven Humor der Monty Pythons, was von gewissem (Über-)Mut zeugt, aber als Beleg den Serienerfolg in London vorweisen kann. Die Besetzungsliste wimmelt vor Taschendieben, Trickbetrügern, Häftlingen, Agenten und grenzdebilen Bankdirektoren – dem geradezu logischen Personal für einen Musterkatalog von Zwielichtgestalten. Wie schon die Erste Allgemeine Verunsicherung in ultimativer Weisheit mit ihrem „Ba-Ba-Banküberfall“ verkündete: „Das Böse ist immer und überall“. Regisseur Christian Brey (er arbeitete einst für Harald Schmidt bei dessen Late Night Show, war auch Co-Regisseur von dessen einziger Operetteninszenierung) holte für die deutschsprachige Erstaufführung einen Kampf- und Akrobatiktrainer (Ingo Schweiger) zur Hilfe, um den Pointentumult mit zwölf Tätern zum Lachkrampf zu ordnen.
Termine: 4./10./11./19./22./24. November im Schauspielhaus.

DAS START-PROJEKT: Mit der Wiederbelebung des einstigen Bildungsbürgerschrecks Eugène Ionesco, Miterfinder und Serientäter des sogenannten Absurden Theaters, der ab den 1960er Jahren rundum herrschende Bühnentraditionen wortgewandt mit drastischer Rätseldramatik unterminierte, startete die neue Nürnberger Schauspiel-Ära. Das gewollt wagemutige Ionesco-Projekt EIN STEIN FING FEUER nimmt die früh für Studioexperimente berühmten Stücke DIE KAHLE SÄNGERIN und DIE UNTERRICHTSSTUNDE vermischt mit weniger bekannten Texten des schrägen Poeten, ausdrücklich als Comeback an der Mülldeponie alternativer Fakten. Es geht um Macht im Spiel, wenn Worte ihren eigenen Sinnrohbau lustvoll detonieren lassen. Glogers ambitioniert amüsierendes Nürnberg-Debüt fällt aus dem Rahmen des Üblichen. Bei der Premiere jubelte das Publikum, in den Folgevorstellungen blieben bislang viele Plätze leer. Das sollte sich noch ändern.
Termine: 2./8./18./25./30. November, dann wieder ab 1. Dezember im Schauspielhaus.

SEELE MIT MASKE: Mit Anton Tschechows DIE MÖWE, der weltweit wie ein Sensibilitätshochamt geschätzte Blick in die (nicht nur russische) Seele, gibt die neue „Hausregisseurin“ Anne Lenk (40), die sonst an den ersten Adressen zwischen München und Berlin erfolgreich Bahnen zieht, ihre Visitenkarte ab. Die Geschichte von den schwatzenden Sommergästen auf Egotrip ist denkbar subtilste Entlarvung. Die Lenk-Regie findet es allerdings vor allem lachhaft, wie sich die Figuren zwischen Hochmut und Wehmut spreizen. „Komödie“ wird das latente Versteckspiel vom Autor offiziell genannt, das Innenfutter der Tragödie schimmert in dieser Version aus gekrümmten Charaktermasken in grellsten Farben. Großes Mimentheater wird das durchaus – aber statt Mitgefühl gibt es eben eine neue Generation von verpuppten Tschechow-Prototypen fürs Therapeutenschaufenster.
Termine: 3./16./20./29. November im Schauspielhaus.

ERSTE WAHL DER KAMMERSPIELE: Auf den Schwarzweiß-Stil des Film Noir beruft sich der junge Autor Alexander Eisenach in der biologisch zertifizierten Thriller-Story DER ZORN DER WÄLDER (erst im Vorjahr in Bonn uraufgeführt), und setzt den Privatdetektiv Pritchet auf die Spur eines Verschwundenen. Sozialterroristen schmieden da in sumpfiger Natur dubiose Befreiungspläne. Publikum und Kritiker waren geteilter Meinung. Regisseur Kieran Joel, dessen frisches Diplom von der Berliner Ernst-Busch-Hochschule vor dem Nürnberger Auftrag am Münchner Volkstheater zu „Romeo und Julia“ und „Ein Sommernachtstraum“ führte, bewährte sich als Lotse für Irritationen bei der ersten Wahl fürs neue Kammerspiele-Profil.
Termine: 4./10./22./24. November in den Kammerspielen.

LETZTER AUFRUF: Größer geht es kaum. Intendant und Operndirektor Jens-Daniel Herzog setzte an den Beginn seines ersten Nürnberger Jahres die kolossale Rarität KRIEG UND FRIEDEN des russischen Komponisten Sergej Prokofjew frei nach dickleibiger Tolstoi-Weltliteratur. Deutlich mehr als vier Stunden reine Spieldauer braucht die Musik eigentlich, nach einer spontan angesetzten Schlankheitskur ist ein Viertel davon abgespeckt. Trotzdem: Eine Wucht! Was als „eines der umfänglichsten Werke in der Geschichte des Musiktheaters“ eingestuft wurde, ist Legende. Die „authentische Fassung“ gab es in 70 Jahren nie, jede ambitionierte Neuproduktion, wie auch die in Nürnberg, kann als schleichende Uraufführung gelten. Für die junge Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz, die in dieser Saison auch schon an der Bayerischen Staatsoper in München mit russischer Oper gastiert („Eugen Onegin“), ist das eine von nur zwei Premieren vor Ort. Sie pumpt Sauerstoff in die Musik und hat mit ihrer Vitalität glänzenden Einstand am Opernhaus-Pult. Wie der Komponist aus dem Tolstoi-Psychogramm eines ganzen Volkes die vaterländisch pathetische Politgleichung von Napoleons Einmarsch 1812 mit dem Überfall von Hitler-Deutschland 1941 rund um die unverzichtbare bittere Lovestory hinbiegt, versetzt das alle Interpreten in die Klemme zwischen Kunst und Plakatierung. Regisseur Herzog schickt beiläufig Putin mit vorrevolutionär freiem Oberkörper auf den roten Teppich und inszeniert höchst intensives Bilderbogendrama. Man kann davon ausgehen, dass dieses sehr besondere Werk für Nürnberger jetzt zu sehen ist – oder nie.
Termine: 1./11./17. November im Opernhaus

COMEBACK: Es knuspert wieder zur Weihnachtszeit: Engelbert Humperdincks HÄNSEL UND GRETEL, in der Handlung das typische Gruselmärchen und in der Musik die zwanghafte Symbiose zwischen Volkslied-Tralala und Wagner-Wuchtbrumme, vereinigt nach wie vor Generationen im Schein glänzender Augen. In Nürnberg gab es einst über mehrere Jahrzehnte die gleiche Kitschversion mit Rollrasen und Christkindles-Vollversammlung für den Abendsegen, ehe Peter Angermann seine Kuschelbären mit Nachttischlampen als Alternative fürs Betthupferl stiftete. Die jetzt wiederkehrende Nachfolge-Inszenierung von Andreas Baesler versuchte es sodann mit milder Tiefenpsychologie. Das Titelpaar träumt den Horror daheim in der Stube, was gewisse Logikbrüche in der Märchennaivität, aber die Chance zum anderen Blick aufs Lebkuchenhaus ergibt. Irina Maltseva und Julia Grüter sind Brüderlein und Schwesterlein, bemerkenswert ist die Hexe, denn da wechselt Händels Xerxes direkt vom Thron auf den Besen.
Termine: Ab 2. Dezember im Opernhaus.

PREISGEKRÖNT: Ehe Goyo Montero, dem gerade erst ein „Tanzpreis aktuell“ des deutschen Spartendachverbandes für „herausragende Entwicklung“ seiner Arbeit verliehen wurde, im Dezember die lange Serie von neu gedeuteten Handlungsballett-Klassikern mit „A Summernights Dream” erweitert, holt er den explosiven Dreifachabend POWERHOUSE zurück in den Spielplan. Zur aktuellsten eigenen Kreation „Imponderable“ hatte der Spartenchef umjubelte Choreographien der internationalen Aufsteigerstars Hofesh Shetcher (sein Stück wurde inzwischen nominiert für den „Dance Europa“-Preis als beste Saisonpremiere) und Alexander Ekman als Gäste der Compagnie leasen können. Wunderbar!
Termine: 2./5. November (letztmals) im Opernhaus.

WIEDERSEHEN: Mit Rossinis sehr zeitlosem Bestseller von „Figaro hier, Figaro dort“ in der Oper und Rebekka Kricheldorfs sehr zeitgenössischer Satire über wunderliche Anwandlungen deutscher Alternativspießer in den Kammerspielen sind zwei Produktionen aus der vorigen Saison, also aus einer quasi verloschenen Ära, wieder im Angebot. Was der umtriebige Münchner Gärtnerplatztheater-Chef Josef Ernst Köpplinger mit dem BARBIER VON SEVILLA machte, gehört eher zur Spaßmacherroutine des Regiehandwerks. Die Aufführung hat mit dem aus Russland stammenden Denis Milo einen neuen Titelhelden (ab 9. November, auch 25./27. November, dann nur noch 13. und 21. Dezember) +++ Nach ihrer Textflächenbearbeitung von Elfriede Jelinek blieb Bettina Bruinier, die Saarbrücker Schauspieldirektorin, bei Satire. ROBERT REDFORDS HÄNDE SELIG, der bissigen Kricheldorf-Komödie über deutsches Sendungsbewusstsein mit Urlaubsfeeling, gab sie den scharfkantigen Feinschliff. Die komplette Originalbesetzung samt den Ensembleaussteigern Stefan Willi Wang und Bettina Langehein tritt am 2. und 25. November in den Kammerspielen wieder an.
 
STAATSTHEATER NÜRNBERG
Richard-Wagner-Platz 2-10, Nbg
staatstheater-nuernberg.de


GOSTNER HOFTHEATER

PREMIERE: Ein klassischer Fall von Verdrängung, denn neben der tapferen Antigone (die sich im Sophokles-Drama dem König und seiner unmenschlichen Anordnung widersetzt, um den toten Bruder zu bestatten) gibt es in diesem Familienbild auch ihre kaum beachtete Schwester, die überlebt und mit diesem zweifelhaften „Glück“ zurechtkommen muss. Aus ihrer Perspektive hat die niederländische Autorin Lot Vekemans (in Nürnberg war ihre Ehetragödie „Gift“, in Fürth das Solo „Judas“ zu sehen) noch einmal anders in die Geschichte geleuchtet. ISMENE, SCHWESTER VON ist ein Stück, das den annähernd dreitausendjährigen großen Entwurf des griechischen Weltgeistes auf den sehr individuellen Kern reduziert und damit in die Gegenwart versetzt. Christin Wehner spielt Ismene – in einer ersten Serie auf der Bühne, dann auch als mobile Produktion.
Premiere: 14. November im Gostner Hoftheater. Weitere Aufführungen 15. bis 24. November (jeweils Mittwoch bis Samstag).

VORNOTIEREN: Vor 18 Jahren war diese Comedy unter dem Stern von Bethlehem ein hundertfacher Erfolg in den Kammerspielen. Im Vorjahr kam DER MESSIAS dann nach Gostenhof und erlöste das dortige Team von allen Quotensorgen im Dezember. Patrick Barlows very british funktionierende Kalauerbescherung kehrt rechtzeitig für die nächste Runde mit ansteckendem Gelächter von biblischer Größe und heiliger Einfalt zurück – und da hilft keine Krippenschutzimpfung. 2017 waren alle Vorstellungen ausverkauft. Wer jetzt nicht rechtzeitig bucht, wird traurig unter der Tanne sitzen bleiben.
Termine: Ab 5. Dezember, bis 15. Dezember, im Gostner Hoftheater.

GOSTNER HOFTHEATER
Austraße 70, Nürnberg
gostner.de


TAFELHALLE

PREMIERE: Der sehnsüchtige Traum, mit seiner anstoßerregenden „Andersartigkeit“ vor dem gesellschaftlichen Druck zu fliehen und in anderen Welten ohne Vorurteile neu zu beginnen, kann direkt zum Albtraum führen. Die Utopie vom besseren Leben, die in Andrea Hintermaiers zweisprachigem Projekt MY OWN SECRET BUBBLE. A PRISON wie eine Science-Fiction-Vision trügerisch erstrahlt, lenkt drei Personen in Verhörzellen einer unerforschten Galaxie. Ein äthiopischer Flüchtling, eine Profifußballerin und eine lesbische Muslimin müssen wieder um ihre Individualität bangen, das Anders-sein verteidigen. Emmi Büter, Ricco Jarret Boateng (beide aus Deutschland) und Natalie Risk (US) spielen die zwischen englischen und deutschen Dialogen wechselnde Fassung der Uraufführung.
Premiere: 8. November  in der Tafelhalle. Weitere Aufführungen 9./10./11. November.

PREMIERE: „Im Lauf des Abends werden Sie sich in mich verlieben“, droht der Schauspieler Gunnar Seidel, der seine echte Bühnenbiografie mit alternativen Fakten mischt und so für die Frage nach Unberechenbarkeit und Authentizität von Gefühlswallungen gleichzeitig als Modellfall und Analytiker zur Verfügung steht. Das Brachland Ensemble mit Regisseurin Maria Isabel Hagen will mit der Uraufführung VERLIEBEN keineswegs nur kuscheln, es untersucht die theatralische Technik in der Darstellung der Emotion, möchte die kitschelnde Sehnsucht „nach dem permanenten Verliebtsein“ aushebeln und beiläufig auch noch „das Rollenmodell des modernen Mannes“ demaskieren. Was die Medien aus Träumen machen, wird mit der Realität konfrontiert. Soloperformer Seidel lädt den Zuschauer ein, sich dem Verlieben „hinzugeben“ – oder wenigstens dem damit kokettierenden Spiel.
Premiere: 29. November in der Tafelhalle. Weitere Vorstellungen 1./2. Dezember.

TAFELHALLE
Äußere Sulzbacher Str. 62, Nbg
tafelhalle.de


THEATER SALZ+PFEFFER

COMEBACK: Der Charakterkopf des Titelhelden hat sich seit der Premiere eingeprägt, auch wenn Ur-Autor Molière den stechenden Blick des Schauspielers garantiert nicht kannte. Im Figurentheater DER EINGEBILDETE KRANKE begegnet uns das Phantom von Klaus Kinski, und das ist auch bei der Wiederaufnahme schon die halbe Aufführung wert. +++ Theater zum Umschnallen bietet Paul Schmidt, wenn er aus den tausend Taschen seiner Komödienschürze die Requisiten für OLAF DER ELCH zaubert. Ein eigenartiger Spaß mit Schaufelgeweih und spitzen Worten, der für einen Tag endlich wieder mal für die Erwachsenen zur Kindskopf-Wiedervereinigung ins Abendprogramm steigt. Röhrend und rührend zugleich.
Termine: „Der eingebildete Kranke“ am 2./3./4./24. November. „Olaf der Elch“ am 1. Dezember.

THEATER SALZ+PFEFFER
Frauentorgraben 73, Nbg
t-sup.de



THEATER ERLANGEN

PREMIERE: Wolfgang Borcherts düster-realistisches Kriegsheim-
kehrer-Drama DRAUSSEN VOR DER TÜR, vom verhungernden Autor als Verliererdrama wie ein Vermächtnisschock hinterlassen, war kürzlich erst wieder in Nürnberg auf großer Bühne zu sehen. Wie aus den expressionistischen Stilmitteln eine Form gefunden werden kann, die aus der Zeitnähe der Uraufführung ein überzeitliches Gleichnis macht, ist die alles entscheidende Aufgabe jeder Neuinszenierung. In Erlangen inszeniert Maria Sendlhofer eine Zwei-Personen-Fassung, ein Konzentrat des Originals, bei der die Akteure Enrique Fiß (Konzept) und Niklas Handrich (Musik) eben mehr sind als nur „Darsteller“.
Premiere: 9. November im Theater in der Garage. Weitere Aufführungen 13./28. November.

PREMIERENFRISCH: Was mag die New Yorker Gesellschaft wohl dazu sagen, wenn sie in Erlangen/Germany auf offener Bühne seziert wird? Wir vertrauen auf Trump und Twitter. Jedenfalls war die aktuelle Intendanz des kurz vor dem 300. Geburtstag stehenden Markgrafentheaters blitzschnell, denn Salman Rushdies bislang neuester, spannend fabulierender Roman GOLDEN HOUSE von 2017 hat gerade erst die deutsche Bestsellerliste geräumt. Er erzählt von einem Filmemacher, der die dekadent erscheinende Milliardärsfamilie der Goldens (Patriarch Nero und seine erwachsenen Söhne) im Nachbarhaus der Metropole so interessant findet, dass er in ihnen das passende Personal für ein Drehbuch zur Zeitgeschichte sieht. Doch dann nimmt alles unvorhersehbare Wendungen, der amerikanische „Pate“ heiratet eine junge Russin mit undurchschaubarem Hintergrund, das Golden House erbebt in seinem massiv goldenen Fundament. Eine Gesellschaft „zwischen Obama und Trump“ gerät unters Vergrößerungsglas der kampflustigen Prosa. Thomas Krupa hatte in Erlangen schon Josef Bierbichlers spröden Text „Mittelreich“ werktreu breitspurig und sperrig auf die Bühne gebracht, nun dramatisierte und inszenierte er diese ganz andere Art von dichterischer Üppigkeit. Und vielleicht will hinterher so mancher Zuschauer die komplette literarische Wahrheit des großen Erzählers Salman Rushdie selber ungekürzt erkunden. Man kann es empfehlen.
Termine: 10./11. November im Markgrafentheater.

WEITER IM SPIELPLAN: Der Untertitel „abendland. ein abgesang“ sagt über das Stück von Thomas Köck noch mehr als PARADIES SPIELEN. Katja Otts schnelle Erlanger Inszenierung kurz nach der preisgekrönten Veröffentlichung des Textes, der fünf Reisende und einen mysteriösen Zugbegleiter „im ewigen ICE“ durch eine Gesellschaft kurz vor dem Kollaps rasen lässt, bekam viel Beifall.
Termine: 15./16. November im Markgrafentheater.

THEATER ERLANGEN
Theaterplatz 2, Erlangen
theater-erlangen.de


THEATER FÜRTH

GASTSPIEL: Das AUSTRALIAN DANCE THEATRE aus Adelaide, vor 60 Jahren gegründet und längst weltweit ein Begriff für spektakulär zeitgenössischen Tanz, hat mit dem Chef-Choreographen Garry Stewart den Schwerpunkt auf „multidisziplinäre Arbeiten“ gesetzt. Architektur, Digitalkunst und Robotertechnik favorisiert er als Inspirationsquellen, angedockt an den Rhythmus. Mit THE BEGINNING OF NATURE umschlingt er Körper und Geist, durchbricht die Grenzen von Tag und Nacht. Letztlich verschmilzt alles zum großen Gesamtkunstwerk aus Bewegung und Klang. Zwei Sänger ergänzen die Tanz-Compagnie.
Termine: 6. bis 10. November im Stadttheater Fürth.

GASTSPIEL: Schon wieder ein Roman, der ein Film war und zum Musical wurde: DIE BRÜCKEN AM FLUSS, einst Hollywood-Stoff für die jungen Jahre von Meryl Streep und Clint Eastwood, erzählt vom traditionellen Familienglück auf einer Farm in Iowa – und wie es durch neue Liebe gefährdet wird. Komponist Jason Robert Brown hat das für eine Musiktheaterversion mit Mischsound aus US-Country und Old-Europa-Klassik überzogen. Die deutsche Tourneeproduktion inszenierte der in Nürnberg und Fürth schon mehrfach aktive Musical-Spezialist Christian Alexander Müller, mit sich selbst in einer Hauptrolle an der Spitze des reisenden Ensembles.
Termine: 21. bis 24. November im Stadttheater Fürth.

GASTSPIEL: Noch ein Banküberfall, diesmal von innen heraus. Dass die Milliarden bewegenden LEHMAN BROTHERS als Auslöser der vorerst letzten Weltfinanzkrise von 2008 eine deutsche, gar fränkische Vergangenheit haben, ist ein kleines Nachbeben zur Pleiteinformation. Drei Brüder aus einem Dorf bei Würzburg emigrierten vor 150 Jahren in die USA, stiegen steil auf im unantastbaren Kapitalistensystem und mussten nicht erleben, wie ihr Erbe den krachenden Dominoeffekt rund um den Erdball auslöste. Der Italiener Stefano Massini recherchierte drei Jahre für sein Doku-Spiel mit Geschichtsbewusstsein und wurde für die Uraufführung in Mailand mit Preisen ausgezeichnet. Die deutsche Tourneeproduktion erinnert an eine Katastrophe, die zehn Jahre danach wieder für möglich gehalten wird.
Termine: 30. November und 1. Dezember im Stadttheater Fürth

STADTTHEATER FÜRTH
Königstr. 116, Fürth
stadttheater.fuerth.de

 




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